Politik

Experte zu Handel mit Öl und Gas "Russland wird dieses Jahr Rekordeinnahmen haben"

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Die üppigen Einnahmen aus dem Energiehandel werden die Erwartungen in diesem Jahr noch übertreffen.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Kommt Putins Regime durch die westlichen Sanktionen in Bedrängnis? Nein, sagt Experte Janis Kluge von der Stiftung WIssenschaft und Politik. Die Wirtschaft nimmt Schaden, der Präsident jedoch kann 2022 Rekordeinnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft erwarten. Nur ein Energie-Embargo würde das verhindern.

ntv.de: Die Sanktionen des Westens sind hart und effektiv, darüber herrscht offenbar weitgehend Einigkeit. Würde ein Energie-Embargo da noch solch einen Unterschied machen?

Janis Kluge: Die Sanktionen werden die russische Wirtschaft bereits in die Krise führen. Das Problem ist: Das Regime selbst steht trotzdem noch relativ gut da. Im russischen Haushalt wird es in diesem Jahr voraussichtlich sogar einen Überschuss geben …

Darf ich da kurz einhaken: Russland wird trotz der Sanktionen in diesem Jahr mehr Geld einnehmen als es erwartet hat? Wie kann das sein?

Der russische Haushalt basierte in der Vergangenheit zu 40 bis 50 Prozent, also fast zur Hälfte, auf Geschäften mit Öl und Gas. Der Staat verdient enorm an Fördersteuern und Exportzöllen. Die Einnahmen bekommt er in Rubel, und ihre Höhe wird durch zwei Faktoren bestimmt: zum einen durch die Energiepreise am Weltmarkt und zum anderen durch den Rubelkurs.

Wie sieht es da aktuell aus?

82 Dollar ist gerade der Marktpreis für ein Barrel russisches Öl. Damit unterbieten die Russen die Konkurrenz, liegen aber noch deutlich über dem Preis, den der Kreml mal für seine Haushaltsplanung zugrunde gelegt hat: Das waren nur 62 Dollar pro Barrel.

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Dr. Janis Kluge ist Wissenschaftler der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien der Stiftung Wissenschaft und Politik. Zu seinen Schwerpunkten gehören das russisch-chinesische Verhältnis, russische Innenpolitik sowie Sanktionen und ihre Wirkung.

(Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP))

Wie steht es mit dem Rubelkurs als zweitem Faktor?

Russland hat den Staatshaushalt mit einem Dollar-Rubelkurs von 72 geplant, nun steht der Rubel aber bei 85, also deutlich schwächer, aber mit Blick auf Energieexporte ist das ein Vorteil. Wenn wir den Ölpreis mit dem Rubelkurs multiplizieren, zeigt das: Moskau hat mit Einnahmen von etwa 4500 Rubel pro Barrel Öl gerechnet, bekommt aber viel mehr, rund 7000 Rubel.

Wie sieht es bei den Einnahmen aus dem Gasgeschäft aus?

Da ist es zum Teil noch extremer, weil der Gaspreis an den Spotmärkten sich innerhalb des letzten Jahres verfünffacht hat. Gas hat zwar bislang noch keine so große Rolle für den Haushalt gespielt, etwa im Verhältnis 1 zu 4, verglichen mit Öl. Aber in diesem Jahr könnte Gas ähnlich viel bringen, da sich viele der Verträge an den Spotpreis anpassen. Das heißt, Gazprom wird Rekordeinnahmen haben.

Es gibt also keinerlei Grund zur Annahme, dass Putin in Kürze das Geld ausgeht.

Nein. Russland werden zwar durch die bisherigen Sanktionen Einnahmen wegbrechen an Gewinnsteuern oder Umsatzsteuern, dazu kommt die Inflation, die in diesem Jahr sehr hoch sein wird. Aber durch die Rekordeinnahmen mit Öl und Gas werden diese Verluste nicht nur ausgeglichen, sondern Putin geht höchstwahrscheinlich mit einem deutlichen Plus an Einnahmen aus diesem Jahr.

Spielen die Kosten des Krieges da noch eine Rolle?

Die laufenden Kosten der Militäroperation sind im Vergleich gering, sie werden kein Problem darstellen. Das heißt, der Haushaltsüberschuss wird Putin die Möglichkeit geben, Schäden durch Sanktionen mit Geld zu kompensieren, Teile der russischen Wirtschaft vor den Auswirkungen der Sanktionen ein Stück weit zu schützen.

Deutsches Geld füllt also Putins Staatshaushalt. Treibt es auch den Rubelkurs nach oben?

Das ist ein zweiter, wichtiger Faktor. Der Rubelkurs hat sich größtenteils erholt vom ersten Schock der Sanktionen. Das hat unter anderem die russische Zentralbank erreicht, indem sie es praktisch unmöglich macht, in Russland Dollar zu kaufen oder Devisen aus dem Land zu bringen.

Gleichzeitig verdienen Rosneft und Gazprom in Dollar.

Und der russische Staat zwingt sie dazu, 80 Prozent ihrer Einnahmen in Rubel einzutauschen. Damit wird eine Nachfrage nach Rubeln künstlich hergestellt, die es ansonsten nicht in dieser Höhe gäbe. Durch diese Nachfrage und die Kontrollen der Zentralbank steht der Rubel inzwischen wieder ganz gut da. Das ist entscheidend, denn der Wert des Rubels ist das wichtigste Symbol für die Situation der russischen Wirtschaft. Auch die Bevölkerung schaut sehr auf den Rubelkurs. Diese vermeintliche Rubelstärke und die Haushaltseinnahmen - das beides erreicht Putin derzeit mit den hohen Deviseneinnahmen aus dem Handel mit Öl und Gas.

Wie weit könnte man Putins Deviseneinnahmen drücken?

Eine Halbierung wäre mindestens möglich, vorübergehend wahrscheinlich noch mehr. Denn die Umstellung auf andere Kunden ist beim Energiehandel nicht einfach.

Weil der Verlauf der Pipelines bestimmt, wo das Gas hingeht?

Das landgebundene Pipeline-Netz aus Westsibirien lässt sich nicht umlenken, genau. Bis auf das Gas, das flüssig als LNG transportiert würde, müsste das meiste für den europäischen Markt bestimmte Gas in der Erde bleiben. Das Öl könnte man schon teilweise umleiten, aber mit Aufwand und mit Verzögerungen. Das Öl der Druschba-Pipeline müsste erstmal zu Russlands Häfen kommen und dann auf Schiffe Richtung Asien verladen werden. Den gesamten Ölhandel nach Asien umzuleiten, würde Russland vermutlich ein Jahr kosten. Dadurch könnte man die Deviseneinnahmen also erstmal deutlich reduzieren.

Würde ein Energie-Embargo noch weitere Wirkung entfalten?

Bestimmte Sanktionen hat der Westen bislang nicht eingeführt, weil er den Energiehandel schützen wollte. Mehrere Banken, die man sofort hätte sanktionieren müssen, weil sie wichtige Instrumente des Regimes sind - wie die Gazprombank zum Beispiel -, hat man verschont, damit der Energiehandel möglich bleibt. Würde dieser Handel eingestellt, dann könnte man hier noch ein neues Level von treffsicheren Sanktionen freischalten. Die Spitzen der Energieunternehmen sind besetzt mit Männern aus Putins engstem Umfeld. Das ist das Fundament dieses Regimes.

Bei aller Wirksamkeit: Auch ein Embargo würde nicht dazu führen, dass sich Putin im Mai den Krieg nicht mehr leisten kann. Oder?

Die laufenden Kosten des Krieges sind nicht sehr hoch. Es geht um Sold, Treibstoff, Logistik, Güterversorgung - das sind Kosten, die in Rubel anfallen und stemmbar sind. Die Vorstellung, wir könnten über Finanzierung direkt in diesen Krieg eingreifen, ist falsch. Das funktioniert nicht. Man muss ganz klar sagen: Der Krieg wird jetzt erstmal in der Ukraine entschieden, und fehlendes Geld wird die Panzer nicht stoppen.

Was könnte ein Energie-Embargo also erreichen?

Es kann Putins Kalkül verändern. Ihm muss klar werden, dass der Krieg seine Macht in Russland gefährdet. Mittelfristig wären Sanktionen und Embargo dann auch für Russlands militärische Fähigkeiten sehr schädlich. Das könnte wichtig werden, wenn sich der Krieg länger hinziehen sollte und vielleicht irgendwann doch die NATO involviert wird. Das kann ja derzeit niemand vorhersehen.

Mittelfristig plant allerdings auch Robert Habeck. Bis zum Sommer sollen die Ölimporte halbiert werden, bis Mitte 2024 soll Deutschland weitgehend unabhängig von russischem Gas sein. Reicht dieses Tempo aus, wenn kurzfristige Effekte auf den Krieg ohnehin nicht zu erzielen sind?

Ein Effekt wie die Panzer zu stoppen, also die militärischen Fähigkeiten zu begrenzen, das ist tatsächlich nur langfristig möglich. Aber Sanktionen haben auch andere Effekte, die durch Schnelligkeit deutlich wirkungsvoller sind. Am wichtigsten ist der Signaleffekt: klar zu machen, dass der Westen entschlossen ist, auch wenn es ihn selbst etwas kostet. Dieses Signal ginge nicht nur an Russland, sondern auch - zum Beispiel - an China. Der Westen, die EU, Deutschland sind bereit, sich einzusetzen.

Kalkulieren Länder wie Russland oder China bislang, dass wir das nicht sind?

Solche Konflikte zwischen Ländern laufen strategisch auch wie Spiele ab, wie eine Mutprobe: Zwei Autos rasen direkt aufeinander zu, wer zuerst ausweicht, hat verloren. Ein frühes Energie-Embargo würde Putin zeigen, dass der Westen noch nicht nach drei Sekunden aus der Spur geht. Das beeinflusst wiederum seine Pläne in der Ukraine.

Gibt es weitere Effekte, die man nur früh erzielen kann?

Ein Embargo kann auch Verhandlungsmasse in Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland sein. Selenskyj bekäme etwas in die Hand, was er in Verhandlungen mit Putin einsetzen kann: Wir verlangen einen Rückzug der russischen Truppen, dafür heben unsere Partner das Öl-Embargo auf, als Beispiel. Plant man allerdings ohnehin den Ausstieg aus russischer Energie, dann wird natürlich die Verhandlungsmasse kleiner.

Vor zwei Monaten wollte die Bundesregierung keine konkreten Sanktionen nennen, “damit Russland sich nicht darauf einstellen kann”. Wie relevant ist der Überraschungseffekt?

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Je langsamer der Ausstieg aus dem Energiehandel ist, desto mehr Zeit bleibt Russland, gerade beim Öl, die Handelsströme selbst auch umzustellen und die Schäden auszugleichen. Das heißt, wenn wir langsam sind, ist der politische Druck auch geringer.

Mit Janis Kluge sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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