Nach Anschlag bei Moskau Russische Ermittler fassen elf Terrorverdächtige
23.03.2024, 07:37 Uhr Artikel anhören
Der Angriff wurde von mehreren Bewaffneten auf die Crocus City Hall verübt, eine Konzerthalle im Nordwesten Moskaus.
(Foto: AP)
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekennt sich zu dem Anschlag auf einen Konzertsaal am Rande Moskaus. Mehr als 100 Menschen sterben im Kugelhagel und infolge des Brandes. Ermittler stellen Waffen und Munition sicher. Nach einer Autoverfolgungsjagd werden mehrere Verdächtige festgenommen.
Nach dem Anschlag bei Moskau auf eine Konzerthalle hat es nach Angaben des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB bisher elf Festnahmen gegeben. Vier der Festgenommenen sollen direkt an dem Angriff auf das Veranstaltungszentrum beteiligt gewesen sein, wie FSB-Chef Alexander Bortnikow nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS sagte.
Zu den Festnahmen teilte der russische Parlamentsabgeordnete Alexander Chinstein mit, dass am Freitagabend ein mutmaßliches Fluchtfahrzeug mit Waffen im Inneren im Gebiet Brjansk gestoppt worden sei. Weitere Verdächtige würden in einem Wald gesucht, teilte er auf Telegram mit. Das Fahrzeug habe am Freitagabend bei einer Verfolgungsjagd der Polizei nicht angehalten, sei beschossen worden und habe sich dann überschlagen. "Ein Terrorist wurde auf der Stelle festgenommen, die anderen haben sich im Wald versteckt", sagte Chinstein. Am frühen Morgen sei ein zweiter Verdächtiger festgenommen worden.
Die Suche nach den anderen mutmaßlichen Tätern werde fortgesetzt. Im Inneren des Fahrzeugs seien eine Pistole, ein Patronenmagazin und eine Kalaschnikow sowie Pässe von Bürgern der zentralasiatischen Republik Tadschikistan gefunden worden. Wenig später gab der Inlandsgeheimdienst bekannt, dass insgesamt elf Verdächtige festgenommen worden seien.
In dem großen Konzertsaal der Crocus City Hall mit Tausenden Plätzen hatten am Freitag Täter offenbar wahllos auf Besucher geschossen. Menschen, die um ihr Leben rannten, und Verletzte berichteten in sozialen Netzwerken von vielen Opfern. Zudem gab es Explosionen in dem Gebäude und einen Großbrand. Nach Angaben des russischen Ermittlungskomitees setzten die Angreifer "automatische Waffen" sowie eine brennbare Flüssigkeit ein. "Die Terroristen nutzten eine brennbare Flüssigkeit, um in den Räumen der Konzerthalle ein Feuer zu legen, in denen sich Zuschauer befanden und auch Verletzte", hieß es in einer Mitteilung des Komitees.
Zahl der Todesopfer steigt weiter
Die Zahl der Toten bei dem Anschlag stieg unterdessen auf mindestens 115. Beim Wegräumen der Trümmer in der Konzerthalle des Zentrums hätten Einsatzkräfte weitere Leichen gefunden, teilte das Moskauer Ermittlungskomitee bei Telegram mit. Zuvor war von mindestens 60 Toten die Rede gewesen. Unter den Opfern sollen mindestens drei Kinder sein, zudem gab es mehr als 100 Verletzte.
Die russischen Behörden machten auch am Morgen zunächst weiter keine Angaben zu möglichen Hintergründen der Tat. Auch zu einem Bekennerschreiben der Terrormiliz Islamischer Staat gab es keine Bewertung von offizieller russischer Seite. Die Terrorermittlungen dauerten an, hieß es.
Die Lage an der Crocus City Hall war am Morgen unterdessen ruhig. Einsatzkräfte löschten Glutnester nach dem Großbrand, wie die Feuerwehr mitteilte. Nach dem kompletten Löschen sollten die Trümmer des eingestürzten Daches der Konzerthalle beseitigt werden. Polizei, Nationalgarde und Ermittlungskomitee nahmen die Schäden auf und sicherten Spuren. Die Crocus City Hall im Nordwesten der russischen Hauptstadt gehört zu den beliebtesten Veranstaltungszentren der Millionenmetropole. Dort werden immer wieder auch Messen und Ausstellungen organisiert.
IS reklamiert Anschlag für sich
Nach dem Anschlag haben Ermittler Waffen und Munition in dem Gebäude sichergestellt. Das zeigte ein kurzes Video des Ermittlungskomitees. Zu sehen sind ein Maschinengewehr vom Typ Kalaschnikow und Gurte voller Magazine. Tütenweise sammelten die Ermittler die Hülsen verschossener Patronen ein. Die Opfer des Anschlags seien bis zum Samstagmorgen alle aus dem Gebäude gebracht worden, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS unter Berufung auf einen Korrespondenten am Ort des Geschehens.
Die Terrormiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag für sich, wie das IS-Sprachrohr Amak im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Quellen meldete. Experten gehen davon aus, dass dieses Bekennerschreiben echt ist. Nach den Tätern wurde nachts gesucht.
Feuerwehrleute kämpften über Stunden gegen ein Feuer in dem riesigen Gebäude, das auf fast 13.000 Quadratmetern Fläche brannte. Nachdem es zunächst geheißen hatte, das Feuer sei unter Kontrolle, zeigten sich morgens erneut offene Flammen, wie TASS meldete. Sie schlugen aus dem Gebäudeinneren und waren auf dem Dach klar zu sehen. Die Feuerwehr löschte mit Wasser von außen. Löschhubschrauber, die anfangs im Einsatz waren, seien aber abgezogen worden. Crocus City mit Konzert- und Veranstaltungshallen sowie einem Einkaufszentrum liegt direkt am Stadtrand von Moskau in der Stadt Krasnogorsk. In der Konzerthalle wollte die russische Rockgruppe Piknik am Freitagabend auftreten.
Einem Reporter der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge stürmten Menschen in Tarnkleidung in den Konzertsaal, ehe sie das Feuer eröffneten und eine Granate oder eine Brandbombe warfen, was ein Feuer ausgelöst habe. Die Agentur Interfax berichtete unter Berufung auf Sicherheitsdienste von zwei bis fünf Menschen, die mit automatischen Waffen das Feuer eröffnet hätten.
Der IS, der Russland in der Vergangenheit mehrfach ins Visier genommen hatte, schrieb im Onlinedienst Telegram, Kämpfer hätten "eine große Zusammenkunft (...) am Rande der russischen Hauptstadt Moskau" angegriffen. Die Angreifer hätten sich "sicher in ihre Stützpunkte zurückgezogen". Terrorexperten halten das IS-Bekenntnis für echt.
Putin äußert sich nicht öffentlich
Die den russischen Sicherheitsbehörden nahestehenden Telegram-Kanäle Basa und Masch veröffentlichten Videos, auf denen mindestens zwei bewaffnete Männer zu sehen sind, die in die Halle vorrücken, sowie weitere, auf denen Leichen und zum Ausgang eilende Gruppen von Menschen zu sehen sind. Weitere Aufnahmen zeigen Konzertbesucher, die sich hinter Sitzen verstecken. Dem russischen Katastrophenschutzministerium zufolge konnte die Feuerwehr rund 100 Menschen evakuieren, die sich im Keller befanden.
Journalisten der Nachrichtenagentur AFP sahen das Gebäude in Flammen, schwarze Rauchschwaden stiegen auf. Viele Polizei- und Rettungskräfte waren im Einsatz. Den Rettungsdiensten zufolge breiteten sich die Flammen auf fast 13.000 Quadratmeter des Gebäudes aus, ehe der Brand eingedämmt werden konnte. Angaben zur Anzahl der möglicherweise im Inneren eingeschlossenen Menschen wurden nicht gemacht.
Den russischen Behörden zufolge wurde eine Untersuchung wegen eines "terroristischen Akts" eingeleitet. Präsident Wladimir Putin wünschte den Opfern über die stellvertretende Ministerpräsidentin Tatjana Golikowa eine schnelle Genesung und dankte den Ärzten. Öffentlich äußerte er sich zu dem Angriff auf den Konzertsaal zunächst jedoch nicht. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin sagte alle öffentlichen Veranstaltungen für das Wochenende ab. Museen und Theater kündigten Schließungen an.
Dem russischen Fernsehen zufolge wurden erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen, etwa an den Moskauer Flughäfen und anderen Großstädten des Landes. Die russische Nachrichtenagentur TASS meldete, der Rote Platz in Moskau sei von Sicherheitskräften abgeriegelt worden.
"Verabscheuungswürdiges Verbrechen"
Das russische Außenministerium verurteilte den Angriff bei Moskau als ein "verabscheuungswürdiges Verbrechen", das die "gesamte Weltgemeinschaft" verurteilen müsse. Die Ukraine stritt jegliche Verantwortung für den Angriff ab. Der ukrainische Militärgeheimdienst beschuldigte "die russischen Spezialdienste", hinter dem Angriff zu stecken, um die Ukraine beschuldigen zu können.
Das Weiße Haus in Washington erklärte die Anteilnahme der USA für die Opfer des "schrecklichen Angriffs". Die US-Botschaft in Russland hatte ihre Bürger vor zwei Wochen davor gewarnt, dass "Extremisten unmittelbar bevorstehende Pläne haben, große Versammlungen in Moskau, einschließlich Konzerte, ins Visier zu nehmen". Das Weiße Haus erklärte, die USA hätten diese Informationen mit den russischen Behörden geteilt.
Das Auswärtige Amt in Berlin schrieb im Onlinedienst X: "Die Bilder von dem furchtbaren Angriff auf unschuldige Menschen in der Crocus City Hall bei Moskau sind schrecklich." Die EU äußerte sich "bestürzt über die Berichte über einen Terroranschlag". Die EU verurteile "alle Angriffe auf Zivilisten". Auch andere Staaten sowie UN-Generalsekretär António Guterres und der Sicherheitsrat verurteilten den Angriff.
Quelle: ntv.de, gut/AFP/dpa/rts