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Frankreichs Regierung am Abgrund Le Pen hat Macron in der Tasche

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Marine Le Pen obliegt die Entscheidung, ob Macrons Mitte-Rechts-Regierung am Mittwoch gestürzt wird.

Marine Le Pen obliegt die Entscheidung, ob Macrons Mitte-Rechts-Regierung am Mittwoch gestürzt wird.

(Foto: picture alliance / Hans Lucas)

Marine Le Pen lässt die Muskeln spielen: Die französische Rechtspopulistin kündigt ein Misstrauensvotum ihrer Partei RN gegen Macrons Regierung an. Dafür stimmt sie sogar gemeinsam mit den Linken. Le Pen versetzt dem Präsidenten damit den nächsten Schlag.

Emmanuel Macron ist dafür bekannt, gern aufs Ganze zu gehen. Mit der Neuwahl im Sommer hat Frankreichs Präsident sich allerdings ein Eigentor geschossen: Sein liberales Wahlbündnis Ensemble verlor im Juli fast ein Drittel seiner Sitze in der Nationalversammlung. Das Unterhaus ist jetzt fast zu gleichen Teilen zersplittert zwischen ihm, dem links-grünen Bündnis und dem rechtsradikalen Rassemblement National (RN). In dieser schwierigen Lage wittert Marine Le Pen - die Strippenzieherin des RN - ihre Chance für ein Vabanquespiel.

Le Pen kündigte an, ihre Partei werde am Mittwoch für einen Misstrauensantrag der Linken gegen Ministerpräsident Michel Barnier abstimmen. Macht sie ihre Drohung wahr, stürzt Le Pen dadurch die Mitte-Rechts-Regierung, die Macron erst vor drei Monaten eingerichtet hatte. Damit sendet die Rechtspopulistin ein deutliches Signal: Sie und ihre Partei haben Macron in der Tasche.

Die Verantwortung dafür habe Macron sich selbst zuzuschreiben, sagt Frankreich-Expertin Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit ntv.de. "Macron hat die Linken vor den Kopf gestoßen, indem er ihnen nicht den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hat, obwohl sie nach der Neuwahl die meisten Sitze in der Nationalversammlung gewonnen haben", so Kempin. Stattdessen habe sich Macron für eine Regierung mit Barnier an der Spitze entschieden, die bei Abstimmungen von den RN-Abgeordneten als einem Zünglein an der Waage abhängig ist. Die Linken erheben zu Recht den Vorwurf, Macron habe den Wählerwillen missachtet, sagt Kempin.

Chaos wegen Verhandlungen über den Haushalt 2025

Das linke Bündnis hatte Anfang Oktober bereits einen Misstrauensantrag gegen Barnier gestellt. Barnier überstand das Votum jedoch, weil der RN sich nicht anschloss. Man wolle die Regierung an ihren Taten messen, hieß es damals aus der Partei. Das Chaos brach dann aufgrund der Verhandlungen über den Haushalt 2025 los.

Die Abstimmungen über den Sozialhaushalt nehmen die Rechtspopulisten zum Anlass, um sich gegen Barnier aufzubäumen. Dabei verfolgt der mit seiner Sparpolitik ein wichtiges Ziel: Er will Frankreichs immense Staatsverschuldung in den Griff bekommen. Bei der Neuverschuldung Frankreichs dieses Jahr wird die von der EU vorgegebene Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes mit stattlichen 6,2 Prozent gerissen, wie die EU-Kommission erwartet.

Frankreichs Schuldenstand dürfte sich im kommenden Jahr auf mehr als 115 Prozent der Wirtschaftsleistung summieren. Die EU-Obergrenze liegt eigentlich bei 60 Prozent. Das alles wirkt sich negativ auf Frankreichs Kreditwürdigkeit aus, was wiederum die Schuldenaufnahme des Landes teurer macht. Die zuletzt steigenden Renditen französischer Staatsanleihen beunruhigen die Geldmärkte.

Le Pen fürchtet Urteil in Pariser Prozess

Doch diese Situation hielt weder Linke noch Rechte davon ab, gegen Barniers Sparkurs Sturm zu laufen. Barnier hatte Le Pen bereits weitreichende Zugeständnisse gemacht, um das Misstrauensvotum zu verhindern. Zunächst gab er seine Pläne auf, die Stromsteuer zu erhöhen. Dann wollte er ihr auch bei der Erstattung von Medikamentenkosten entgegenkommen. Le Pen ließ jedoch die Muskeln spielen. Sie forderte weitere Maßnahmen wie etwa den Verzicht darauf, Rentenerhöhungen ab Januar nicht mehr an die Inflation zu koppeln. Als Barnier das ablehnte, erklärte Le Pen: "Die Franzosen haben genug."

Indem sie hoch pokert, wolle Le Pen die Position des RN bis zu den nächsten Parlamentswahlen verbessern, sagt SWP-Expertin Kempin. "Sie stellt so auch parteiintern klar, wer die Fäden zieht - besonders gegenüber dem RN-Vorsitzenden Jordan Bardella." Viel Zeit bleibt Le Pen nicht. Schon ab Anfang 2025 könnte sie für fünf Jahre davon ausgeschlossen werden, in öffentliche Ämter gewählt zu werden.

Grund dafür ist das Urteil in einem Pariser Prozess, in dem Le Pen sich wegen möglicher Scheinbeschäftigung von Assistenten im EU-Parlament verantworten muss. Neben fünf Jahren Haft, teils auf Bewährung, sowie einer Geldbuße von 300.000 Euro forderte die Staatsanwaltschaft einen fünfjährigen Verlust des passiven Wahlrechts für die Politikerin. Dies würde ihr den Weg zum obersten Ziel versperren: der Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2027.

Macrons Chancen schwinden zusehends

Beobachter spekulieren, ob Le Pen auf einen Rücktritt Macrons und einen anschließenden Sieg bei vorgezogenen Präsidentschaftswahlen hofft. Als Staatschefin würde Le Pen Immunität genießen. Ein Schuldspruch wäre dann nicht rechtskräftig. Kempin glaubt jedoch nicht an dieses Kalkül: "Die Organisation einer Präsidentschaftswahl bis zum erwarteten Urteil im März kann kaum funktionieren, auch angesichts der komplizierten Situation des Staatshaushalts."

Neben einem freiwilligen Rücktritt bliebe Macron laut der französischen Verfassung theoretisch auch noch die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen. Davon kann er nach den Neuwahlen im Juni jedoch frühestens wieder im nächsten Sommer Gebrauch machen. Und Macrons Niederlage im Juli war herb.

Mit dem wahrscheinlichen Sturz der Regierung am Mittwoch droht nach nur einigen Monaten der nächste Schlag. Im Pokerspiel gegen Le Pen und die Linken bleibt Macron noch eine Option: Er muss schnellstmöglich einen Nachfolger für Barnier finden, der die Lagerkämpfe zwischen seinen Liberalen, den Linken und dem RN befrieden kann, um einen Haushalt fürs kommende Jahr zu verabschieden. "Viele Franzosen machen Macron für die politische Instabilität Frankreichs verantwortlich, deshalb muss er schnell wieder das Heft des Handelns in die Hand nehmen", sagt Kempin. Falls ihm das nicht gelingt, werden die Rufe nach seinem Rücktritt wahrscheinlich lauter. Macrons Vorliebe für Überraschungseffekte ist bekannt. Viele Chancen für einen klugen Zug bleiben ihm nicht mehr.

Quelle: ntv.de, mit rts, dpa

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