Grüne machen Scholz China-Ansage "Wir erwarten eine robuste Haltung und klare Worte"
02.11.2022, 16:29 Uhr
Scholz traf Xi zuletzt 2019 persönlich, damals noch als Bundesfinanzminister.
(Foto: picture alliance/dpa)
Der Kanzler reist als erster westlicher Regierungschef seit Jahren nach Peking - kurz nachdem sich Staatschef Xi zum mächtigsten Machthaber sei Mao Zedong hat ausrufen lassen. Das sorgt für Kritik, und auch die Grünen sind nach dem Streit um Chinas Beteiligung am Hamburger Hafen irritiert: Im Interview mit ntv.de dringt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge auf eine andere, entschiedenere Haltung des Kanzlers gegenüber China. "Olaf Scholz muss in die Auseinandersetzung mit Peking gehen", sagt sie und erklärt, warum sie den Einstieg des chinesischen Staatskonzerns Cosco in Hamburg weiter für falsch hält.

Katharina Dröge führt zusammen mit Britta Hasselmann die Grünen-Fraktion im Bundestag.
(Foto: picture alliance/dpa)
ntv.de: Frau Dröge, der Bundeskanzler fliegt zum Staatsbesuch nach Peking. Was für ein Land ist dieses China, das er besucht: ein Partner, ein Rivale oder ein Gegner Deutschlands?
Katharina Dröge: Die Situation in China hat sich in den letzten Jahren massiv verschlechtert. Das gilt vor allem für Menschen- und Freiheitsrechte. Zudem verfolgt China eine zunehmend aggressivere Außenwirtschaftspolitik. Deswegen braucht es aus unserer Sicht eine Neubewertung der deutschen Chinapolitik. Wir müssen in sensiblen Bereichen unabhängig von China werden. Ganz Europa braucht mehr strategische Souveränität. Wir Grünen erwarten vom Kanzler bei seiner Reise eine robuste Haltung und klare Worte.
Der Kanzler ist der erste Regierungschef eines großen westlichen Landes, der seit Beginn der Corona-Pandemie nach China reist. Im Gepäck hat er den frisch genehmigten Teilverkauf eines Terminals im Hamburger Hafen an den chinesischen Konzern Cosco. Ist diese Reise eine Unterwerfungsgeste gegenüber Staatschef Xi Jinping?
Man muss weiterhin mit China sprechen. Das bleibt wichtig. Aber der Kanzler darf der chinesischen Führung keinen Höflichkeitsbesuch abstatten und nur über Wirtschaftsprojekte reden. Olaf Scholz muss in die Auseinandersetzung mit Peking gehen. Insbesondere mit Blick auf die Menschenrechte in China sind klare Worte nötig, und auch in wirtschaftspolitischen Fragen. Im Koalitionsvertrag haben wir eine stärkere strategische Souveränität Deutschlands und der EU gegenüber China vereinbart.
Erwarten Sie diese klaren Worte vom Kanzler auf offener Bühne? Oder genügt es, hinter verschlossenen Türen deutlich zu werden, so wie es Angela Merkel vorgezogen hat?
Also zunächst mal: Frau Merkel hat Klartext gegenüber China grundsätzlich zu oft vermissen lassen, auch hinter verschlossenen Türen. Natürlich sind vertrauliche Gespräche wichtig. Unsere Politik als Grüne ist es aber, wichtige Forderungen auch öffentlich zu formulieren. Das ist in der Auseinandersetzung mit China entscheidend.
Die Bundesregierung arbeitet derzeit an ihrer neuen China-Strategie. Haben Sie Sorge, dass Scholz mit diesem Besuch schon Fakten schafft, bevor die ganze Bundesregierung ihren Kurs festgezurrt hat?
Nein. Es gibt zentrale Elemente unserer China-Politik, auf die wir uns schon verständigt haben. Die müssen bei dieser Reise im Mittelpunkt stehen. Entscheidend ist, dass unsere China-Politik im Rahmen einer gemeinsamen EU-China-Politik stattfindet. Dabei ist der Grundsatz wichtig: Es gibt keine Trennung zwischen Menschenrechten und Wirtschaft. Deswegen unterstützen wir ein europäisches Lieferkettengesetz. Die EU-Kommission arbeitet zudem an einem Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit. Beides zusammen ergibt die klare Ansage an China, dass wir den Umgang mit den Uiguren in der Provinz Xinjiang nicht akzeptieren.
Und wie wollen Sie verhindern, dass China immer mehr Einfluss auf deutsche und europäische Firmen nimmt?
Mit China gibt es keinen fairen Wettbewerb. Und China nutzt wirtschaftliche Abhängigkeiten, um politischen Druck auszuüben. Während chinesische Unternehmen auf europäischen Märkten vielfach freien Zugang haben, gibt es den in selber Form für europäische Unternehmen in China nicht. Eigene Unternehmen werden so lange groß gemacht - auch durch staatliche Subventionen -, bis sie auf globalen Märkten dominieren können. Auf europäischer Ebene gibt es zahlreiche Reformen, damit wir in Zukunft besser gegen ein solches Verhalten vorgehen können. Etwa bei staatlichen Beihilfen. Ein anderes Beispiel: Die subventionierte chinesische Stahlindustrie hat die Märkte so lange mit billigem Stahl geflutet, bis unsere Stahlindustrie unter Druck geriet. Gegen solche Formen von Dumping geht die EU vor. Diesen Kurs zu unterstützen, ist auch Teil einer deutschen Außenwirtschaftspolitik.
Sollte die Bundesregierung zusammen mit der EU-Kommission so konfrontativ vorgehen, könnte das zu einer Revanche Pekings führen. Hätte das nicht enorme Nachteile?
Es ist doch eher umgekehrt so, dass China mit seiner Außenwirtschaftspolitik wenig Rücksicht auf die Interessen anderer Länder nimmt. Das hat die chinesische Regierung oft genug deutlich gemacht. Wenn wir Peking einfach so weiter machen lassen, wäre das zu unserem enormen Nachteil. Deswegen braucht es an der Stelle auch eine robuste und gemeinsame Antwort der EU.
Bundeskanzler Scholz scheint weniger Drang zu spüren, sich von China zu distanzieren. Er hat gegen Ihren Widerstand den Hafen-Deal in Hamburg durchgesetzt – und das, obwohl die Bundesregierung doch eigentlich Abhängigkeiten von autoritären Staaten reduzieren wollte. Hat Scholz nicht verstanden, welche Lehren aus dem Fall Russland zu ziehen sind?
Aus unserer Sicht ist es extrem wichtig, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Unsere Lektion ist: Wir dürfen nie wieder so abhängig werden von einem Land, das nicht unsere Werte teilt. Das Problem mit China ist wirtschaftlich noch einmal deutlich größer als das mit Russland. Wir brauchen eine verschärfte Überprüfung, insbesondere mit Blick auf die kritische Infrastruktur. Vor dem Hintergrund halte ich die Entscheidung zum Hamburger Hafen für falsch.
Aber noch mal: Verstehen Sie, warum der Kanzler so handelt?
Es ist offensichtlich geworden, dass der Kanzler in diesem Fall unsere Perspektive auf China nicht teilt. Das Argument, dass der Einflussbereich des Cosco-Konzerns in Hamburg so gering ist, dass er kontrolliert werden kann, finde ich nicht überzeugend. Man muss das ganze Projekt sehen: Cosco beteiligt sich nicht nur in Hamburg, sondern an einer relevanten Anzahl anderer europäischer Häfen. Diese vernetzte Macht ist ein deutlich größeres Problem als die eine Investition allein.
Wenn der Verkauf so verheerend ist, wie Sie sagen: Was wollen Sie tun, damit künftig solche Entscheidungen nicht mehr getroffen werden?
Wir sollten das Außenwirtschaftsgesetz weiterentwickeln. Wir müssen unsere kritische Infrastruktur und unsere Schlüsseltechnologien besser schützen. Dabei müssen wir uns auch anschauen, wie sich marktwirtschaftliche Macht vernetzt und wo Unternehmen in Lieferketten überall in Europa investieren. Mit diesen neuen gesetzlichen Regelungen könnten Fragen wie im Fall des Hamburger Hafens in Zukunft anders bewertet werden.
Wenn der Bundeskanzler jetzt nach Peking reist, dann trifft er dort mit Xi Jinping den wohl einzigen Regierungschef der Welt, der noch Einfluss auf den russischen Präsidenten hat. Muss der Kanzler ihn in die Plicht nehmen, Putin von einem Ende des Ukraine-Krieges zu überzeugen?
Gespräche mit China sind in dieser Frage sehr notwendig. Man sollte jedoch realistische Erwartungen haben. Und da hege ich keinen großen Optimismus, dass China diese Rolle in der Ukraine-Frage einnimmt.
Es ist also nicht im Interesse der chinesischen Regierung, diesen Krieg zu beenden?
Es ist offensichtlich, dass China gerade etwas anderes tut. An den Wirtschaftssanktionen gegen Russland hat sich China nicht beteiligt. Bei den UN-Resolutionen zur Verurteilung des russischen Angriffs und der völkerrechtswidrigen Annexionen haben sie sich enthalten. Es gab gerade noch einen gemeinsamen Auftritt von Xi und Putin. China hat den Krieg Russlands gegen die Ukraine zwar nicht offensiv unterstützt. Aber von der Klarheit, die man sich wünschen würde, ist China weit entfernt.
Muss Deutschland über die kritikwürdigen Verhältnisse in China ein Stück weit hinwegblicken, um das Land nicht endgültig in einen Schulterschluss mit Putins Russland zu treiben?
So funktioniert das nicht bei der chinesischen Regierung. Sie definiert ihre Stellung in der Welt nicht in erster Linie über die Beziehungen mit Russland. China hat einen Anspruch formuliert, führende Weltmacht zu werden. Wir müssen dem selbstbewusst begegnen, um unsere Werte und auch die globalen Spielregeln für faires Wirtschaften zu schützen. Das muss die Leitlinie für die Reise des Bundeskanzlers sein.
Mit Kathrina Dröge sprachen Philip Scupin und Sebastian Huld
Quelle: ntv.de