
Keine Freunde: Merz und Klingbeil bei der Wahl des Bundespräsidenten.
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Die Stimmung zwischen Unionsspitze und den Ampelparteien ist frostig. Immer wieder mahnen SPD-Spitzenvertreter Oppositionschef Merz zu staatspolitischer Verantwortung. Doch anstatt davon abzulenken, wirft dieser Appell ein Schlaglicht auf die eigenen Fehler.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil und CDU-Chef Friedrich Merz werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Schon lange vor dem Sieg der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl genoss es Klingbeil, Merz als möglichen CDU-Vorsitzenden und gar Kanzlerkandidaten als Modell von Vorvorgestern durch den Kakao zu ziehen. Dass der Sauerländer nach der Wahl als Chef von CDU und Unionsfraktion zum Oppositionsführer aufstieg, wurde im Willy-Brandt-Haus selbstbewusst als gutes Zeichen gewertet. Dem achso gestrigen Merz als wichtigstem Gegenspieler trauten die Sozialdemokraten in ihrem Siegesrausch wenig zu. Auch nicht, dass er die am Boden liegenden Konservativen schnell mit ihrer neuen Oppositionsrolle vertraut machen würde. Doch das Gegenteil ist der Fall, und die wiederkehrende Entrüstung von Klingbeil und Co über Merz erklärt sich auch mit dessen souveränem Umgang mit seiner neuen Funktion.
Am Donnerstag war es wieder einmal so weit, dass Klingbeil Merz im Bundestag an seine staatspolitische Verantwortung erinnerte, wenn es um die gemeinsame Haltung zum Ukraine-Krieg geht. An diese hat schon Bundeskanzler Olaf Scholz erinnert, als es um die dringend benötigte Zustimmung der Union zum geplanten Sondervermögen für die Bundeswehr ging. Genauso wie schon Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, als die Union die Impfpflicht retten sollte, zu der der Ampel eine eigene Mehrheit fehlte. Jedes dieser drei Male hatte sich die Regierungspartei selbst in Abhängigkeit von der Union manövriert und sie anschließend als verantwortungslos gescholten, als CDU und CSU nicht folgten oder ihre Stimmen an eigene inhaltliche Forderungen banden.
Union geht es nicht allein um Parteitaktik
Die Ampel-Interpretation, Merz ginge es allein um parteitaktische Spielchen, ist nicht aus der Luft gegriffen. In allein drei Fällen hat die Regierungskoalition durch eigene strategische Schwächen oder fehlende Geschlossenheit dem Oppositionsführer Vorlagen geliefert, die er nur noch einnetzen musste. Was aber nicht heißt, dass die Union entgegen den eigenen Überzeugungen gehandelt hat, nur um SPD, Grüne und FDP vorzuführen. Schon bei der Impfpflicht waren Christdemokraten und Christsoziale ja alles andere als allein im Bundestag mit ihren Zweifeln.
Dass die Union für ihre Zustimmung zu einer Grundgesetzänderung, damit die Ampel 100 Milliarden Euro in Deutschlands Sicherheit stecken kann, auf eine von diesem Sondervermögen unabhängige Anhebung des Wehretats pocht, entspricht der Parteilinie. Die Forderung vertrat sie schon, bevor Scholz das Sondervermögen als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg ankündigte. Bei dieser Rede hatten nicht nur die Zuhörer in der CDU/CSU-Fraktion gehört, dass Scholz das Geld allein in die Bundeswehr stecken wollte. Er sprach wortwörtlich von einem "Sondervermögen 'Bundeswehr'". Dass das Geld nun auf Druck von SPD und Grünen auch in andere sicherheitspolitische Ausgaben fließen soll, ist ein Zugeständnis von Scholz an die eigenen Leute - und zwar nachdem er sich mit dem außerhalb des Kabinetts unabgesprochenen Vorschlag in Abhängigkeit von der Union begeben hatte.
Merz muss es sich nicht schwer machen wie Scholz
Merz' Drohung, auch im Falle einer Einigung werde seine Fraktion nur so viele Ja-Stimmen liefern, wie die Ampel zusätzlich zur Erreichung der Zweidrittel-Mehrheit braucht, ist tatsächlich ein streitbares Manöver. Will die Union wirklich riskieren, dass das Sondervermögen scheitert und die Bundeswehr leer ausgeht, weil die Ampel einen kleinen Teil der Summe auch in Cybersicherheit und Krisenprävention stecken möchte? Eher nicht, und so wird es auch voraussichtlich nicht kommen. Aber bis zu einer Vereinbarung nutzt Merz die Gelegenheit, die inhaltlichen Reibungen innerhalb des Regierungsbündnisses weiter offenzulegen und die Ampel vor sich herzutreiben. Dass die Union dabei auch auf die anstehenden Landtagswahlen schielt, ist ihr gutes Recht. Schließlich wirbt ihrerseits die SPD in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein mit der Ukraine-Politik von Scholz.
Politische Überzeugungen mit parteitaktischen Gelegenheiten zu verknüpfen, ist Merz auch in der Debatte über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gelungen. Mit dem eigenen Antrag, der entsprechende Forderungen an die Bundesregierung formulierte, hat die Union die Regierungsfraktionen gezwungen, sich zum Kurs ihres lavierenden Kanzlers zu positionieren - und am Ende bekommen, was sie für richtig hält: ein Deutschland, das sich zu entschlossener und robuster Unterstützung der Ukraine bekennt. Dass Merz dabei aus der einfacheren Position des Oppositionsführers agiert als aus der Position desjenigen, der in diesen Wochen tatsächlich schwere Verantwortung trägt, mag die SPD verärgern. Doch es ist nicht Merz' Aufgabe, Neben-Kanzler zu spielen. Über dieses Privileg des Wahlverlierers braucht sich die Regierungspartei nicht zu echauffieren. Sie sollte ihre Energie lieber auf die Frage verwenden, warum sie Merz immer wieder Vorlagen vor den Fuß legt, die auch ein vermeintlich Vorgestriger mit Leichtigkeit verwandelt.
Quelle: ntv.de