Geht das wirklich? Petition will Höcke Grundrechte entziehen
16.01.2024, 11:57 Uhr Artikel anhören
Die Autoren der Petition fordern, Björn Höcke solle der freiheitlichen Demokratie keinen weiteren Schaden zufügen können.
(Foto: picture alliance / Sammy Minkoff)
Er könnte nicht mehr wählen, nicht mehr gewählt werden. Eine Petition verlangt, dem rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn Höcke die Grundrechte zu nehmen. Das würde dessen Kandidatur bei den Landtagswahlen dort im September verhindern. Und: Dafür gibt es tatsächlich eine gesetzliche Grundlage.
Mit der Überschrift "Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!" fordert eine Petition auf der Plattform "Campact" den Entzug der Grundrechte des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke. Die Aktion ist explizit an Kanzler Olaf Scholz und die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Union, Grüne, FDP und Linke gerichtet. Die Autoren der Petition fordern die Bundesregierung auf, gegen Höcke "einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 GG" zu stellen. Bereits mehr als 950.000 Menschen haben die Online-Petition unterzeichnet (Stand Dienstag, 11.20 Uhr). Doch hat eine solche Forderung überhaupt Aussicht auf Erfolg? Kann man Bundesbürgern tatsächlich die im Grundgesetz verankerten Grundrechte entziehen?
Tatsächlich ist es laut Artikel 18 des Grundgesetzes möglich, einzelnen Bürgern Grundrechte zu entziehen. Begründet würde dies mit der sogenannten "Grundrechtsverwirkung". Der Artikel wurde bewusst von den Vätern des Grundgesetzes aufgenommen, um sich gegen einzelne Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu wehren. Dabei kann das Gesetz gegen ganze Parteien auf Bundes- oder Landesebene eingesetzt werden, ebenso wie gegen Einzelpersonen.
Im Gesetzestext heißt es dazu: "Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit, das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das Eigentum oder das Asylrecht zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte." Das Bundesverfassungsgericht würde nach dem Antrag, der von der Bundesregierung, vom Bundestag oder einer Landesregierung gestellt werden kann, über das Ausmaß und die Dauer der Verwirkung entscheiden.
Grundrechtsverwirkung noch nie beschlossen
Die Grundrechtsverwirkung wäre die Basis dafür, dass Höcke mittels Paragraf 39 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sein aktives und passives Wahlrecht verlieren kann. Damit würde er als Spitzenkandidat ausfallen und könnte zudem als Wähler seine Stimme nicht abgeben.
Genau dies müsse geschehen, "damit Björn Höcke der freiheitlichen Demokratie keinen weiteren Schaden zufügen kann", so die Autoren der Petition. Wichtig sei dies mit Blick auf die Landtagswahlen in Thüringen im kommenden September. Laut Umfrage würde die von Höcke geführte AfD, die vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" geführt wird, derzeit stärkste Kraft werden.
Seit dem Bestehen der Bundesrepublik gab es den Fall der geurteilten Grundrechtsverwirkung noch nie. Laut "Frankfurter Rundschau" gab es bislang vier angestrebte Fälle, die jeweils wegen nicht (mehr) belegter Gefährlichkeit fallen gelassen wurden.
Die Zeit läuft für Hocke
1960 richtete sich ein Verfahren gegen den Vize-Chef der Sozialistischen Reichspartei, Otto Ernst Remer. Die Partei sah sich in der Tradition der NSDAP und wurde bereits 1952 verboten. Das von der Bundesregierung angestrebte Verfahren gegen Remer wurde eingestellt, weil er sich nach dem Verbot seiner Partei aus der Politik zurückzog und damit seine "Gefährlichkeit nicht festzustellen sei."
1974 scheiterte der Antrag auf Entzug des Wahlrechts des früheren Herausgebers der Deutschen Nationalzeitung, Gerhard Frey, und der Auflösung des Zeitungsverlages. Die Bundesregierung begründete dies mit rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Inhalten der Zeitung. Das Bundesverfassungsgericht wies den Antrag zurück, weil es den Einfluss der Zeitung als "zu gering" einschätzte.
Die jüngsten Beispiele eines Antrages stammen aus dem Jahr 1996. Nach den Mordanschlägen von Mölln 1992 hatte der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters einen Grundrechtsentzug für die beiden Neonazis Thomas Dienel und Heinz Reisz beantragt. Der zweite Senat wies den Antrag aber zurück, da die Freiheitsstrafen beider wegen positiver Prognosen zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Neben den hohen Hürden bei der festzustellenden Gefährlichkeit könnte aber auch ein anderer Faktor einen Strich durch die Rechnung der Petitionsautoren machen: In der Vergangenheit sind zwischen der Einreichung eines Antrags wegen Grundrechtsverwirkung und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts durchschnittlich vier Jahre vergangen. Im Fall Höcke dürfte dieser Vorgang nicht einmal neun Monate dauern.
Dieser Text erschien zuerst bei stern.de
Quelle: ntv.de