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"Jahrhundertreform" oder unfair? Was die Ampel mit der Rente macht

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Für die FDP ist es eine "Jahrhundertreform", für DIW-Chef Fratzscher "eine noch stärkere Umverteilung von Jung zu Alt".

Für die FDP ist es eine "Jahrhundertreform", für DIW-Chef Fratzscher "eine noch stärkere Umverteilung von Jung zu Alt".

(Foto: IMAGO/Steinach)

Der Trend ist klar: Es gibt immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler. Dieses Problem löst auch das Rentenpaket II nicht. Es verfolgt zwei Ziele: Erstens sollen die Renten weiter im Einklang mit den Löhnen in Deutschland steigen. Zweitens will die Regierung Geld auf dem Aktienmarkt anlegen, um die Erträge in die Rentenversicherung zu stecken. Das eine gefällt der SPD, das andere der FDP. Ein Überblick.

Was bedeutet die geplante Stabilisierung des Rentenniveaus?

Der Gesetzentwurf fixiert das Niveau einer Standardrente bis 2039 auf mindestens 48 Prozent des Durchschnittslohns, der zum Zeitpunkt des Rentenbezugs in Deutschland gezahlt wird. Dies war ein zentrales Versprechen der SPD im Bundestagswahlkampf 2021. Ohne die Reform würde die Zusage 2025 auslaufen.

Damit diese Stabilisierung funktioniert, setzt die Ampel den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor außer Kraft, der 2004 eingeführt worden war, um stark steigende Beitragssätze zu verhindern. Der Nachhaltigkeitsfaktor hätte in den nächsten Jahren zugleich dafür gesorgt, dass die Rentenerhöhungen deutlich hinter den Lohnsteigerungen zurückbleiben.

Wenn etwa eine ausgebildete Krankenschwester mit 3100 Euro pro Monat im Jahr 2032 nach 45 Erwerbsjahren im Alter von 65 Jahren in Rente geht, würden ihre Bezüge dank des Rentenpakets statt rund 1450 Euro etwa 1500 Euro betragen. "Das ist ein Plus von rund 600 Euro im Jahr", rechnet das Bundesarbeitsministerium vor.

Und der Rentenbeitrag?

Der steigt auch. Derzeit liegt der Beitragssatz bei 18,6 Prozent und wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hälftig geteilt. Geplant ist ein Anstieg auf zunächst 20 Prozent im Jahr 2028 und von 2035 an auf 22,3 Prozent. Die Regierung nennt das "vertretbar", die Arbeitgeber sehen dies anders.

Ist das gerecht?

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagt dazu Ja: "Das Rentenpaket sichert den Generationenvertrag auch für die Jüngeren", sagte der SPD-Politiker im Frühstart von ntv. "Und die Alternative wäre, gerade für die jüngere Generation, zuzugucken, dass die Beiträge steigen, dass das Rentenniveau sinkt und dass sie länger arbeiten."

Nicht alle Experten sind davon überzeugt. "Das Rentenpaket II ist eine gute Nachricht für die Babyboomer - also die, die jetzt in Rente gehen -, weil das Rentenniveau stabil bleibt", sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher ntv.de. "Aber konkret heißt das auch, dass eine noch stärkere Umverteilung von Jung zu Alt stattfindet."

Wie sicher ist die Rente?

Sicher ist: Die Rente ist weniger sicher als früher. Bis in die 1990er Jahre konnte sich das System selbst finanzieren: Den Beitragszahlern standen vergleichsweise wenige Rentner gegenüber. Denn die gesetzliche Rentenversicherung funktioniert nicht wie ein Sparkonto, aus dem man erhält, was man vorher eingezahlt hat. Jede Rentnergeneration wird von den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten getragen.

Schon in Kürze wird das so nicht mehr funktionieren: Die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, gehen in diesem Jahrzehnt in Rente. Kamen 1992 noch 2,7 Beitragszahlende auf einen Rentner oder eine Rentnerin, sind es inzwischen weniger als zwei. Für das Jahr 2050 wird ein Verhältnis von etwa einem Beitragszahler auf 1,3 Rentner erwartet.

Was folgt daraus?

Schon in den vergangenen Jahren ist der jährliche Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung auf mehr als 80 Milliarden Euro gestiegen. Dieser Zuschuss kommt aus dem Bundeshaushalt, also aus Steuermitteln. Viele Variablen gibt es nicht, um das System zu stabilisieren: Der Beitragssatz kann steigen, das Rentenniveau kann sinken oder das Renteneintrittsalter kann erhöht werden.

Müssen die Beschäftigten immer länger arbeiten?

"Wir brauchen tatsächlich eine längere Lebensarbeitszeit, ein späteres Renteneintrittsalter, so ehrlich muss man sein", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher. Er weiß aber auch, dass viele Menschen nicht länger arbeiten können, als sie es heute tun. Eine starre Regelung lehnt er daher ab: Nötig sei mehr Flexibilität: "Wir müssen es Menschen ermöglichen, zum Teil eben auch weit über ihr reguläres Renteneintrittsalter hinaus weiterzuarbeiten. Das entlastet die gesetzliche Rente, dann bleibt mehr für die anderen übrig."

Das sieht auch die Ampel so - mit Differenzen: Lindner plädierte im Sender Welt für einen "individualisierten Renteneintritt statt abschlagsfreier Rente mit 63", Heil dagegen hält an der Rente mit 63 fest, hat aber "nichts dagegen, dass Menschen freiwillig länger arbeiten". Fratzscher wiederum verweist darauf, dass vom abschlagsfreien Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren vor allem eine Gruppe profitiert: Männer in guten und gut bezahlten Industriejobs. "Frauen, deren Erwerbsbiografien häufig von Kindererziehungszeiten unterbrochen sind, profitieren beispielsweise wenig von der Rente mit 63." Die Rente mit 63 sei daher "eher eine Umverteilung von unten nach oben".

Zu diesem Thema bringt das Rentenpaket II aber keine Änderungen. In Koalitionskreisen heißt es, man erwäge Schritte, um die Arbeit im Alter finanziell noch attraktiver zu machen.

Was bringt die Aktienrente?

FDP-Fraktionschef Christian Dürr lobte das Rentenpaket als "Jahrhundertreform". Grund sei die auf Initiative der FDP eingeführt Aktienrente: "Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes profitieren Millionen von Arbeitnehmern und späteren Rentnern von den Kapitalmärkten", sagte Dürr dem Sender RBB.

Basis für die Aktienrente ist ein Fonds, den Lindner "Generationenkapital" getauft hat. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung soll das Geld verwalten und fast ausschließlich in Aktien anlegen. Die erhofften Renditen sollen der gesetzlichen Rentenversicherung zufließen. Finanziert wird der Fonds mit Schulden, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Dieses Jahr will der Bund zwölf Milliarden Euro für den künftigen Rentenfonds bereitstellen, in den folgenden Jahren sollen die Beträge jeweils um drei Prozent anwachsen, im Jahr 2045 sind somit Einzahlungen von 22,3 Milliarden Euro vorgesehen.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass durch die Kapitalisierung langfristig der Staatshaushalt nicht stärker belastet werde. Bis 2035 wird mit einem Kapitalstock von 200 Milliarden Euro gerechnet. Eine erste Ausschüttung von zehn Milliarden Euro ist 2040 geplant.

Fratzscher hält das für zu wenig. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wird vorn und hinten nicht reichen, um die gesetzliche Rente besser zu unterstützen." Die Idee sei nicht prinzipiell unsinnig. Ihn ärgert jedoch, dass die Ampel Schulden aufnimmt, um die wenig ertragreiche Aktienrente zu finanzieren - jedoch nicht, um in Bildung und Infrastruktur zu investieren.

Und warum hat das alles so lange gedauert?

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Heil und Lindner haben das Rentenpaket II bereits Anfang März einträchtig präsentiert. Danach kippte die Stimmung in der FDP. "So, wie es sich im Moment darstellt, erfüllt das Rentenpaket nach meiner Einschätzung noch nicht die Anforderungen des Koalitionsvertrags im Hinblick auf eine generationengerechte Absicherung", sagte FDP-Fraktionsgeschäftsführer Johannes Vogel Ende März der FAZ. "Das reicht so noch nicht." Lindner sagte heute allerdings, die FDP habe "mehr erreicht, als im Koalitionsvertrag steht". Es sei ein sehr gutes Verhandlungsergebnis. "Aus meiner Sicht ist das Rentenpaket II abgeschlossen."

Dazu kam der Streit um die Sparvorgaben, die mehrere SPD- und Grünen-geführte Ministerium nicht einhalten wollten. Hier brachte eine Koalitionsrunde zwischen Lindner, Bundeskanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck ein Ende der Blockade des Rentenpakets. Im Gegenzug für das Rentenpaket nahm Scholz die Ministerien in die Pflicht, die Sparvorgaben für den Haushalt 2025 einzuhalten.

Quelle: ntv.de, hvo/dpa/AFP

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