Die Kriegsnacht im Überblick Russland nimmt 2439 Kämpfer aus Stahlwerk gefangen - Gaslieferungen nach Finnland eingestellt
21.05.2022, 07:27 Uhr
Die letzte Bastion der ukrainischen Armee in Mariupol ist gefallen: Nach erbitterten Stellungskämpfen verkündet Moskau die Einnahme des Stahlwerks Asowstal. Das Schicksal der Soldaten ist ungewiss. Die russischen Angriffe auf Ziele im Osten gehen weiter. Wegen der massiven Zerstörung in seinem Land regt Präsident Selenskyj einen Fonds für Entschädigungszahlungen an. Davon sollen auch andere angegriffene Länder profitieren.
Moskau verkündet Einnahme des Stahlwerks
Nach Wochen heftiger Kämpfe hat Russlands Armee eigenen Angaben zufolge das Stahlwerk Asowstal in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol komplett unter ihre Kontrolle gebracht. Alle feindlichen Kämpfer hätten sich ergeben, teilte das Verteidigungsministerium in der Nacht in Moskau mit. Die weitläufige Industrieanlage am Asowschen Meer war der letzte Ort in der strategisch wichtigen Hafenstadt im Südosten der Ukraine, der noch nicht vollkommen unter russischer Kontrolle gestanden hatte. Die ukrainische Seite äußerte sich zunächst nicht zur angeblichen Einnahme des Werks.
Nach Angaben aus Moskau kamen seit dem 16. Mai insgesamt 2439 ukrainische Soldaten, die sich in den Bunkeranlagen aus Sowjetzeiten verschanzt hatten, in russische Gefangenschaft. Am Freitag sei die letzte Gruppe von 531 Kämpfern gefangen genommen worden, hieß es. Das Stahlwerk war seit dem 21. April von russischen Truppen belagert worden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte - in einem noch vor der russischen Verkündung der Einnahme aufgenommenen Fernsehinterview - den Westen für die Entwicklung mitverantwortlich. Er habe die westlichen Staats- und Regierungschefs wiederholt aufgefordert, sein Land mit "geeigneten Waffen" zu versorgen, "damit wir Mariupol erreichen können, um diese Menschen zu befreien".
Russland stoppt Gaslieferung an Finnland
Russland hat seine Gaslieferungen nach Finnland gestoppt. "Die Erdgaslieferungen nach Finnland im Rahmen des Gasum-Liefervertrags wurden ausgesetzt", teilte der staatliche finnische Energiekonzern Gasum am frühen Morgen mit. Der russische Energieriese Gazprom hatte den Lieferstopp am Freitag unter Verweis auf den Streit um Rubel-Zahlungen angekündigt. Gasum erklärte, Gas werde nun aus anderen Quellen über die Balticconnector-Pipeline bezogen, die Finnland und Estland miteinander verbindet. Bereits am Freitag hatte Gasum betont, dass ein russischer Lieferstopp nicht zu Versorgungsproblemen in Finnland führen werde.
Gazprom hatte am Freitag angekündigt, die Gaslieferungen nach Finnland einzustellen. Als Grund gab das Unternehmen an, dass die April-Lieferungen nicht fristgemäß bezahlt worden seien. Gasum hatte die Forderung aus Moskau abgelehnt, Rechnungen in Rubel zu begleichen. Der Gas-Lieferstopp erfolgt wenige Tage nach der offiziellen NATO-Bewerbung Finnlands.
Ex-NATO-Generalsekretär kritisiert deutsche Zurückhaltung
Der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kritisierte den zurückhaltenden Kurs der Bundesregierung in diesem Punkt. Deutschland sei "zu zögerlich bei der Lieferung schwerer Waffen und bei der Verhängung von Sanktionen", sagte der Däne dem "Handelsblatt". "Natürlich ist Deutschland in hohem Maße von russischen Gasimporten abhängig, doch ich denke, eine klare Haltung der Bundesregierung würde die gesamte Dynamik in der Ukraine verändern. Wir brauchen deutsche Führung." Rasmussen forderte einen sofortigen Stopp aller Öl- und Gasimporte aus Russland nach Europa.
Fonds für Entschädigung gefordert
Wegen der massiven Zerstörung in seinem Land brachte Selenskyj in seiner nächtlichen Videoansprache einen Fonds ins Gespräch für Entschädigungszahlungen an Länder, denen Russland mit Angriffen Schaden zugefügt habe. Das könne in einem "multilateralen Abkommen" geregelt werden. Selenskyj schlug vor, russisches Kapital und Eigentum im Ausland einzufrieren oder zu beschlagnahmen und diesem neuen Fonds zuzuführen. "Das wäre gerecht", meinte er. Die Kriegsschäden in der Ukraine summieren sich ukrainischen Schätzungen zufolge schon jetzt auf Hunderte Milliarden Euro. Russland hatte Ende Februar seinen Angriff auf das Nachbarland begonnen.
Russische Angriffe gehen weiter
Selenskyj machte Russland auch für einen Raketenangriff auf ein Kulturzentrum im Osten des Landes mit acht Verletzten verantwortlich. Bei dem Beschuss in der Stadt Losowa im Gebiet Charkiw sei auch ein elf Jahre altes Kind verletzt worden, schrieb das Staatsoberhaupt im Nachrichtenkanal Telegram. "Die Besatzer haben Kultur, Bildung und Menschlichkeit als ihre Feinde identifiziert." Russland wiederum warf der Ukraine vor, zivile Objekte für militärische Zwecke zu missbrauchen.
Das bringt der Tag
- Nach der Einnahme des Stahlwerks in Mariupol ist unklar, ob Russland Angaben zum Verbleib der festgenommenen ukrainischen Kämpfer machen wird. Das Verteidigungsministerium in Moskau veröffentlichte ein Video von der Festnahme der Männer. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte zugesichert, dass sie am Leben bleiben und medizinisch versorgt würden, wenn sie sich ergeben.
- Die Kämpfe im Osten des Landes gehen unvermindert weiter. Inwiefern eine der beiden Kriegsparteien Geländegewinne oder andere militärische Erfolge vermeldet, bleibt abzuwarten.
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Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP