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Wehrdienst bleibt freiwilligMit diesem Gesetz geht Deutschland ins Risiko

13.11.2025, 16:21 Uhr UnbenanntFrauke Niemeyer
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Soldaten beim Feierlichen Gelöbnis zum 70-jährigen Bestehen der Bundeswehr am Gründungstag, dem 12. November, in Berlin. (Foto: picture alliance / SZ Photo)

Die Einigung auf einen neuen Wehrdienst steht. Gut, dass es losgeht. Falls die Zahl der Freiwilligen jedoch nicht ausreicht, geht die Debatte von vorne los. Das birgt mehr Risiken als Deutschland sich leisten kann.

Sie wollen die Jungen wirklich kriegen. Das Wehrdienstgesetz, das ab 2026 regeln soll, zu welchen Bedingungen junge Leute in Deutschland freiwillig zur Bundeswehr gehen können, hat einige gute Ideen auf Lager. Was wurde man am 18. Geburtstag von der Verwandtschaft gefragt? "Na, machste denn schon Deinen Führerschein?" Im zukünftigen Wehrdienst können die Soldaten ab einem Jahr Verpflichtungszeit mit einem finanziellen Zuschuss Führerschein machen für Pkw oder Lkw.

Das ist bemerkenswert pragmatisch und lebensnah, ebenso die Entscheidung, den freiwilligen Wehrdienst zukünftig mit 2.600 Euro brutto zu bezahlen. Wer mit 18 erstmal die Welt entdecken will, könnte, statt sich das nötige Reisebudget hinter irgendeinem Bratwurststand zu verdienen, genauso gut zum Bund gehen - und hat auch noch der Gesellschaft gedient.

Kein Schimmel und neue Socken

Dazu soll in den Kasernen ohnehin der Badezimmer-Schimmel verschwinden, im Haushalt 2025 war auch ein Posten für neue Socken eingestellt. Wenn dann statt der muffigen Kreiswehrersatzämter von früher die Musterung in hellen Räumen von zugewandtem Personal durchgeführt wird, ist das doch schon die halbe Miete.

Es bewegt sich was bei der Bundeswehr, und die Regierungskoalition hat Grund zu hoffen, dass sich dank der Neuausrichtung des Wehrdienstes künftig viele Freiwillige für den Bund begeistern werden. Es kann aber sein, dass es dennoch nicht reicht. Warum ist die Gefahr so real?

Seit 2018 versuchte die Bundeswehr, von damals etwa 181.000 Soldatinnen und Soldaten auf die Zielmarke 203.000 zu kommen. Dazu hat man Bürokratie abgebaut, den Einstieg erleichtert, Werbung geschaltet - mit all diesen Maßnahmen hat man in diesem Jahr eine Größe von 184.000 Streitkräften erreicht. Innerhalb von sieben Jahren ein Aufwuchs von 3000 Soldaten.

Das liegt daran, dass jedes Jahr etwa 20.000 Streitkräfte ihren Dienst quittieren. Diese Lücken müssen erstmal mit Neuen gestopft werden, bevor man überhaupt ins Plus kommt.

Nun hat aber die Nato ihre Verteidigungspläne an die wachsende Bedrohung aus Russland angepasst, und seitdem lautet die neue Zielmarke für den Aufwuchs nicht mehr 203.000, sondern 260.000. Viele Experten sehen diesen Wert noch am untersten Rand des Notwendigen.

Die Gefahr, dass es nicht reicht, ist groß

Da kann Verteidigungsminister Boris Pistorius noch so vehement Optimismus ausstrahlen, wenn er vor dem SPD-Fraktionssaal im Bundestag die Freiwilligkeit im neuen Wehrdienst-Gesetz betont. Die Gefahr, dass freiwillig nicht genug Soldaten zusammenkommen - einfach, weil man dermaßen viele braucht, ist immens groß.

Exakt hier liegt der Fallstrick in diesem Gesetz. Denn es werden darin zwar Zielzahlen festgeschrieben, die jährlich zu erreichen sind. Alle sechs Monate soll Pistorius' Haus die aktuellen Rekrutierungszahlen im Bundestag präsentieren und auch, inwieweit sie womöglich von den festgelegten Zielzahlen abweichen. Aber falls der Aufwuchs der Truppe nicht im angepeilten und dringend notwendigen Ausmaß erfolgt, und das zwei, drei Jahre hintereinander - was passiert dann?

"Dann sage ich, ich muss mal mit euch reden" - so die hemdsärmelige Antwort von Pistorius, und mit "euch" ist das Parlament gemeint. "Dann gibt es im Gesetz die klare Regelung", dass der Bundestag "sich völlig neu damit beschäftigen muss", so formuliert es SPD-Fraktionschef Matthias Miersch.

Zusammengefasst heißt das: Wenn das Modell "Freiwilliger Wehrdienst" nicht greift und man allein dadurch schon in Zeitverzug ist beim dringend nötigen Aufwuchs, dann startet die politische Debatte bei Null.

Wollen wir per Losverfahren die klaffende Lücke schließen? Oder leisten wir uns, wie von vielen Militärs gefordert, eine Bedarfswehrpflicht "Modell Sverige", mit der man exakt Personen mit den Fähigkeiten einziehen könnte, die man gerade braucht. Sind die IT-Abteilungen der Truppe unterbesetzt, dann verpflichtet man IT-Begeisterte. Mangelt es an Drohnenpiloten, dann sucht man im betreffenden Jahrgang nach diesen Talenten. Das wäre weniger gerecht als eine Entscheidung per Losverfahren, aber wesentlich effektiver mit Blick auf die Belange der Truppe.

Der Umschalthebel fehlt

Gefordert hatten viele Verteidigungsexperten einen Automatismus, der im neuen Gesetz festgeschrieben werden sollte: Wir probieren es mit Freiwilligkeit. Aber wenn das nicht reicht, dann schaltet das System automatisch um auf eine Verpflichtung. So dass die Lücke schnellstmöglich geschlossen werden kann.

Dieser automatische Umschalthebel kommt nicht. Stattdessen beginnt die ganze Debatte, die schon jetzt mit einigen Turbulenzen geführt wurde, völlig von Neuem und möglicherweise auch in einem neuen Setting: Wer weiß, wie in drei, vier Jahren die Mehrheitsverhältnisse sind? Ob Schwarz-Rot überhaupt noch regiert? Was Russland bis dahin verzapft hat? Wie weit das Internet dann von feindlichen Kampagnen und Desinformation durchdrungen ist?

Aktuell spricht sich eine Mehrheit der Deutschen in mehreren Umfragen für die generelle Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Eine komfortable Situation für eine Regierung, die nur eine Bedarfswehrpflicht für den Notfall einführen müsste. Eine solche Entscheidung hätte beste Aussichten gehabt, von einer breiten Mehrheit getragen zu werden.

Trotzdem kommt sie jetzt nicht, weil man den linken Flügel der SPD nicht überzeugen konnte, aber auch nicht übergehen wollte, der sich mit jeglicher Verpflichtung zur Truppe schwertut. Ein Ergebnis sollte her, endlich sollte es losgehen. Die Motive sind verständlich, doch in fragilen Zeiten birgt der Verzicht auf den Automatismus hohe Risiken. In jedem Fall verliert man Zeit, die man eigentlich nicht hatte. Und vielleicht fährt die Debatte in drei Jahren ebenso fest wie in den vergangenen Wochen und führt zu keiner Einigung. Vielleicht blickt auch die Bevölkerung dann anders auf die Frage. Das sind Risiken, die heute niemand einschätzen kann. Sie auszuschalten, hat Schwarz-Rot mit diesem Gesetz versäumt.

Quelle: ntv.de

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