Politik

Die Pläne der McCarthy-Rebellen "Sie wollen das System einfach wie Trump attackieren"

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Welche Optionen hat Kevin McCarthy noch?

(Foto: REUTERS)

Die Rebellen im US-Repräsentantenhaus bleiben standhaft. Mittlerweile elf Mal haben sie ihren Parteikollegen Kevin McCarthy bei der Wahl zum Sprecher der Kongresskammer bereits trotz vieler Zugeständnisse lächerlich gemacht. "Eine gewisse Opposition war absehbar", sagt Politologe Philipp Adorf im Gespräch mit ntv.de. Diese Art von Widerstand kommt aber auch für den Parteienforscher überraschend. Das Problem für McCarthy: Die meisten Rebellen gehören dem sogenannten Freedom Caucus an und mit dem lässt sich nicht verhandeln, wie Adorf betont. Chaos, Dysfunktionalität und die Möglichkeit, ein Mitglied des Washingtoner Establishments zu Fall bringen zu können, das scheinen die Rebellen zu genießen. Wollen die Republikaner einen dauerhaften Stillstand im US-Kongress verhindern, bleiben am Ende womöglich nur zwei nukleare Optionen.

ntv.de: Überrascht Sie das Wahldrama in Washington?

Philipp Adorf: Eine gewisse Opposition gegen Kevin McCarthy war absehbar. Er hat ja seit der Wahl im November mit der relativ knappen Mehrheit von nur fünf Republikanern für seinen potenziellen Status als Sprecher kämpfen müssen. Dass ihm ein halbes Dutzend oder ein paar mehr Abgeordnete die Unterstützung verweigern würden, hatte sich abgezeichnet. Aber die Annahme war doch, dass er sie schlussendlich durch gewisse Konzessionen überzeugen könnte. Speziell in den beiden Wochen vor der Abstimmung ist McCarthy stark auf diese Rebellen zugegangen. Er ist da auch ideologisch nicht rigide. McCarthy geht es um den Posten. Er sagt, der steht ihm zu.

Man konnte also absehen, dass der Sprecher des Repräsentantenhauses zum ersten Mal seit 100 Jahren nicht im ersten Wahlgang bestimmt wird. Aber dass es nach elf Wahlgängen immer noch 20 Rebellen gibt, ist doch ein wenig überraschend.

Die meisten Rebellen gehören dem sogenannten Freedom Caucus an. Was will der denn?

Der Freedom Caucus existiert seit Anfang 2015, also seit ungefähr acht Jahren. Das ist eine interne republikanische Fraktion, aber es ist nicht ganz klar, wer dazu gehört und wer nicht, weil die Mitglieder nicht publik gemacht werden. Man geht davon aus, dass es 30 bis 50 Republikaner im Repräsentantenhaus sein könnten. Ideologisch hat er seine Wurzeln bei der Tea-Party-Bewegung, die 2010 aufkam. Man ist gegen einen starken Staat und für einen Rückgang der Staatsausgaben, also ein "Small Government". Diese Ziele verfolgt der Freedom Caucus kompromisslos, fast schon erpresserisch: Wenn ihr nicht auf uns hört, werden wir bestimmten Dingen oder Ausgaben nicht zustimmen. Damit hat er schon einmal einem republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses das Leben schwer gemacht: John Boehner. Der ist schlussendlich im September 2015 aufgrund der Querelen zurückgetreten.

Gab es einen Grund dafür oder wurde Boehner einfach nur so abgestraft?

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Philipp Adorf forscht an der Universität Bonn vor allem zur Entwicklung der Republikanischen Partei in den vergangenen 60 Jahren.

(Foto: Universität Bonn)

Das Argument des Freedom Caucus war eigentlich: Wir haben eine republikanische Mehrheit. Es dürfen nur Gesetze verabschiedet werden, die einzig und allein von republikanischen Stimmen getragen werden. Boehner hatte aber mehrere Gesetze mit den Stimmen der Demokraten durchgebracht oder auf diese Weise einen Shutdown verhindert. Das hat dem Freedom Caucus missfallen. Irgendwann hat Boehner aufgegeben, ist von seinem Amt und aus dem Kongress zurückgetreten.

Man kann mit dem Freedom Caucus also nicht verhandeln?

So ist es. Der Freedom Caucus sieht seine Grundsätze als so wichtig und fundamental an, dass man diese nicht aufgeben darf. McCarthy hat ja schon zahlreiche Zugeständnisse gemacht, wo man sagen könnte: Das sollte doch ausreichen. Er hat den Abgeordneten angeboten, ihn viel leichter aus dem Amt des Sprechers entfernen zu können und in der Vergangenheit auch erzkonservative Gesetze unterstützt, weil er weiß, dass das die Mehrheitsposition der Republikanischen Partei ist. Aber die Mitglieder des Freedom Caucus, die gegen ihn stimmen, scheinen vor allem ihre Macht demonstrieren und jemanden zu Fall bringen zu wollen, der zum Establishment in Washington gehört. Das hört man auch in manchen Reden, in denen davon gesprochen wird, dass "Washington broken" sei, also kaputt. Ein republikanischer Abgeordneter sprach davon, dass man gegen den Sumpf vorgehen müsse, der das amerikanische Volk mit Füßen trete.

Das klingt nach Donald Trump.

Einige Mitglieder des Freedom Caucus haben sich ihre Art der Politik bei ihm abgeschaut. Sie scheinen diese Dysfunktion, dieses Chaos, das in Washington geschaffen wurde, zu genießen. Sie wollen das System wie Trump einfach irgendwie attackieren. Einige entnervte Republikaner haben schon gefragt: Was wollt ihr überhaupt? Darauf gab es keine konkrete Antwort. Sie sind wirklich aus Prinzip gegen McCarthy. Nicht, weil er für eine bestimmte Politik steht oder zu viel Kooperation, sondern einfach für das Washingtoner Establishment.

Dann kann McCarthy den Rebellen nichts anbieten, was sie zum Umdenken bewegt ...

Es wird schwer. Er könnte noch ranghohe Posten in Ausschüssen anbieten. Aber natürlich muss man im Hinterkopf behalten, dass sich dafür auch andere Republikaner interessieren, die derzeit für ihn stimmen. Wie soll er denen das verkaufen? Schlussendlich gibt es diese kleine republikanische Mehrheit von fünf Abgeordneten. Sechs oder sieben Abtrünnige haben aber schon erklärt: Egal was passiert, wir werden nicht für McCarthy stimmen.

Und dann? Es muss ja gewählt werden, bis es einen Sprecher gibt. So lange passiert nichts.

Damit hat der Freedom Caucus oder der rechte Rand der Republikanischen Partei gar kein großes Problem. Die haben in der Vergangenheit ja auch den Shutdown erzwungen.

Ist das der Plan, Stillstand?

Gut möglich. Ein Argument für den Shutdown war damals: Wenn der Regierungsapparat schließt, wird das Volk sehen, dass Washington gar nicht so wichtig ist und wir das gar nicht brauchen. Auch jetzt wird ein Stück weit gesagt, dass es gar nicht schlecht sein muss, wenn man zwei, drei Wochen oder noch länger nicht arbeiten, Abgeordnete vereidigen oder Gesetzesvorlagen debattieren kann. Allerdings erhalten in dieser Zeit auch nur vereidigte Abgeordnete ihre Gehälter. Vielleicht erhöht das den Druck.

Ohne Sprecher können sie nicht vereidigt werden?

Das ist der Ablauf: Erst wird der Sprecher gewählt, dann kommt der Rest. Das hat die vergangenen 100 Jahre auch immer problemlos geklappt.

Neuwahlen sind in der US-Verfassung nicht vorgesehen. Sehen Sie noch eine Alternative zum Stillstand?

Die US-Verfassung macht bei der Wahl des Sprechers nur wenige Vorgaben. Die Abgeordneten könnten das Verfahren ändern und sich darauf einigen, dass eine relative Mehrheit für den Sieg ausreicht. Das wäre aber schwierig, weil in den bisherigen Wahlgängen der demokratische Kandidat Hakeem Jeffries die meisten Stimmen erhalten hat. Möglicherweise kann man aber zu den Rebellen hingehen und sagen: Wenn ihr weiterhin für irgendeinen dritten Kandidaten stimmt, wird am Ende ein Demokrat gewählt! Oder die eher moderaten Republikaner versuchen, mit den Demokraten einen Kompromisskandidaten zu finden. Das könnte auch jemand von außerhalb sein. Es ist nicht so, dass der Sprecher des Repräsentantenhauses aus der Mitte des Kongresses kommen muss.

Das klingt nach nuklearen Optionen.

Ja. Ich glaube, die Republikaner werden alles versuchen, um irgendwie McCarthy oder einen anderen Abgeordneten durchzubringen. Aber potenziell wäre das eine Möglichkeit, um Druck auf die Rebellen auszuüben: Ihr seid mit McCarthy nicht zufrieden? Dann müsst ihr mit einem noch moderateren Republikaner oder sogar Demokraten leben. Aber das wird die allerletzte Option sein.

Mit Philipp Adorf sprach Christian Herrmann

Quelle: ntv.de

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