Stagnation im Winter Paris und Berlin ziehen Euro-Wirtschaft runter
22.11.2024, 16:54 Uhr Artikel anhören
"Viel schlimmer hätte es kaum kommen können", urteilt ein Analyst zur Umfrage.
(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)
In den europäischen Chefetagen trübt sich der Blick auf die Lage ein. In der Industrie weitet sich die Krise aus - und nun schwächeln auch noch die Dienstleister. Vor Experten rückt eine Erholung der Konjunktur damit in einige Ferne. Einer der Gründe für den Pessimismus ist auch die politische Schwäche Deutschlands und Frankreichs.
Die Wirtschaft der Eurozone ist einer Unternehmensumfrage zufolge im November überraschend auf Rezessionskurs geschwenkt. Der am Finanzmarkt viel beachtete Einkaufsmanagerindex sank um 1,9 auf 48,1 Punkte und damit auf ein Zehn-Monats-Tief, wie der Finanzdienstleister S&P Global mitteilte. Das Barometer rutschte somit wieder unter die Wachstumsschwelle von 50 Zählern. Ökonomen hatten hingegen mit einem unveränderten Wert von 50 Punkten gerechnet. "Viel schlimmer hätte es kaum kommen können", bilanzierte Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, die die Umfrage sponsert. "Während sich die Rezession im verarbeitenden Gewerbe der Eurozone vertieft, taucht der Dienstleistungssektor nach zwei Monaten nur moderaten Wachstums in die Schrumpfungszone ab."
Der Indikator fasst Industrie und Dienstleister zusammen und fußt auf Einschätzungen von Führungskräften zum Geschäftsumfeld. Die Aussichten der befragten Manager für die nächsten zwölf Monate sanken auf den tiefsten Wert seit mehr als drei Jahren. Der Mangel an Neuaufträgen sorgte dafür, dass der sechste Auftragsrückgang in Folge stark ausfiel. Da auch die Auftragsbestände abnahmen, sank die Beschäftigung etwas.
Es sei kein Zufall, dass die politische Unsicherheit in den zwei größten Volkswirtschaften der Eurozone zuletzt massiv zugenommen habe, sagte De la Rubia. Denn in Frankreich wackele die Regierung und in Deutschland gebe es Neuwahlen. Dies und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten dürften dazu beigetragen haben, dass es mit der Wirtschaft schneller bergab gehe. "Man fährt nur noch auf Sicht."
Das Barometer für die Industrie sank um 0,8 auf 45,2 Punkte. Der Indikator für die Service-Branche fiel um 2,4 auf 49,2 Zähler. Diese Daten hätten den Hoffnungen auf eine baldige Konjunkturwende zum Besseren einen spürbaren Dämpfer versetzt, sagte Commerzbank-Experte Ralph Solveen. "Vielmehr dürfte die Wirtschaft im Winterhalbjahr weitgehend stagnieren." Eine Belebung der Euroraum-Wirtschaft sei für die kommenden Monate nicht in Sicht - "und Frankreich wird zunehmend neben Deutschland zu ihrem zweiten Schwachpunkt". Auch Chefökonom Thomas Gitzel von der VP-Bank zeigte sich pessimistisch: "Die Hoffnung auf eine konjunkturelle Besserung wird mit dem Einkaufsmanagerindex zu Grabe getragen." Die Trendwende im verarbeitenden Gewerbe lasse noch länger auf sich warten.
Wirtschaftsverbände schlagen Alarm
Der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft in Deutschland sank im November ebenfalls - um 1,3 auf 47,3 Punkte. Dies ist der niedrigste Wert seit neun Monaten.
Auch die deutsche Industrie selbst sieht sich stark unter Druck und erwartet 2024 das dritte Jahr in Folge eine schrumpfende Produktion. "Besonders problematisch ist, dass die deutschen Leitbranchen in diesem Jahr mit starken Rückgängen zu kämpfen haben", erklärte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rief wegen zu hoher Kosten und struktureller Probleme am Standort Deutschland die Politik erneut zu Reformen auf. Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall äußerte sich kritisch. "Die Politik hat nichts für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts getan, daher finden die Investitionen im Ausland statt", sagte Verbands-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander.
Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) forderte von der nächsten Bundesregierung eine grundlegende Kursänderung in der Wirtschaftspolitik. "Die Nachfrage nach deutschen Produkten bei unseren größten Handelspartnern USA und China sinkt, die Verunsicherung der Unternehmen steigt angesichts der politischen Turbulenzen noch weiter", erklärte BGA-Präsident Dirk Jandura.
Quelle: ntv.de, jwu/rts