Politik

Kohle-Dilemma der Klimapartei Wie viel Lützerath halten die Grünen aus?

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Für Aktivisten vor der nordrhein-westfälischen Landeszentrale der Grünen geht der Kohlekompromiss mit RWE zu weit.

(Foto: picture alliance/dpa)

In Lützerath wird die Spaltung zwischen den Grünen und der Klimabewegung besonders deutlich: Die Protestierenden fühlen sich durch den Kohlekompromiss verraten - die Parteispitze predigt hingegen Kompromissfähigkeit. Die Partei, die sich Klimapolitik auf die Fahnen geschrieben hat, steht vor einem Dilemma.

Bis die letzten beiden Aktivisten das kleine Dorf Lützerath verließen, hatte Timon Dzienus Hoffnung in seine Mutterpartei. Der Bundessprecher der Grünen Jugend unterstützte die Klimaaktivisten in Lützerath bei ihrem Versuch, die Räumung des Weilers bei Mönchengladbach und die Kohleförderung zu verhindern. Ziel war es, den Polizeieinsatz möglichst langwierig zu gestalten, "damit die politischen Entscheider noch die Möglichkeit haben, die Räumung abzubrechen", wie er im Gespräch mit ntv.de betonte.

Nun, wo das Camp der Aktivisten in Lützerath abgerissen ist, sich die Polizeilinien lichten und Planierraupen durch das Dorf rollen, weicht ein Teil des Kampfgeistes der Protestierenden bitterer Enttäuschung. Die Grüne Jugend und Initiativen wie Fridays For Future, "Lützi lebt" und die Letzte Generation lassen kaum eine Gelegenheit aus, um deutlich zu machen: Sie fühlen sich verraten - vor allem von jener Partei, der sie am nächsten stehen.

Denn es waren grüne Entscheidungsträger, die die Räumung von Lützerath möglich machten. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sowie seine Parteikollegin Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen, brachten den Energiekonzern RWE dazu, sich zu einem früheren Kohleausstieg zu bekennen. Im Gegenzug stimmten sie dem Abriss von Lützerath und der Förderung der darunter gelegenen Braunkohle zu. Für Habeck, Neubaur und die grüne Parteispitze ist der Deal ein großer Erfolg - immerhin macht NRW statt 2038 bereits 2030 Schluss mit Kohle, was nicht nur den Tagebau Garzweiler II halbieren, sondern auch 280 Tonnen CO2 einsparen soll. Die Zahl ist zwar umstritten, klar ist jedoch: Die Vereinbarung auf Kosten von Lützerath sicherte das Überleben fünf anderer Dörfer.

Es ist nicht der erste Spagat der Grünen zwischen den Grundwerten ihrer Partei und den Zwängen von Regierungsverantwortung. Auch Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet wäre für die auch aus der Friedensbewegung entstandene Partei noch vor einem Jahr kaum denkbar gewesen. Ebenso wurden der Kauf von Flüssiggas aus Katar und die Verlängerung der Laufzeiten dreier Atomkraftwerke nur zähneknirschend abgenickt. Einen Aufschrei wie in Lützerath hat es jedoch bei keinem dieser Zugeständnisse gegeben. Mit dem Kohlekompromiss verärgert die Grünen-Spitze nicht nur die Klimabewegung - harsche Kritik kommt auch von Teilen der eigenen Basis. Medien und politische Wettbewerber unken von einer Zerreißprobe für die Grünen. Doch deren Führung zeigt sich dieser Tage erstaunlich unbeeindruckt.

Kohledeal verärgert Basis

Schon beim Bundesparteitag im vergangenen Oktober sah es einen kurzen Moment nach einem tiefen Zerwürfnis aus. Habeck und Neubaur hatten den Deal mit RWE gerade ausgehandelt, da forderte die Grüne Jugend per Antrag ein Moratorium für den Abriss von Lützerath. Knapp die Hälfte der grünen Parteimitglieder votierten für den Erhalt des Kohleortes - gerade einmal 21 Stimmen mehr gab es für den Kohlekompromiss. Die Parteispitze sowie die grünen Bundes- und Landesminister konnten zwar aufatmen - an einer Neuverhandlung um das Kohlerevier im Rheingebiet sind sie knapp vorbeigeschrammt. Der Riss durch die Partei bei der Entscheidung um Lützerath besteht allerdings fort.

Als sich die Einsatzkräfte vor knapp drei Wochen vor Lützerath aufbauten, forderten gut 1000 Basis-Grüne in einem offenen Brief an Habeck und Neubaur, die Räumung zu stoppen. Die grünen Bundestagsabgeordneten Kathrin Henneberger und Nyke Slawik unterstützen die Aktivisten als parlamentarische Beobachter vor Ort. Sie kritisieren vor allem die Macht von RWE bei diesem Deal, aber auch die Landesregierung, die sich "von diesem Konzern an der Nase herumführen" lasse, wie Slawik auf Twitter schreibt.

"Habecks Erfolg ist Greenwashing"

Auch Greenpeace und die Bürgerbewegung Campact protestierten in Lützerath an der Seite der Aktivisten. Vor allem, erklärt Campact-Gründer Christoph Bautz im Gespräch mit ntv.de, weil der von Habeck und der Grünen-Spitze als Erfolg gefeierte Deal auf falschen Zahlen beruhe. "Die 280 Millionen Tonnen an eingespartem CO2 sind nichts anderes als Greenwashing." Der Politologe zitiert aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), wonach "bei einem realistischen Energieverbrauch 0 Tonnen CO2 eingespart werden", wenn der Deal umgesetzt werde. Der vorgezogene Kohleausstieg sei daher nicht mehr als eine Finte: "Er ist nichts wert, wenn das verbleibende CO2-Budget trotzdem deutlich überschritten wird", sagt Bautz. Den Aktivisten gehe es um die 1,5 Grad-Grenze als absolutes Limit. "Und ob die eingehalten werden kann, wird eben auch in Lützerath entschieden."

Für die Klimabewegung in Lützerath, das wird in vielen Gesprächen vor Ort deutlich, gibt es bei der Kohleförderung keinen Kompromiss. Durch den Deal mit RWE hätten Habeck und Neubaur dem Energiekonzern zwar zu immensen Profiten verholfen, aber mit dem Pariser Klimaabkommen gebrochen, fasst Dzienus von der Grünen Jugend den Protest zusammen. Klimaaktivistin Luisa Neubauer warf ihrer Partei in der "taz" vor, die Grünen betrieben "fossiles Weiter-so".

Die Klimabewegung macht den Grünen heftige Vorwürfe - und ihrem Frust Luft. So besetzen Aktivisten Habecks Regionalbüro in Flensburg, während andere Eimer voller Braunkohle vor die grüne Parteizentrale in Düsseldorf kippen. Protestierende in Lützerath halten Plakate mit der Aufschrift "Habeck, haben Sie sich verrechnet?" und "Habeck + Neubaur = Rücktritt" direkt vor der gigantischen Tagebaukante in die Luft und Greta Thunberg, Ikone der Klimabewegung, bezeichnet die Grünen bei Anne Will als heuchlerisch. Habeck und Neubaur selbst hatten Wills Einladung zur Diskussion über Lützerath ausgeschlagen.

Kein Verständnis für Kompromisse

Auch sie wissen um das Dilemma der Bilder und Botschaften aus den vergangenen Tagen: Die Grünen stehen in der Schusslinie ihres eigenen Klientels. "Das tut auch weh", räumt der Bundeswirtschaftsminister im ZDF ein. Gleichzeitig bleiben Habeck, Neubaur und die Parteispitze um Ricarda Lang und Omid Nouripur entschlossen: Dieser Deal mit RWE sei ein Erfolg. Er sei ein Schritt in Richtung Klimaneutralität - wenn auch ein kleinerer als von der Klimabewegung gewünscht.

Es ist ein fast mantrahafter Versuch, zu vermitteln, dass die Grünen-Spitze keineswegs auf einer anderen Seite als die Klimabewegung steht, allerdings auch weitere Faktoren beachten muss: So hat RWE einen gerichtlich bestätigten Anspruch auf die Kohle unter Lützerath und Deutschland muss angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine schnellstmöglich für alternative Energiequellen sorgen. Der Kohlekompromiss ist aus ihrer Sicht kaum etwas anderes als die Entscheidung, Flüssiggas aus Katar zu beziehen oder die Laufzeit von Atomkraftwerken kurzzeitig zu verlängern: Das kleinste Übel auf dem steinigen Weg in die Klimaneutralität. Dass die Klimabewegung sich mit Abwägungen wie diesen kaum zufrieden gibt, ist auch der Grünen-Spitze bewusst.

Für die Massenproteste in Lützerath zeigte Habeck trotzdem kein Verständnis. Das Dorf sei "schlicht das falsche Symbol", kritisierte der Minister im "Spiegel". Denn der kleine Braunekohleort bei Mönchengladbach stehe eben nicht für ein "Weiter-So". Vor allem mit letzterer Aussage zog Habeck den Ärger vieler Aktivisten auf sich. Für sie ist Lützerath gerade kein Symbol von Klimapolitik, sondern ein konkreter Ort, in dem die Kohleförderung verhindert werden muss. So bleiben die Fronten zwischen der Klimaschutzpartei und der Klimabewegung, die in Lützerath zeitweise mit über 35.000 Menschen vertreten war, verhärtet.

Shitstorm für die Grünen, aber keine Katastrophe

Dass dies die Zersplitterung der Partei oder gar den Verlust einer ganzen Wählergruppe zur Folge haben könnte, glaubt der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke nicht. "Zum einen haben die Grünen das große Glück, dass sie als politische Partei auf dem ökologischen Feld ziemlich alternativlos sind", erklärt er im Gespräch mit ntv.de. Zum anderen ziehe sich die Kompromisslosigkeit der Aktivisten kaum durch die gesamte Wählerschaft. "Die Parteibasis und weite Teile der Wähler verstehen das Dilemma der Grünen, die infolge des Putinschen Gasstopps sowohl für Nachhaltigkeit als auch für Energieversorgungssicherheit sorgen müssen", sagt von Lucke.

Der Redakteur für "Blätter der deutschen und internationalen Politik" kann sich sogar einen positiven Effekt für die Grünen durch den Kohlekompromiss vorstellen. Selbst, wenn der Deal sie ein paar Stimmen am linken Rand kosten würde, erklärt von Lucke, sei die Chance groß, dass sie Wählerinnen und Wähler der Mitte hinzugewinnen. Es wäre nicht die erste realpolitische Entscheidung, aus der die Grünen am Ende gestärkt hervorgehen. Auch dies erklärt, dass Spitzenvertreter der Grünen sich bei persönlichen Begegnungen eher entspannt im Umgang mit dem Thema zeigen.

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Zuletzt wissen auch Parteimitglieder und Klimaaktivisten, dass es nicht allein an den Grünen ist, die Klimakrise zu bekämpfen. In Lützerath habe man den Mut der Grünen zwar vermisst, sagt etwa Timon Dzienus von der Grünen Jugend. "Am Ende ist das Problem aber nicht Aktivisten gegen Grüne, sondern Politik gegen Wirklichkeit." Auch Bautz schränkt seine Kritik an Habeck und Neubaur ein. "Die großen Blockierer", so der Biologe, seien andere. "Da gibt es einen Christian Lindner, der Gelder für den Klimaschutz blockiert und einen Olaf Scholz, der sich als Klimakanzler plakatieren ließ und den Grünen nun in vielen Bereichen nicht den Rücken stärkt. Sie sind die eigentlichen Klimaschutzversager."

Die Bilderflut aus Lützerath ebbt langsam ab, das mediale Interesse verlagert sich auf andere Orte. Die vergangenen Tage in Lützerath werden für die Grünen sicherlich kaum schwerwiegende Konsequenzen haben. Die Frage, wie kompromissbereit die Grünen sein wollen, wie viel Pragmatismus ihre Politik verträgt, wird sich die Parteispitze allerdings noch öfter stellen müssen. Dabei sollten sie die verärgerte Basis sowie die Enttäuschung der Klimabewegung aus Lützerath zumindest im Hinterkopf behalten. Denn noch in diesem Jahr steht Teil zwei der Auseinandersetzung an. Dann nämlich, wenn die Grünen auch den Kohleausstieg im Osten auf 2030 vorziehen wollen.

Quelle: ntv.de

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