Politik

Kritik zu Hause, Lob in Peking Scholz reist auf Merkels Spuren nach China

Bei seinem ersten Besuch als Kanzler in Asien hatte Olaf Scholz Ende April Japan besucht - und dabei einen Bogen um China gemacht. (Archivbild mit Xi Jinping aus dem Jahr 2017)

Man kennt sich: Präsident Xi und der heutige Kanzler Scholz im Jahr 2017.

(Foto: picture alliance / Carsten Rehde)

Wie immer, wenn ein deutscher Kanzler nach China reist, gibt es im Vorfeld etliche Forderungen. Diesmal kommen sie auch von den Koalitionspartnern. Scholz jedoch nimmt sich offenbar seine Vorgängerin zum Vorbild - und hat eine Wirtschaftsdelegation an Bord. Das wird in China gelobt.

Volkswagen und BMW, BASF und Siemens, Merck und Biontech: Wenn Olaf Scholz am Donnerstag nach China aufbricht, sind auch die Chefs großer deutscher Konzerne mit an Bord. Es wird ein Besuch mit Wirtschaftsdelegation, so wie man sie aus der Amtszeit von Angela Merkel kennt. Und doch ist vieles anders: Das von der Ex-Kanzlerin vorangetriebene Konzept "Wandel durch Handel" ist nicht nur in Bezug auf Russland gescheitert. Auch gegenüber China schlagen deutsche Politik und Wirtschaft einen anderen Ton an, wenn auch nur langsam - und keineswegs einheitlich.

Dass Scholz die Mitnahme einer Wirtschaftsdelegation damit begründet hat, dass das "bisher immer so gemacht" wurde, deutet für den China-Experten Roderick Kefferpütz vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) darauf hin, dass er an seine Amtsvorgängerin anknüpfen möchte. "Allerdings leben wir heute in anderen Zeiten. Die Weltordnung befindet sich im Umbruch", sagt Kefferpütz ntv.de. Einerseits verweist der Experte darauf, dass China über die vergangenen zehn Jahre, in denen Präsident Xi Jinping im Amt ist, immer autoritärer geworden sei. Andererseits sei das politische Umfeld ungünstig. "Während Xi gerade seine Macht gefestigt und sich eine historische dritte Amtszeit gesichert hat, herrscht in der Ampelkoalition offener Dissens über den Umgang mit China", so der Experte.

Die Uneinheitlichkeit über die deutsche China-Strategie wurde zuletzt sehr deutlich beim Streit um den Einstieg der chinesischen Reederei in einen Terminal des Hamburger Hafens. Die sechs beteiligten Ministerien lehnten den Deal ab, das Kanzleramt beharrte darauf. Am Ende wurde der Einstieg verkleinert, Cosco soll 24,9 statt 35 Prozent am Terminal und damit kein ordentliches Mitspracherecht erhalten. "Das Kanzleramt ist da sehr auf der Merkel-Linie der Vergangenheit, sucht Kontinuität. Die wirklich starken Impulse kommen im Moment aus dem Wirtschaftsministerium, aus dem Außenministerium, auch aus dem Bildungsministerium. Die sind für eine sehr viel kritischere Haltung gegenüber China", sagte dazu MERICS-Experte Bernhard Bartsch der Deutschen Welle.

Klare Ansage von Baerbock

Ohne Frage hat der erzwungene Kabinetts-Kompromiss, dem Minister von Grünen und FDP eine Protokollnotiz beifügten, Spuren hinterlassen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sah sich genötigt, den Kanzler vor Reiseantritt an die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zu erinnern: "Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden", sagte sie am Dienstag in Anspielung auf den Cosco-Streit. "Jetzt ist entscheidend, die Botschaften, die wir gemeinsam festgelegt haben im Koalitionsvertrag (…) auch in China deutlich zu machen." Sie meint damit die Bedeutung von Menschenrechten, internationalem Recht und fairen Wettbewerbsbedingungen im Umgang miteinander.

Auch vom kleineren Koalitionspartner FDP gab es Kritik. Im "ntv Frühstart" forderte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine neue China-Strategie. Deutschland dürfe Fehler, die in der Russland-Politik gemacht worden seien, nicht mehr wiederholen. Die vom Kanzler ausgerufene Zeitenwende müsse sich auch auf die China-Politik auswirken. Das Land sei "ein wichtiger Handelspartner, aber auch ein systemischer Rivale - darüber sollten sich alle im Klaren sein, die das Wort Zeitenwende in den Mund nehmen", sagte er und nannte den Cosco-Deal naiv.

"Um die zukünftige China-Politik der Bundesregierung wird gerungen", sagt Kefferpütz. Daraus werde eine andere Politik entstehen. "Das wird keine 180-Grad-Wende und Komplettabkehr der bisherigen deutschen China-Politik, aber eine Neuausrichtung." Die bisherige Strategie sei längst überholt und Deutschland müsse sich dem systemischen Wettbewerb mit China stellen.

"Das ist für China ein Heimspiel"

Die Bundesregierung arbeitet noch daran, diese neue Strategie in einem Papier festzuschreiben. Die EU ist da schon weiter, sie hat ihre China-Strategie 2019 neu ausgerichtet. Doch die Auswirkungen sind noch überschaubar. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schlug Scholz eine gemeinsame China-Reise vor. Aus Berlin kam eine Abfuhr. "Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, ihre China-Politik stärker zu europäisieren", sagt Kefferpütz dazu, stellt aber gleichzeitig fest: "Das ist ein dickes Brett, das man noch nicht wirklich angefangen hat zu bohren."

Schon vor Beginn ist also klar: Für den Kanzler ist diese Reise nicht ohne. Er ist der erste EU-Regierungschef seit 2019, der Peking besucht. Und er ist der erste, der Xi Jinping trifft, nachdem dieser so viel Macht erlangt hat wie einst nur Mao Zedong. Darüber hinaus gebe laut Kefferpütz die chinesische Null-Covid-Strategie Peking die Oberhand, wenn es darum geht, den Besuch und dessen Optik zu gestalten. "Das ist für China ein Heimspiel."

Um Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen, ließ Scholz am vergangenen Freitag durch seinen Sprecher die Themenpalette der Reise ausrichten. Es gehe um "die ganze Bandbreite" der Beziehungen, auch um autokratische Bestrebungen innerhalb Chinas und die Frage der Menschenrechte sowie die "Reziprozität für die Öffnung der chinesischen Märkte", sagte Steffen Hebestreit.

Gerade der letzte Punkt kam angesichts des Cosco-Deals wieder auf. Die Kritik: China schotte sich selbst ab, während es in der ganzen Welt Beteiligungen erwerbe. Kefferpütz hält Forderungen nach mehr Wechselseitigkeit für "nicht unrealistisch". Die Frage sei jedoch, ob dies für Deutschland strategisch klug ist. "China ist schon länger bereit, seinen Markt weiter zu öffnen. Denn damit bringt Peking westliche Unternehmen mitsamt ihren wertvollen Technologien immer tiefer in seinen Markt und macht sie noch abhängiger."

Pekinger Zeitung lobt Scholz' Pragmatismus

Gerade diese Abhängigkeit soll perspektivisch abgebaut werden - als Lehre aus der gescheiterten Russland-Politik. Trotz ihres gemeinsamen Ziels, die Weltordnung zu ihren Gunsten zu ändern, sieht Kefferpütz jedoch Unterschiede zwischen beiden Ländern: "Während Russland ein ordnungspolitisches Vakuum schafft, füllt China es und bietet eine neue geopolitische Verortung", erklärt er. "Langfristig ist China für uns eine noch größere Herausforderung. Unsere wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China sind noch ausgeprägter." Zudem verfüge China im Gegensatz zu Russland über mehr Machtmittel und politischen Einfluss in der Welt.

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Scholz' Reise - vor allem deren herausgehobener Zeitpunkt - wird diese Diskussion noch befeuern. Auch in China wird das sehr genau verfolgt. Um die Reise zu einem Erfolg zu machen, müsse sich der Kanzler "auf pragmatische Kooperation konzentrieren und nicht auf Geopolitik - ungeachtet des Drucks radikaler westlicher Politiker und Medien", schrieb die staatliche "Global Times" in einem Kommentar. Die Forderung nach einer Öffnung des chinesischen Markts, nach Sanktionen gegen Russland oder Kritik an Menschenrechten sind demnach tabu. "Unfundierte Forderungen" aus Deutschland nannte die Zeitung "rüde, anmaßend und völlig inakzeptabel". Nicht ohne Lob für den Kanzler hieß es mit Blick auf die Kritik der Koalitionspartner: "Kanzler Scholz will ganz offenkundig konkrete Ergebnisse bei der Reise erzielen - andernfalls würde er all das nicht über sich ergehen lassen."

China, wo Merkel wegen ihres pragmatischen Ansatzes geschätzt wurde, hofft auf Kontinuität. Und Scholz soll diese liefern - er ist immerhin bereits als Merkels Finanzminister bekannt. So bleibt es bei den Koalitionspartnern, den Kanzler von seiner "bisher immer so gemacht"-Haltung abzubringen.

Quelle: ntv.de

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