Politik

Rückzug wie bei Zar Peter So bereitet Putins Propaganda die Russen auf den Verlust Chersons vor

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Medien sollen die mögliche Niederlage in Cherson als ein notwendiges Übel oder gar ein schlaues Manöver darstellen, damit die Russen weiter ihren "Zaren" feiern können.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Eine Niederlage der Russen in Cherson steht möglicherweise kurz bevor - ein Problem auch für die russischen Propagandisten. Um den Rückzug in den Augen des Volkes zu rechtfertigen, verteilt der Kreml an Staatsmedien Handbücher, in denen erklärt wird, wie man über die Situation berichten soll.

Die russischen Truppen im Süden der Ukraine stehen möglicherweise kurz vor einem Rückzug aus der Großstadt Cherson. Für Moskau wäre es eine der größten Niederlagen seit Beginn des Krieges. Angesichts der schwierigen Lage an der Front ist der Kreml bemüht, sich vor der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen und sie auf die Aufgabe von Cherson vorzubereiten. Wie das unabhängige Exil-Medium "Meduza" unter Berufung auf Kreml-nahe Quellen berichtet, hat die Präsidialverwaltung mehrere Handbücher vorbereitet, die unter den Mitarbeitern der staatlichen Medien verbreitet werden sollen. Darin wird erklärt, wie man über die Situation in Cherson berichten soll, um die "öffentliche Meinung" in Russland darauf vorzubereiten, dass die Stadt verlassen werden kann.

Am vergangenen Montag erklärten die von Russland eingesetzten Behörden die "Evakuierung" der Zivilisten aus Cherson für beendet. Laut Medienberichten verbleiben dennoch zahlreiche Menschen in der Stadt, die auf das Eintreffen der ukrainischen Armee warten. Seit Anfang November mehren sich auch Berichte darüber, dass Russland den Rückzug seiner Truppen aus der Stadt vorbereiten soll. Kiew geht aber von einem Ablenkungsmanöver der russischen Armee aus.

In einem der zwei Handbücher, die "Meduza" nach eigenen Angaben vorliegen, werden die "Evakuierungen" und der Rückzug der Kreml-Truppen damit begründet, dass die ukrainischen Streitkräfte bei der Schlacht um Cherson ohne Rücksicht auf eigene Verluste kämpfen würden. Kiew sei "bereit, für neue Tranchen und Waffenlieferungen Zehntausende von eigenen und fremden Menschen zu töten", heißt es im Leitfaden für Propagandisten. Die Ukraine müsse "unbedingt die Kampffähigkeit ihrer terroristischen Formationen unter Beweis stellen, um neue Unterstützung aus dem Westen zu erhalten". Die russischen Truppen seien dagegen bestrebt, das Leben von Zivilisten und Armeeangehörigen zu retten.

"Selenskyj will der ganzen Welt eine blutige Show bieten"

Laut dem Handbuch sollen die Propagandisten ihren Zuschauern und Lesern erklären, dass die Ukraine und die NATO-Länder "alle ihre Kräfte" ausgerechnet an diesen Frontabschnitt geschickt hätten, deswegen drohe dort "ein großes Blutvergießen". "Selenskyj will der ganzen Welt eine blutige Show bieten, die ukrainischen Streitkräfte als Leidtragende darstellen und (vom Westen - Anm. d. Red.) mehr Geld verlangen", wird im Handbuch behauptet. "Der Feind will, dass Cherson zu einer Falle für Russland wird, zu einem Schlachtfeld mit Zehntausenden von Opfern."

Demnach würden die ukrainischen Streitkräfte einen "Terroranschlag" planen, bei dem das Wasserkraftwerk Kachowka zerstört werden soll, zahlreiche Siedlungen würden überflutet und russische Soldaten würden "einfach weggespült". Dabei werfen die Russen den Ukrainern wieder einmal das vor, was sie möglicherweise selbst vorhaben. Bereits im Oktober hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt, die Kreml-Truppen hätten das Kraftwerk vermint. Sollte der Staudamm gesprengt werden, könnten etwa 80 ukrainische Siedlungen, darunter Cherson, überflutet werden.

Darüber hinaus wurde den Propagandisten geraten, zu betonen, dass Stadtkämpfe in Cherson "unzweckmäßig" seien, weil "sie immer die schwersten und zerstörerischsten sind" und die ukrainische Armee "Cherson einfach dem Erdboden gleichmachen kann" - eine weitere Taktik der russischen Kriegsführung, die Kreml-nahe Medien den Ukrainern zuschreiben sollen. Mehrere ukrainische Großstädte, darunter Mariupol, Lyssytschansk und Sjewjerodonezk, konnten die Russen erst einnehmen, nachdem sie sie nahezu vollständig zerstört haben.

Historische Parallelen?

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In einem weiteren Leitfaden, aus dem "Meduza" zitiert, wird den Propagandisten geraten, die Leser und Zuschauer auf eine Rede des Diplomaten und Historikers Anatolij Torkunow aufmerksam zu machen. Bei einem Treffen mit Putin vor wenigen Tagen erinnerte Torkunow an die Schlacht bei Poltawa im Großen Nordischen Krieg zwischen Russland und Schweden im Jahr 1709 und zog Parallelen zum heutigen Kriegsgeschehen in der Ukraine. In seiner Rede erklärte der Historiker, der russische Zar Peter I. habe seine Truppen im Laufe des Krieges immer weiter zurückgezogen, um mit dem Sieg bei Poltawa einen Wendepunkt im Krieg einzuleiten. Das Zarenreich gewann in der Tat schließlich den bis zum Jahr 1721 andauernden Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum.

Peter der Große gilt als Vorbild Putins. Der russische Präsident vergleicht sich immer wieder mit dem Zaren, der im 18. Jahrhundert herrschte und große Gebiete in Europa eroberte. So fielen als Folge des Großen Nordischen Krieges Teile des damaligen Schweden und das Baltikum an Russland - also das heutige Estland, Lettland und Litauen.

Quelle: ntv.de, uzh

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