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Wut auf einen Transitstopp Ungarn und die Ukraine fetzen sich ums Öl

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Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und Ukraine-Präsident Wolodymy Selenskyj während eines Treffens in Brüssel im Juni.

Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und Ukraine-Präsident Wolodymy Selenskyj während eines Treffens in Brüssel im Juni.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Ukraine hat einen Teil der verbliebenen russischen Öllieferungen in den Westen gestoppt. Ungarn und die Slowakei fürchten eine Rohstoffkrise und schalten die EU ein. Die Realität ist weniger dramatisch, für die Ukraine könnte der Transitstopp aber zum Bumerang werden.

Ungarn fährt auch zweieinhalb Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine noch immer einen Sonderweg. Regierungschef Viktor Orbán hat sich bereits zweimal innerhalb eines Jahres mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen. Sein Land bezieht weiterhin russisches Gas, hat mehrere Sanktionspakete der EU gegen Russland verzögert und droht jetzt, weitere Brüsseler Hilfszahlungen für die Ukraine zu blockieren. Grund ist ein Ölstreit, den sich Ungarn, aber auch die Slowakei mit der Ukraine liefern.

Bislang hat Ungarn sein russisches Öl über den Südstrang der Druschba-Pipeline bezogen. Dieser verläuft von Russland über die Ukraine - doch Kiew hat den Transit von Öl des russischen Konzerns Lukoil über ukrainisches Staatsgebiet inzwischen gestoppt. Ungarn und die Slowakei legten deshalb bei der Europäischen Union Beschwerde ein.

"Die ukrainische Seite wird gehofft haben, durch die Sanktionierung von Lukoil ein Entgegenkommen Ungarns und der Slowakei in der Ukraine-Politik herbeizuführen. Wir sehen aber, dass das nicht der Fall ist", fasst Kai-Olaf Lang, Politikwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" die Lage zusammen. "Druck erzeugt Gegendruck. Die Regierungen in Budapest und Bratislava haben klargemacht, dass sie das mindestens als unfreundlichen Akt ansehen, der energiewirtschaftliche Probleme in beiden Ländern hervorruft."

"Enthusiasmus in Brüssel sehr begrenzt"

Die EU hat zwar längst Einfuhrverbote für Öl aus Russland verhängt, es gibt aber Ausnahmen für Länder, die aufgrund ihrer geografischen Nähe besonders abhängig sind. Das ist bei Ungarn und der Slowakei der Fall.

Deshalb machen Budapest und Bratislava Alarm gegen den Transitstopp für Lukoil. Sie werfen Kiew vor, gegen ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu verstoßen. Dieses besagt, dass der Energietransit nicht behindert werden darf. Es sei denn, die Ukraine handelt aus sicherheitsrelevantem und damit legitimen Interesse.

Genau so argumentiert Kiew. Ungarn und die Slowakei sind jedoch anderer Meinung. Jetzt ist Brüssel am Zug. "Natürlich muss die Europäische Kommission darauf achten, ob das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine regelkonform umgesetzt wird. Aber gleichzeitig haben wir auch eine politische Dimension", analysiert Osteuropa-Experte Lang im Podcast. "Der Enthusiasmus in Brüssel und unter den meisten EU-Mitgliedsstaaten, sich hier mit Ungarn und der Slowakei solidarisch zu zeigen, dürfte begrenzt sein." Deshalb spiele Brüssel erstmal auf Zeit, ist Lang überzeugt. In der Hoffnung, dass sich beide Seiten auch ohne größere Einmischung der EU wieder zusammenraufen.

Ölkrise unwahrscheinlich

Für Ungarn und die Slowakei steht wirtschaftlich viel auf dem Spiel. Vor allem Ungarn hat über Jahre enge Beziehungen zu Russland gepflegt und hängt noch immer am Energietropf Moskaus. Gut zwei Drittel seines Öls bezieht Ungarn aus Russland. Die Hälfte davon kommt von Lukoil. Das entspricht wiederum etwa einem Drittel der gesamten Ölimporte des Landes.

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagt, die Entscheidung der Ukraine gefährde die Ölversorgung von Ungarn und der Slowakei. Blicken Budapest und Bratislava deshalb einer Ölkrise ins Auge? Dafür ist der Lukoil-Anteil an den gesamten Ölimporten insgesamt zu gering. Zudem habe Ungarn Ölreserven für etwa drei Monate, kommentiert der ungarische Energie-Experte Attila Holoda im ZDF.

Ja, Russland sei ein nach wie vor wichtiger Energiepartner für Ungarn und die Slowakei, sagt Lang im ntv-Podcast. Aber auch diese beiden Länder hätten inzwischen angefangen, sich breiter aufzustellen. "Nicht so deutlich und dynamisch, wie beispielsweise Polen oder die baltischen Staaten, aber Ungarn hat inzwischen einige Schritte unternommen, um sich etwa im Bereich der Öl- und Gasversorgung ein bisschen breiter aufzustellen."

Ungarn und die Slowakei streben aber keine vollständige energiewirtschaftliche Entkopplung von Russland an. Anders als Tschechien, das per Sondergenehmigung derzeit ebenfalls noch über die Druschba-Pipeline von Russland mit Öl versorgt wird. Die dortigen Raffinerien, die sich im Eigentum der polnischen Orlen-Gruppe befinden, wollen bis 2025 komplett auf russisches Erdöl verzichten. Die Slowakei und Ungarn verweisen dagegen auf die Kosten einer vollständigen Entkopplung von Russland. "Die Umrüstung auf die Verarbeitung anderer Ölsorten sowie weitere wirtschaftliche Faktoren werden hier stärker gewichtet als die politisch motivierte Abkehr von russischen Importen", analysiert Lang.

Transitstopp könnte für Ukraine zum Bumerang werden

Ähnlich ist die Situation in der Slowakei. "Wir wollen nicht Geisel der ukrainisch-russischen Beziehungen sein. Das Problem dieser unsinnigen Sanktion muss so schnell wie möglich geklärt werden", wettert der slowakische Premierminister Robert Fico.

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In der Realität ist aber auch die Slowakei von einer Ölkrise noch weit entfernt. Die betroffene Raffinerie, die die Lukoil-Lieferungen verarbeitet, habe sich schon länger auf den Transitstopp vorbereitet, merkt Energie-Analytiker Boris Tomciak im slowakischen Staatsfernsehen an. Man erhöhe derzeit die Abnahmemengen von anderen russischen Exporteuren, wie Taftneft und Rosneft. Der ehemalige Wirtschaftsminister Karel Hirman betont, dass der Vertrag mit Lukoil sowieso Ende des Jahres ausgelaufen wäre.

Kai-Olaf Lang erwartet nicht, dass der Ölstreit weiter eskalieren wird. Es gehe jetzt darum, einen Mittelweg zu finden. Ansonsten könnte der Transitstopp für die Ukraine zum Bumerang werden. "Viktor Orbán ist ein harter und erfahrener Player. Und eigentlich muss man in Kiew wissen, dass in dem Moment, wo man versucht, an irgendeiner Stelle den Stock in die Speichen zu stecken, mit einer massiven Reaktion zu rechnen ist."

Die EU werde im Hintergrund auf die Ukraine einwirken, die Sache nicht hochkochen zu lassen, ist Lang überzeugt. Brüssel sei nicht daran interessiert, dass Finanzhilfen und Waffenlieferungen blockiert und der ukrainische EU-Beitritt noch komplizierter werden.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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