Politik

UN-Sicherheitsrat will tagen Tote, Verletzte und Tausende Flüchtlinge in Berg-Karabach

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Noch kein Tag ist seit Aserbaidschans Angriff auf Berg-Karabach vergangen - und die Folgen sind verheerend: Tausende Menschen fliehen, mindestens zwei Dutzend sind gestorben. Armenien beklagt eine "ethnische Säuberung". Am Donnerstag soll der UN-Sicherheitsrat tagen.

Am ersten Tag eines von Aserbaidschan gestarteten Militäreinsatzes gegen die von Armeniern bewohnte Südkaukasus-Region Berg-Karabach sind mehr als zwei Dutzend Menschen ums Leben gekommen. Der Menschenrechtsbeauftragte der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach), Gegam Stepanjan, sprach von mindestens 27 Toten. Darunter seien mindestens sieben Zivilisten - drei Frauen, zwei Kinder und zwei Männer. Mehr als 200 weitere Menschen seien verletzt worden.

Stepanjans Angaben zufolge wurden mehr als 7000 Bewohner aus 16 Orten vor dem aserbaidschanischen Beschuss in Sicherheit gebracht. Ein großes Problem bei den Evakuierungsmaßnahmen ist der massive Treibstoffmangel, den eine monatelange aserbaidschanische Blockade der Region verursacht hat.

Die militärischen Maßnahmen gingen erfolgreich weiter, teilte Aserbaidschans Verteidigungsministerium unterdessen am Morgen mit. Kampfstellungen, Militärfahrzeuge, Artillerie- und Flugabwehrraketenanlagen sowie andere militärische Ausrüstung seien "neutralisiert" worden. Am Abend hatte Baku verkündet, 60 armenische Stellungen erobert zu haben.

Die aserbaidschanische Regierung sprach von "örtlich begrenzten Anti-Terror-Einsätzen" in Berg-Karabach. Diese zielten auf armenische Militärpositionen und von "Separatisten" genutzte Einrichtungen. Laut dem Verteidigungsministerium in Baku wurden humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten eingerichtet. Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan sprach hingegen im Fernsehen von einem aserbaidschanischen "Einsatz von Bodentruppen" mit dem Ziel einer "ethnische Säuberung" der armenischen Bevölkerung in der Enklave.

Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs begonnen. Die Region liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die beiden ehemals sowjetischen Länder kämpfen seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Die Waffenruhe nach dem letzten Krieg im Jahr 2020, in dem das durch Gas- und Öleinnahmen hochgerüstete Aserbaidschan bereits große Teile Karabachs erobert hatte, wurde immer wieder gebrochen.

UN-Sicherheitsrat soll zusammenkommen

In New York wurde für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Zuvor hatte Armenien das Gremium um Hilfe gebeten. Am Rande der UN-Vollversammlung traf sich zudem Italiens Außenminister Luigi Di Maio separat mit seinen Kollegen aus Aserbaidschan und Armenien und bot einer Mitteilung zufolge eine italienische Vermittlung an. Auch der Iran bot sich als Vermittler an. Als Bedingung für das Ende des jetzigen Militäreinsatzes nannte Aserbaidschan die Niederlegung der Waffen und die Abdankung der armenischen Führung in der Region Berg-Karabach.

International wurde Aserbaidschan für sein gewaltsames Vorgehen kritisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz rief erneut zu einem Ende der Gewalt auf. "Die erneuten militärischen Aktivitäten, davon bin ich überzeugt, führen in die Sackgasse", sagte Scholz bei der UN-Generaldebatte in New York. "Sie müssen enden." Zuvor hatte er bereits erklärt, es gehe darum, "wieder zurückzukehren zum Pfad der Diplomatie". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte: "Aserbaidschan muss den Beschuss sofort einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren."

Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken. In einem Telefonat mit Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew betonte er, dass es keine militärische Lösung gebe und dass die Parteien den Dialog wieder aufnehmen müssten, wie der Sprecher des Außenministeriums, Matthew Miller, mitteilte. Blinken habe die von Alijew geäußerte Bereitschaft zur Kenntnis genommen, die Militäraktionen einzustellen und ein Treffen von Vertretern Aserbaidschans und der Bevölkerung Berg-Karabachs abzuhalten. Blinken unterstrich, dass dies sofort umgesetzt werden müsse. Rückendeckung für Baku kam hingegen aus der Türkei.

Die ebenfalls islamisch geprägte Türkei gilt als Schutzmacht Aserbaidschans, wohingegen das christlich-orthodoxe Armenien traditionell auf die Unterstützung Russlands setzt, das in der Region auch eigene Soldaten stationiert hat. Russland, das in der Ukraine einen Angriffskrieg mit Tausenden Toten führt, forderte die Konfliktparteien auf, zivile Opfer zu vermeiden und die Feindseligkeiten unverzüglich zu stoppen. "Wegen der schnellen Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen in Berg-Karabach rufen wir die Konfliktparteien auf, das Blutvergießen sofort zu beenden, die Kampfhandlungen einzustellen und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden", hieß es in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums, wie die staatliche Nachrichtenagentur TASS mitteilte.

Russland braucht Soldaten im Krieg gegen die Ukraine

Mittlerweile aber braucht Moskau seine Kämpfer in erster Linie für den eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Beobachter hatten deshalb bereits befürchtet, dass Aserbaidschan diese instabile Lage für militärisches Vorgehen nutzen könnte. Schon vor Beginn des jüngsten Beschusses war die humanitäre Lage in Berg-Karabach katastrophal gewesen, weil Aserbaidschan den einzigen Zugang Armeniens in die Exklave - den sogenannten Latschin-Korridor - blockierte.

In Armeniens Hauptstadt Eriwan brachen am Dienstagabend heftige Proteste gegen die eigene Regierung aus, es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Medien zufolge setzten die Beamten Blendgranaten ein. Die Demonstranten forderten von Regierungschef Paschinjan ein entschiedeneres Vorgehen sowie Unterstützung der armenischen Bewohner Berg-Karabachs. Auch die russische Botschaft in Eriwan wurde von wütenden Menschen umzingelt. Angaben des armenischen Gesundheitsministeriums zufolge wurden bis zum Abend im Stadtzentrum 16 Polizisten und 18 Demonstranten verletzt.

Quelle: ntv.de, ghö/dpa/AFP

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