
Eigentlich sollte der Umgangston nach der Sommerpause besser werden. Doch der Wunsch blieb unerfüllt.
(Foto: Michael Kappeler/dpa)
Gleich nach der Rückkehr aus dem Urlaub flackern das gelbe und das grüne Licht der Ampelkoalition schon wieder in vertrauter Zwietracht. Der Streit schadet den beteiligten Partnern selbst am meisten. Einmal mehr stellt sich die Frage, wo eigentlich der Kanzler war, um das zu verhindern.
Sie wollten es doch eigentlich anders machen. "Ich wünsche mir, dass das im Ton manchmal anders stattfindet, als es in der Vergangenheit war", hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Sommerinterview mit dem ZDF über die Umgangsformen in der Ampelkoalition gesagt. "Ich habe auch den Eindruck, dass sich über den Sommer viele vorgenommen haben, das genau zu ändern." Tja, der Eindruck war wohl trügerisch. So gut die Vorsätze am Strand, in den Bergen oder auf Balkonien gewesen sein mögen, an diesen Mittwoch waren sie schon wieder Schnee von gestern. Jetzt "ruckelt" es wieder in der Ampel - um mit Scholz zu sprechen, der so neulich die Ampel-Selbstzerfleischung im Heizungsstreit umschrieb. Aus dem Debakel haben die Koalitionäre nichts gelernt.
Dabei gilt festzuhalten: Der neuerliche Koalitionsstreit um die Kindergrundsicherung hat seine Berechtigung. Zwei wichtige Anliegen stehen sich gegenüber - der Kampf gegen Kinderarmut auf der einen Seite und die Haushaltsdisziplin oder auch die Hilfen für die Wirtschaft auf der anderen. Es ist verständlich, dass Familienministerin Lisa Paus für eine Erhöhung der Leistungen kämpft - ebenso ist es nachvollziehbar, dass Finanzminister Christian Lindner in Zeiten steigender Zinsen auf das Einhalten der Schuldenbremse dringt. Immer weniger nachvollziehbar ist hingegen die Art und Weise, wie diese Koalitionäre miteinander umgehen.
Wie Paus im letzten Moment den Fuß in die Tür rammte, um das Wirtschaftschancengesetz zu stoppen, hatte etwas von Verzweiflung. Und von Erpressung. Ihre Botschaft: Wenn Lindner nicht mehr Geld rausrückt, stirbt sein eigenes Gesetz. Solche Daumenschrauben gehören zwar zur Politik dazu. Aber den vermeintlichen Partner öffentlich so auflaufen zu lassen, hat mit kollegialem Miteinander nichts mehr zu tun. Dass die FDP nun geschlossen aufschreit und gegen die Grünen schimpft, verwundert da nicht.
Rückfall statt mehr Fortschritt
Doch auch seitens Lindner war wenig von dem zu spüren, was er Ende 2021 im Koalitionsvertrag unterschrieb: "Wir wollen eine Kultur des Respekts befördern - Respekt für andere Meinungen, für Gegenargumente und Streit, für andere Lebenswelten und Einstellungen." Den Grünen wollte er den Erfolg in Sachen Kindergrundsicherung offenbar nicht gönnen. Das mag im eigenen Lager gut ankommen, doch war man nicht angetreten, um "gemeinsam mehr Fortschritt" zu wagen? Nun erleben wir jedenfalls einen Rückfall in düstere Heizungsstreit-Zeiten.
Wie im Frühjahr stellt sich die Frage, warum eigentlich der Kanzler oder auch der Kanzleramtsminister sich nicht eingeschaltet haben, um das zu verhindern. Als jemand, der nah dran ist, hätte es Scholz auch auffallen müssen, dass die Grünen in dieser Frage nicht einig sind und Paus zumindest gefühlt mit dem Rücken zur Wand stand. Es war sein Job, zu wissen, wie unzufrieden seine Ministerin ist. Der Kanzler schrieb zwar Anfang Juli einen Brief an Paus, der wurde aber eher als Machtwort interpretiert. Geholfen hat es nicht - Tatsache ist, dass der Streit eskaliert ist und nun wieder die gesamte Koalition schlecht aussehen lässt.
Genau das kann sich die Ampel nicht mehr leisten. Die SPD steht mies da, die Grünen angeschlagen und die FDP wandelt am Abgrund der Fünf-Prozent-Hürde. Eine eigene Mehrheit haben die drei Parteien im Trendbarometer von ntv schon lange nicht mehr. Stattdessen etabliert sich die AfD jenseits der 20-Prozent-Marke. Wäre es da nicht im Interesse aller gewesen, das große Streitthema Kindergrundsicherung rechtzeitig abzuräumen?
Nun ruhen die Hoffnungen auf der Klausur in Meseberg. Dorthin flüchtete sie bereits zweimal, um Koalitionskräche zu beruhigen. Alles andere als eine Einigung dort in Sachen Wachstumschancengesetz und Kindergrundsicherung wäre eine Blamage. Vielleicht braucht die Ampel diesen Druck - etwas anderes scheint sie jedenfalls nicht mehr zusammenzuhalten. Bis dahin schwelt der Streit weiter. Während Familien und Unternehmen auf Klarheit warten. Idealerweise ohne weiteres Ruckeln.
Quelle: ntv.de