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Mit großen Zielen nach London Am Ende ist Kerber in Wimbledon erstmal alles egal

Angelique Kerber hält ihre Zukunft offen.

Angelique Kerber hält ihre Zukunft offen.

(Foto: IMAGO/tennisphoto.de)

Angelique Kerber ist 34 Jahre alt, ist dreifache Grand-Slam-Siegerin und ehemalige Nummer eins der Tenniswelt. Die Kielerin ist die größte deutsche Tennisspielerin seit der Ära Steffi Grafs. Nun geht es nach Wimbledon, ihrem Lieblings-Grand-Slam-Turnier. Ein letztes Mal?

Profitennis findet für Deutschlands beste Tennisspielerin seit Langem nur noch auf Bewährung statt. Wann ihre große Karriere enden soll, "das will ich jetzt noch nicht so konkret sagen. Ich habe den Gedanken erst mal weggeschoben", sagte die dreifache Grand-Slam-Siegerin Kerber schon 2020. "Aber wenn man schon mal daran gedacht hat, kann man es auch nicht löschen." Irgendwann werde sie "spüren", wann Schluss sein soll.

Daran hat sich im Sommer 2022 nichts geändert, einen langfristigen Plan gibt es bei der einstigen Nummer 1 der Tenniswelt nicht mehr. "Wir sehen uns im nächsten Jahr", rief Kerber den Zuschauern jüngst im Bad Homburger Kurpark zu, nachdem sie bei dem dortigen Turnier überraschend ihr Viertelfinale gegen die Französin Alizé Cornet verloren hatte. Spielt sie 2023 also wieder in Bad Homburg? Da gab sich die 34-Jährige betont uneindeutig: "Ich werde auf jeden Fall hier sein. In welcher Rolle, das werden wir sehen. Aber ich werde auf jeden Fall hier sein."

"Einfach geliebt" in Wimbledon

Nun geht es aber erstmal nach Wimbledon, jene mythische Stätte des Tennissports. 2018 hatte Kerber hier ihren dritten und bislang letzten Grand-Slam-Titel gefeiert. Und im letzten Jahr stürmte die Kielerin, die an der Church Road in der ersten Runde gegen Nina Stojanovic nach zwei Erstrundenpleiten bei den Australian Open und den French Open ihren ersten Erfolg bei einem Grand-Slam-Turnier 2021 gefeiert hatte, völlig überraschend bis ins Halbfinale.

Die altehrwürdige Anlage im Londoner Südwesten ist für Kerber, die in Abwesenheit des verletzten Alexander Zverev deutsche Erwartungen nahezu alleine schultern muss, ein Energiequell. "Sie fühlt sich da einfach geliebt, anerkannt und bewundert von den Engländern", erklärte die deutsche Damenchefin Barbara Rittner während Kerbers Triumphzuges 2021: "Angie ist ein sehr emotionaler und leidenschaftlicher Mensch, da kann das viel bewirken."

2021 war Kerber mit dem Turniersieg in Bad Homburg im Gepäck und mit reichlich Rückenwind nach England gereist, nun lässt die Generalprobe keinerlei Rückschlüsse darauf zu, was die deutsche Nummer eins bei ihrem Lieblings-Grand-Slam-Turnier wirklich wird leisten können. Bei ihrem Heimturnier, wo die Kielerin auch als Turnierdirektorin fungiert, gewann sie zwei Runden souverän, im Viertelfinale war dann gegen Alizé Cornet überraschend schon Schluss. "Es war heute einfach nicht mein Tag", sagte Kerber nach der Niederlage. "Klar bin ich enttäuscht, aber trotzdem weiß ich, dass ich alles rausgeholt habe, was ich heute in mir hatte."

"Ich hoffe, es werden zwei Wochen"

Die Vorbereitung auf ihren persönlichen Jahreshöhepunkt fiel damit deutlich kürzer aus, als erhofft: Nur drei Matches auf Rasen müssen nun reichen, nachdem Kerber auf das Rasenturnier in Berlin verzichtet hatte. Ein Problem sei das nicht: "Am Ende ist es egal, wie viele Matches man vorher gespielt hat, Grand Slams haben ihre eigenen Regeln" sagte sie am Samstag in London. "Am Ende" sei "auch egal, gegen wen man spielt. Die ersten Runden sind für mich eh nicht so einfach, deshalb versuche ich von Anfang an, mein Tennis zu spielen." Der vielleicht letzte Ausflug als Profi-Tennisspielerin nach Wimbledon soll zu einer langen Reise werden: "Ich hoffe, es werden zwei Wochen" - das würde bedeuten: Endspiel. "Ich weiß, was ich kann, und die Sachen, die mich dazu gebracht haben, Grand Slams zu gewinnen, habe ich immer noch", betonte Kerber nun in London.

Beim dritten Grand-Slam-Turnier des Jahres bekommt es die mit Links spielende Rechtshänderin, aktuell die Nummer 19 der Weltrangliste, am Montag zum Auftakt mit der 99 Plätze schlechter platzierten Kristina Mladenovic zu tun. Die erste Hürde ist gleich hoch, die Französin hatte zuletzt bei den French Open ihren sechsten Grand-Slam-Titel im Doppel gewonnen. "Sie weiß, wie man auf den großen Plätzen spielt", sagte Kerber. "

2021 war die Zweitrunden-Partie gegen die Spanierin Sara Sorribes Tormo zum Schlüsselspiel geworden: Ein "sensationelles Match" und eine "außergewöhnliche Schlacht" habe man sich geliefert, wie der Sender BBC staunte. "Die Deutsche fand zu der Form, die sie in der zweiten Woche zu einer Gefahr machen könnte." 3:18 Stunden standen am Ende auf der Match-Uhr und Kerber bejubelte das 7:5, 5:7, 6:4 als "eines der besten Matches in den letzten Monaten von mir. Ich habe das Gefühl, ich kann es noch." Das Gefühl trug sie später bis ins Halbfinale, dort war gegen die spätere Siegerin Ashleigh Barty Schluss.

Das aktuelle Tennisjahr läuft für Angelique Kerber, der größten deutschen Spielerin nach der Ära Steffi Grafs, überaus unauffällig. In Strasbourg holte sie zwar im Mai den 14. Turniersieg ihrer Karriere, doch elf gewonnenen Matches stehen auf der Profitour auch zehn Niederlagen gegenüber. "Es ist bei mir ein ewiges Auf und Ab", sagte sie im Mai im Interview mit "Sports Illustrated". Bei den Australian Open setzte es eine deutliche Erstrundenpleite gegen die Estin Kaia Kanepi, bei den French Open war in Runde drei Schluss. Doch jetzt befindet sich die Deutsche eben wieder in den wichtigsten Wochen ihres Tennisjahres. "Ich liebe den Sport und schaffe es daher immer wieder selber, mich zu motivieren. Ich mache das alles nur noch für mich, aus Leidenschaft für den Sport." Aber die Sache mit dem Abschied, sie schwebt eben über jedem Match.

"Egal, ob mit oder ohne Punkte"

Nun also endlich wieder Wimbledon, vielleicht ein letztes Mal. Die Jahresplanung Kerbers ist auch 2022 auf das Highlight auf ihrem Lieblings-Belag ausgerichtet. "Der Wimbledon-Moment kommt erst dann, wenn man hier angekommen ist, wenn man hier mit dem Auto reinfährt, die Anlage betritt und weiß: Jetzt geht es in ein paar Tagen los", sagte Kerber bei ihrer Ankunft in London. "Da kommen die ganzen Erinnerungen hoch, man weiß, wo und wie man sich warm macht. Die Routine kommt zurück, man kommt mental an und weiß, jetzt ist der Kopf ganz in Wimbledon. Es ist ein schönes Gefühl."

Dabei ist es auch egal, dass nur ein erneuter Halbfinaleinzug verhindern kann, dass Kerber aus den Top-20-Rängen der Weltrangliste rutscht. Die Wimbledon-Organisatoren bleiben bei dem Bann der russischen Profis, dafür werden sie von der Profiorganisation WTA abgestraft, die für das wichtigste Turnier des Tennisjahres keine Weltranglistenpunkte verteilt. Der ehemaligen Nummer eins ist das egal: "Für mich stand es nie zur Debatte, Wimbledon nicht zu spielen - egal, ob mit oder ohne Punkte. Ich bin nicht die, die für die Punkte oder die Rangliste spielt, sondern für den Sport. Wer das nicht verstanden hat, worum es geht, hat den Sport auch nicht ganz verstanden."

Kerber spielt in Wimbledon für sich und für das gute Gefühl. Geht es nach dem ehemaligen deutschen Davis-Cup-Kapitän Patrick Kühnen, ist für Kerber auf ihrer ewigen Abschiedstour mit unbestimmtem Ende auch 2022 etwas drin auf den Rasenplätzen an der Church Road: "Sie hat eine interessante Rolle: Auch wenn sie mehrmalige Grand-Slam-Siegerin ist, steht sie nicht so im Fokus bei den Favoritinnen - vielleicht tut ihr das auch ganz gut, dass sie frei aufspielen kann", sagte der einstige Weltklassespieler.

Quelle: ntv.de

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