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Putins "Trojanisches Pferd" Kann Ungarn aus der EU geworfen werden?

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Viktor Orbans Ungarn ist innerhalb der Europäischen Union immer stärker isoliert.

Viktor Orbans Ungarn ist innerhalb der Europäischen Union immer stärker isoliert.

(Foto: picture alliance / NurPhoto)

Ungarn hat an der westlichen Welt anscheinend kein Interesse mehr. Ministerpräsident Viktor Orban trifft sich mit Putin und nutzt Ukraine-Hilfen für ein Erpressungsmanöver. Er kann es sich erlauben, weil NATO und EU nur begrenzte Mittel haben, Ungarn im Zaum zu halten.

Als sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder in Brüssel treffen, wird es einsam um den ungarischen Regierungschef Viktor Orban. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Bundeskanzler Olaf Scholz, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen & Co. begrüßen sich freundlich und machen Selfies miteinander. Währenddessen steht der ungarische Ministerpräsident abseits der anderen, ganz allein, die Hände in den Hosentaschen.

Die Szenerie vom EU-Gipfel Ende Oktober steht symbolisch für Ungarns Rolle innerhalb der Union. Regierungschef Orban hat sein Land in eine Außenseiterrolle manövriert, vorrangig wegen seiner russlandfreundlichen Politik.

Sein Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin am 17. Oktober in Peking könnte das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht haben. Orban verteidigte den Termin, rechtfertigte sich damit, dass er eine "Friedensstrategie" verfolge. Darauf sei er "stolz".

Seine Amtskollegen in der EU sehen das anders. Für den niederländischen Ministerpräsident Mark Rutte war das Händeschütteln von Orban und Putin "geschmacklos". Luxemburgs scheidender Regierungschef Xavier Bettel sprach von einem verbalen "Stinkefinger".

Orban untergräbt die EU

Orban habe Ungarn mit dem Treffen innerhalb der EU weiter isoliert, sagt Andreas Bock, Ungarn-Analyst bei der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Orban gilt weiter als strategischer Verbündeter Putins, setzt aktuell auf eine schwächer werdende Unterstützung der Ukraine in Europa. Er untergräbt in vielerlei Hinsicht die Einheit des Westens und vor allem die Handlungsfähigkeit der EU."

Ungarns Regierungschef hat weitere Energieabkommen mit Russland geschlossen, versucht die Ukraine-Hilfe zu begrenzen oder ganz zu blockieren, und fordert Brüssel öffentlich dazu auf, die gegen Moskau verhängten Wirtschaftssanktionen aufzuheben.

Aber nicht erst seit der Ukraine-Invasion von Putins Truppen fährt Ungarn in der EU seinen eigenen Kurs. Schon länger werden regelmäßig Beschlüsse blockiert und Regeln gebrochen. Zudem wirft die EU dem Land vor, rechtsstaatliche Grundsätze nicht einzuhalten, notwendige Reformen nicht auf den Weg zu bringen. Deshalb wurden Milliardenzahlungen, die Ungarn aus dem europäischen Haushalt eigentlich zustehen, eingefroren.

Ungarn will aber offensichtlich nicht länger auf die Auszahlung warten. Orban scheint jedes Mittel recht, um die Freigabe der Zahlungen zu erzwingen. Zuletzt soll er laut Berichten von EU-Diplomaten die Zustimmung für die Unterstützung der Ukraine davon abhängig gemacht haben, ob Brüssel die eingefrorenen Gelder auszahlt oder nicht.

Putin-Treffen? "Zusätzlicher Schockmoment"

Ähnlich verzwickt ist die Lage innerhalb der NATO. Das Treffen von Orban mit Wladimir Putin war sogar Anlass für eine Dringlichkeitssitzung der NATO-Botschafter. Ungarns NATO-Verbündete hätten "berechtigte Sicherheitsbedenken", sagt Experte Bock. Orbans Treffen mit Putin sei ein "zusätzlicher Schockmoment" gewesen. "Dann hat man noch mal überlegt, ob Orbans Ungarn tatsächlich eine Art Trojanisches Pferd innerhalb der NATO ist."

Von einem "Trojanischen Pferd" sollte man sich trennen, bevor der Feind aus seinem Versteck klettert und seinen Angriff startet. In der EU und in der NATO werden Stimmen lauter, Ungarn herauszuwerfen - aber das ist auf der Grundlage der bestehenden Verträge nicht möglich, sagt Andreas Bock. Sowohl für die EU als auch für die NATO gilt: Mitgliedsländer können nur freiwillig austreten. Und daran hat Ungarn kein Interesse. "Das Land profitiert als NATO-Mitglied von der kollektiven Sicherheit. Ungarn kann an multinationalen Militärübungen teilnehmen und Ungarn hat natürlich einen gewissen diplomatischen Einfluss als Mitglied der international mächtigsten Militärallianz."

Ähnlich sieht es im Verhältnis zur EU aus, macht Bock im Podcast deutlich. "Ungarn braucht die EU-Mittel und möchte die Vorzüge des Binnenmarkts genießen, deshalb ist ein Austritt keine Option."

Suspendierungsverfahren unwahrscheinlich

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Der mächtigste Hebel der EU wäre ein Artikel-7-Verfahren. Das kann eingeleitet werden, "wenn die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit gegeben ist", wie Analyst Bock erklärt. Im Extremfall könnte solch ein Verfahren dazu führen, dass Ungarn bestimmte Mitgliedsrechte verliert, unter anderem das Stimmrecht im Europäischen Rat.

Aber auch solch eine Maßnahme kann nur einstimmig beschlossen werden. Die größten Ungarn-Gegner der EU müssten alle restlichen EU-Staaten davon überzeugen, dass Ungarn bestraft werden muss. Kein realistisches Szenario.

Der einzig umsetzbare Hebel der EU bleibt deshalb das Einfrieren von Geldern, um Druck auf die ungarische Regierung auszuüben. Ob das klappt, ist aber mehr als fraglich. Denn es wird derzeit bereits darüber spekuliert, dass die EU Ungarn einen Teil der eingefrorenen Gelder wieder freigibt, damit Ungarn im Gegenzug die Ukraine-Hilfen nicht länger blockiert.

Das Erpressungsmanöver von Orban scheint zu funktionieren. Ungarns Regierungschef weiß, dass sein Land nicht aus der EU geworfen werden kann. Dasselbe gilt für die NATO. Das "Trojanische Pferd" von Putin leistet ganze Arbeit.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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