Entlastung für Bürger wackelt Wo bleibt das versprochene Klimageld?


Lindner, Habeck und Scholz: Das Klimageld ist ihrem Koalitionsvertrag fest vereinbart.
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Das Klimageld ist eines der Schaufensterprojekte im Koalitionsvertrag: Die Ampel will so Verbraucher von steigenden Energiepreisen entlasten. Inzwischen scheint das Projekt in weite Ferne gerückt. Dabei hat Finanzminister Lindner gerade erst das Erreichen eines Meilensteins angekündigt.
Während der parlamentarischen Sommerpause und Schulferienzeit wird so manche Mücke zum Elefanten und in Brandenburg auch schon einmal ein Wildschwein zum Löwen. Relevante Themen gehen da schon einmal unter. So etwa ein Interview von Bundesfinanzminister Christian Lindner mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom vorletzten Juliwochenende. Darin machte der FDP-Chef eine überraschende Ankündigung: "Wir verbinden die Steuer-Identifikationsnummer mit einer IBAN-Bankverbindung, sodass wir eine Pro-Kopf-Auszahlung vornehmen können. Ab Ende des kommenden Jahres soll das gehen", sagte Lindner.
Wovon zunächst wenige Notiz nahmen, sorgte bei Fachpolitikern für umso mehr Aufsehen - ob sie das Interview nun im Urlaub oder zwischen zwei Wahlkreis-Terminen lasen. Seit Monaten warten Bundestagsabgeordnete auf eine neue Wasserstandsmeldung zu diesem Thema aus Lindners Haus. Schließlich ist die Fähigkeit, Geld direkt an alle Bürgerinnen und Bürger zu überweisen, Voraussetzung für das von Ampelkoalition geplante Klimageld - ein Kompensationsmechanismus, der vor allem kleinere Einkommen während des Umstiegs auf Erneuerbare Energien entlasten und so die Akzeptanz der Klimapolitik stärken soll.
Warum so spät?
Auf die Überraschung folgte teilweise Ernüchterung, etwa bei Andreas Audretsch, Vize-Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. "Wir brauchen den Auszahlungsmechanismus als sozialen Ausgleich. Bis Ende 2024 ist eine lange Zeit", sagt Audretsch ntv.de. Lindner hatte nach der Kabinettsklausur vor elf Monaten von mindestens eineinhalb Jahren gesprochen, die es brauche, einen solchen Auszahlungsweg zu entwickeln. Nun dauert es wohl neun Monate länger - mindestens. "Ja, das ist technisch ein aufwendiges Unterfangen. Umso wichtiger, dass der Finanzminister der Sache die nötige Priorität einräumt, unsere Unterstützung hat er", sagt Audretsch.
"Es ist bekannt, dass Deutschlands Verwaltung - vorsichtig gesagt - nicht zur Speerspitze der Digitalisierung gehört. Hinzu kommt, dass die Regierung mit Russlands Krieg gegen die Ukraine befasst war", sagt der FDP-Klimapolitiker Lukas Köhler zu ntv.de "Die Auszahlung des Klimagelds ist ein komplexer behördlicher Vorgang. Dafür gibt es in Deutschlands Verwaltung bisher keine Blaupause. Im Finanzministerium wurde daher sorgfältig geprüft, welche Lösung technisch überhaupt umsetzbar ist." Entscheidend sei, dass der Auszahlungsmechanismus komme.
Eine Anfrage von ntv.de, warum dessen Konstruktion so langwierig ist, ließ das zuständige Bundeszentralamt für Steuern unbeantwortet. "Der Finanzminister hat den Auftrag, die technischen Grundlagen für die Direktüberweisung öffentlicher Leistungen zu schaffen, auch um mit dem Klimageld die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürgerinnen und Bürger zurückzuzahlen. Ich erwarte, dass hierzu in Kürze ein Vorschlag vom Bundesfinanzministerium kommt", sagt Esken in einem Interview, das am Samstag bei ntv.de erscheint. Sie erwarte eine Einführung des Klimagelds noch in der laufenden Legislaturperiode. "Wir haben das im Koalitionsvertrag vereinbart und ich erwarte da eine gewisse Vertragstreue."
Stehen SPD und FDP zum Klimageld?
Bei den Grünen war zuletzt die Skepsis gewachsen, wie ernst es Lindner mit dem Vorhaben Klimageld ist, nachdem sie die Freidemokraten zu Regierungsbeginn noch als Verbündeten wahrgenommen hatten. Die Grünen hatten das damals noch "Energiegeld" genannte Konzept im Bundestagswahlkampf vorgestellt. Die Idee: Über den europäischen Emissionshandel für fossile Brennstoffe sowie über den deutschen CO2-Preis werden Öl und Gas teurer und unattraktiver. Das motiviert Verbraucher und Wirtschaft, ihren Verbrauch zu reduzieren und auf Erneuerbare Energien umzusteigen. Ein aus der CO2-Bepreisung finanzierter Fixbetrag - das Klimageld - kompensiert diese Mehrkosten, was vor allem Menschen mit geringem Einkommen und geringerem Energieverbrauch entlastet. Wer dagegen mehr Energie konsumiert, Benzinschleudern fährt oder den Pool seiner Villa beheizt, zahlt drauf.
Das Grünen-Konzept passte zu Vorstellungen der FDP, die Energiewende allein über den Emissionshandel mit sich stetig verknappenden CO2-Zertifikaten zu steuern. Die Freidemokraten hätten zuletzt Gelegenheiten liegengelassen, das soziale Klimageld voranzutreiben, sagt Grünen-Politiker Audretsch. "Wir Grüne drängen darauf, dass beides kommt, ein maßvoll steigender CO2-Preis und das Klimageld als sozialer Ausgleich." Doch die Arbeit am Klimageld kommt im FDP-geführten Bundesfinanzministerium nur langsam voran, während aus der SPD auch Kritik laut wird.
Der Klimapolitiker und Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, warnt auf Nachfrage von ntv.de: "Soziale Verwerfungen" durch den Emissionshandel seien vorprogrammiert und würden durch das Klimageld nicht wettgemacht. Noch schärfer hatte es Miersch im April im "Tagesspiegel" formuliert: "Mobilität und Energie können dann für einige unbezahlbar werden, während sich Wohlhabende weiterhin jede Klimasauerei leisten könnten." Nun erklärt Miersch: Das Klimageld könne "ein langfristiges Instrument der Kompensation sein, wenn es richtig ausgestaltet ist". Der Koalitionsvertrag gelte.
Wie viel soll es denn werden?
Wie das Klimageld genau aussehen könnte, ist bis heute unklar. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm bei einem C02-Preis von 60 Euro mit jährlich 75 Euro pro Person kalkuliert. Das wären für eine vierköpfige Familie immerhin 300 Euro, doch die Summe war im Jahr 2021 - vor der kriegsbedingten, massiven Inflation der folgenden zwei Jahre - deutlich beeindruckender als heute.
75 Euro mal 83,2 Millionen Einwohner wären stattliche 6,24 Milliarden Euro im Jahr, plus Verwaltungskosten. Über den europäischen und nationalen Emissionshandel hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr 13,2 Milliarden Euro eingenommen. Tendenz für 2023: steigend. Langfristig sollen die Zertifikate über den europäischen Emissionshandel sogar deutlich teurer werden und noch höhere Staatseinnahmen bescheren. Im Gegenzug dürften dann auch die Verbraucherpreise kräftig steigen, weshalb das Klimageld über die 75 Euro hinaus mitwachsen müsste. Keiner der angefragten Fachpolitiker wollte hierzu einen Zielwert nennen.
Präzedenzfall Energiepreiskrise
Tatsächlich ist ein immer weiter steigender CO2-Preis auch nicht in Stein gemeißelt. Bis zur Überführung in einen nationalen oder europäischen Emissionshandel wird der CO2-Preis politisch festgelegt, über das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Als in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die Energiepreise in die Höhe schossen, setzte die Bundesregierung den Preispfad aus. Die vorgesehene Steigerung von 30 auf 35 Euro pro Tonne für das laufende Jahr fiel aus; bis 2025 steigt er nur auf 45 statt auf die ursprünglich vorgesehene Zielmarke von 55 Euro. Für Audretsch ein unheilvoller Präzedenzfall: "Es war nicht gut, dass wir den Anstieg ausgesetzt haben", sagt der Grünen-Politiker. "Zentral ist Verlässlichkeit, dass Menschen sich darauf einstellen und können."
Wann immer den politisch Verantwortlichen künftig Ungemach wegen zu hoher Lebenshaltungskosten droht, drängt sich der CO2-Preis als Stellschraube auf. Selbst der Emissionshandel ist über die Ausschüttung zusätzlicher CO2-Zertifikate politisch steuerbar. FDP-Politiker Köhler hält den Emissionshandel dennoch für den besseren weil zuverlässigeren Preispfad: "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir den nationalen Emissionshandel zum Jahr 2025 im Jahr 2024 einführen, um die Zeit bis zur Ausweitung des europäischen Emissionshandels zu überbrücken", sagt er. Lindner hatte einen Antrag zum Start des Emissionshandels in 2024, der auf dem FDP-Parteitag im Frühjahr mehrheitlich verabschiedet worden war, umgehend abgeräumt: "Das ist politisch und technisch nicht mehr möglich", sagte Lindner und verwies stattdessen auf einen Start des europäischen Emissionshandels in 2027.
Lindner "steht zur Idee"
Hat es Lindner also gar nicht so eilig, das Klimageld einzuführen? Ein Sprecher erklärte ntv.de, dass der Finanzminister "zur Idee steht, die Klimaneutralität über das marktwirtschaftliche Instrument des CO2-Preises zu erreichen und für den sozialen Ausgleich die entsprechenden Einnahmen an die Bürgerinnen und Bürger zurückzugeben". Und wann es soweit ist? "Zum 'Klimageld' dauern die ressortübergreifenden Abstimmungen an", so das Finanzministerium. Das Klimageld werde kommen, ist auch Köhler überzeugt. "Das hat Christian Lindner ja sehr deutlich gemacht."
Im Funke-Interview reichte Lindner den Schwarzen Peter an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck weiter. Die rund 200 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds (KTF), in den die CO2-Einnahmen bisher fließen, sind weitgehend verplant - für die Förderung von Elektroautos, Wärmepumpen und den Umbau auf eine klimaneutrale Industrie. Lindner forderte Habeck und die weiteren Kabinettskollegen auf, "nach und nach raus aus dem Subventionsregime" zu finden, damit das eingenommene Geld direkt an die Bürgerinnen und Bürger fließen kann. Das Klimageld und Verwendung der KTF-Milliarden geraten zu zwei von vielen Aspekten der Wirtschaftspolitik, wenn die Debatte über Konjunkturmaßnahmen weiter Fahrt aufnimmt: Die Grünen fordern massive Investitionen und - gemeinsam mit der SPD - einen Industriestrompreis. Zu beidem sagt Lindner bislang nein - und weiß in Fragen von Haushaltsdisziplin und Einhaltung der Schuldenbremse bislang stets den Bundeskanzler hinter sich.
FDP-Klimapolitiker Köhler, der zusammen mit dem Vize-Parteivorsitzenden Johannes Vogel für einen nationalen Emissionshandel und das Klimageld wirbt, überzeugt das Budgetproblem nicht: "Im KTF liegt genug Geld, um ein Klimageld auszufinanzieren." Notfalls müsse Habeck eben umschichten. Oder aber: Der nationale CO2-Preis steigt doch schneller an, sodass mehr Geld in den KTF fließt. Eine Stellschraube lässt sich bekanntlich in zwei Richtungen drehen.
Quelle: ntv.de