Waffen oder Munition an Bord? Südafrika und das mysteriöse Schiff aus Russland
28.01.2023, 10:59 Uhr
Die "Lady R" im Hafen von Simon's Town, dem größen Marinestützpunkt Südafrikas.
(Foto: REUTERS)
Ein Containerschiff aus Russland schaltet vor der südafrikanischen Küste seinen Transponder aus, legt in der Nähe von Kapstadt an und verlädt im Schutz der Dunkelheit Kisten mit unbekanntem Inhalt. Die USA sprechen von Waffenlieferungen, Südafrika schweigt sich aus.
Am 3. Dezember legt die "Lady R" in der Nähe von Kapstadt an. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn Tage vor seiner Ankunft hat das Containerschiff seinen Transponder ausgeschaltet. Es legt klammheimlich in Simon's Town, dem größten Marinehafen Südafrikas an, etwas südlich von Kapstadt. Dann werden im Schutz der Dunkelheit Güter verladen. Waffenlieferungen, behaupten die USA, denn die "Lady R" stammt aus Russland.
Mehrere Zeugen wollen die mysteriöse Verlade-Aktion im Hafen von Simon’s Town beobachtet haben. Im Wall Street Journal erzählen sie, dass im Dezember zwei Nächte lang Kisten auf die "Lady R" geladen wurden - unter Aufsicht von bewaffneten Sicherheitskräften. Ohne Erlaubnis von Südafrika wäre das unmöglich gewesen, sagt ein hochrangiger US-Beamter.
"Es liegt in der Natur der Sache, dass man bei Rüstungsgeschäften wenig Transparenz hat, aber tatsächlich wird auch in Südafrika selbst relativ viel spekuliert, was aus Russland geliefert und was umgekehrt auf das Schiff geladen wurde", berichtet die Politikwissenschaftlerin Melanie Müller von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Auch die Südafrika-Expertin kann nichts zu den amerikanischen Vorwürfen sagen, betont aber, dass Südafrika zwar in vielen Bereichen mit Russland kooperiert, "Rüstungskooperation in den letzten Jahren aber keine herausragende Rolle gespielt hat".
"Alles, was nach Russland riecht"
Die südafrikanische Regierung will weder bestätigen noch dementieren, dass es sich um Waffenlieferungen gehandelt hat. Stattdessen wirft Verteidigungsministerin Mapisa-Nqakula Washington vor, "ganz Afrika, nicht nur Südafrika" zu bedrohen, "mit allem, was auch nur nach Russland riecht".
Dabei kommt der amerikanische Vorwurf mit Ansage: Die USA hatten die "Lady R" schon im Mai vorigen Jahres mit Sanktionen belegt, weil die Reederei MG-Flot in der Vergangenheit bereits negativ aufgefallen war.
Im April hatte die griechische Küstenwache die "Lana", ein weiteres Schiff von MG-Flot, festgesetzt und sich dabei auf die Sanktionen der EU gegen Russland berufen. Daraufhin beschlagnahmten die USA per Gerichtsbeschluss einen Teil der Ladung, nämlich von den Amerikanern sanktioniertes Öl aus dem Iran. Die "Lana" wurde anschließend von den griechischen Behörden im Austausch gegen zwei vom Iran festgehaltene griechische Tanker wieder freigegeben. Das Schiff lieferte die restliche Ladung schließlich nach Syrien. Im Juli wurde ein weiteres Schiff von MG-Flot in Indien beschlagnahmt, weil man angeblich versäumt hatte, Treibstoffrechnungen an ein Unternehmen aus Estland zu bezahlen.
Südafrika ignoriert die USA
Im Herbst vergangenen Jahres steuerte die "Lady R" durch die Straße von Gibraltar in Richtung der Kanarischen Inseln und entlang der afrikanischen Westküste nach Kamerun. Nach dem Zwischenstopp waren die Amerikaner im November schließlich sicher, dass Südafrika das Ziel des russischen Schiffs ist. Die US-Botschaft in Pretoria machte die südafrikanische Regierung darauf aufmerksam, dass das Schiff unter Sanktionen steht.
Das war der südafrikanischen Regierung aber offenbar egal. Sie hat der amerikanischen Botschaft einfach nicht geantwortet. Das Land wolle keine Seite verprellen, analysiert Expertin Müller. Südafrika ist Teil der Brics-Staaten, einem Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. "Südafrika versucht zwischen den Brics und dem Westen hin und her zu navigieren. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gibt es in Südafrika die Sorgen, dass es jetzt viel Druck gibt, die Kooperation mit Russland zu beenden. Dagegen wehrt man sich."
Deshalb ließ man offenbar auch die "Lady R" gewähren. Am Morgen des 9. Dezember verließ sie den Hafen von Simon's Town. Am Abend schaltete sie ihren Transponder wieder ein, da lag das Schiff aber schon 100 Kilometer östlich in internationalen Gewässern vor Anker. Anfang Januar fuhr die "Lady R" in den Hafen von Beira, einer Küstenstadt in Mosambik, ein.
Munitionslieferung wahrscheinlich
Darren Oliver, Direktor von African Defence Review, hält es für wahrscheinlich, dass das Schiff Munition aus Russland nach Südafrika gebracht hat. Denn 2020 hatte die Regierung in Pretoria den Import von 4,5 Millionen Schuss Munition genehmigt, wie der Experte für afrikanische Sicherheitspolitik im Wall Street Journal erklärt. Was im Gegenzug auf das Schiff geladen wurde, kann aber auch er nicht sagen. Die südafrikanische Rüstungsindustrie stelle keine Waffen oder Waffensysteme her, die vom russischen Militär verwendet werden, erklärt er die Ausgangslage.
Möglich sei, dass Russland Güter mit doppeltem Verwendungszweck über Südafrika ins Land holen will. Das könnten zum Beispiel Lenk- und Kontrollsysteme sein, die zur Herstellung von Drohnen verwendet und damit im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden können.
Dass Russland für Südafrika ein wichtiger Partner ist, den man trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht von sich wegstoßen will, habe auch historische Gründe, erklärt Melanie Müller im Podcast. Der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) ist aus der Anti-Apartheid-Bewegung hervorgegangen und wurde in ihrem Kampf gegen die Rassentrennung unter anderem auch von der Sowjetunion unterstützt. "Da sind Freundschaften entstanden. Es gab finanzielle Unterstützung, aber auch Waffenlieferungen für den bewaffneten Kampf gegen die Apartheid. Viele ANC-Politiker nehmen Russland als Verbündeten wahr, weil es in einer lebensbedrohlichen Situation auf der richtigen Seite stand."
"Präsident hat Außenministerin zurückgepfiffen"
Allerdings hatte damals offiziell nicht Russland, sondern die Sowjetunion und somit auch die Ukraine den Kampf gegen die Apartheid unterstützt. Deshalb wird in Südafrika aktuell eine kritische Debatte über den Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine geführt. "Ich war am Tag, als Russland die Ukraine angegriffen hat, in Südafrika. Am Anfang hat sich die Außenministerin dafür ausgesprochen, das Vorgehen Russlands als Invasion zu bezeichnen und zu kritisieren, doch dann wurde sie von Präsident Cyril Ramaphosa zurückgepfiffen", berichtet Müller.
Südafrika hat sich seitdem bei sämtlichen UN-Resolutionen, die Russlands Angriffskrieg verurteilen, enthalten. Im Westen wird diese Position teils als Billigung des russischen Vorgehens bewertet. Dagegen wehrt sich Südafrika mit Verweis auf seine vermeintlich besondere Rolle. Vielleicht könne man irgendwann im Verlauf des Kriegs zum neutralen Vermittler werden, heißt es mitunter von der Regierung in Pretoria.
Südafrika sieht deshalb auch nicht davon ab, im Februar mit China und Russland eine gemeinsame Militärübung vor der eigenen Küste abzuhalten. Das haben die drei Länder 2019 bereits gemacht. Die Oppositionspartei Demokratische Allianz (DA) kritisiert das scharf. Der ANC stelle sich damit de facto auf die Seite Moskaus, lautet der Vorwurf.
Nicht gefallen haben dürfte der Opposition auch, dass Anfang der Woche Russlands Außenminister Sergej Lawrow in der Hauptstadt Pretoria empfangen wurde. Es war sein erster Besuch seit der Invasion in der Ukraine. Lawrow sagte, Russland schätze die unabhängige, ausgewogene Haltung ihrer "südafrikanischen Freunde".
Mysteriösen Besuch nicht kleinreden
Melanie Müller sieht darin einen geopolitischen Wettbewerb um Kooperation mit afrikanischen Staaten. "Wir haben zuletzt ja auch viele Reisen europäischer Politiker nach Afrika gesehen, auch Joe Biden hat Afrika voriges Jahr besucht. Der Wettbewerb um Macht und Einfluss ist im Gange." In den afrikanischen Ländern werde das nicht nur positiv wahrgenommen. "Es gibt die Sorge, dass sich keiner mehr für Afrika interessiert, sobald sich die geopolitische Situation entspannt."
Man sollte den mysteriösen Besuch der "Lady R" nicht kleinreden, sondern genau untersuchen, was nachts im Hafen von Simon's Town passiert ist, empfiehlt die Südafrika-Expertin. Aber der Westen sollte nicht versuchen, die Südafrikaner von den Russen wegzudrängen. Damit erreiche man eher das Gegenteil, so Müller.
Die "Lady R" ist inzwischen längst tausende Seemeilen von Südafrika entfernt. Am 25. Januar ankerte sie vor Sudan im Roten Meer. Die verbleibende Route dürfte so aussehen: über den Suezkanal, das Mittelmeer, die Ägäis, Istanbul und das Schwarze Meer zurück nach Russland.
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Quelle: ntv.de