"Schock", "absurd" Dänen sind nach "Prügel" für Deutschland völlig außer sich
22.01.2025, 12:36 Uhr
Mathias Gidsel war nicht zu stoppen - und am Ende waren die Deutschen die Geprügelten.
(Foto: IMAGO/camera4+)
Die dänische Presse ist nach dem Spiel ihrer Mannschaft gegen das deutsche Team berauscht: "Schock", "Prügel", "absurd" schreiben sie. Auch die Spieler wählen nach einem außergewöhnlichen Spiel große Worte. Manche sprechen von der besten jemals gezeigten Leistung. Für das DHB-Team bedeutet das großes Pech.
Es war das Schlimmste, was der deutschen Handball-Nationalmannschaft passieren konnte: Ausgerechnet im Spiel gegen das DHB-Team eskalieren die dänischen Wunder-Handballer ihre eigene Kunst auf ein neues Level. "Das dänische Angriffsspiel ... Ich stehe immer noch unter Schock", sagte Lars Krogh Jeppesen. Der ehemalige Nationalspieler kommentierte das Hauptrunden-Überschallspektakel des Titelverteidigers gegen eine keinesfalls schlechte deutsche Mannschaft (40:30) staunend. "Das war Handball auf einem sehr, sehr hohen Niveau. Und was das Angriffsspiel angeht: Ein solches Spiel habe ich in meiner Zeit als Kommentator noch nie gesehen - und ich mache das schon seit zehn Jahren."
Vor allem in der ersten Hälfte rannten sie die bemitleidenswerte deutsche Defensive schlicht in Grund und Boden. 24 Gegentore, das gab es für eine deutsche A-Nationalmannschaft zuvor noch nie in einer Halbzeit. Mathias Gidsel, der wieder einmal überragende Spieler in einem spektakulären dänischen Ensemble, bejubelte mit leuchtenden Augen "eine der besten Leistungen, die eine dänische Nationalmannschaft je gezeigt hat, ich bin sehr stolz."
Dass das DHB-Team selbst 18 Tore erzielte, war auch der Tatsache geschuldet, dass Juri Knorr und Co. ständig den Ball hatten - denn dänische Angriffe dauern bei diesem Turnier im Schnitt rund 20 Sekunden. Im Vergleich dazu: Das tschechische Team, dass die Deutschen im letzten Vorrundenspiel mit 29:22 besiegten, hat den Ball rund 40 Sekunden in den eigenen Händen, ehe sie abschließen.
"Das Verrückte daran ..."
In Dänemark spielen nur rund 100.000 Menschen überhaupt Handball, in Deutschland sind es sechsmal so viele. Doch das nördliche Nachbarland bringt eine verrückte Dichte an Champions hervor - und die berauschen ihre Landsleute mit der Gala gegen Deutschland völlig: "In den ersten 30 Minuten haben Simon Pytlick und Mathias Gidsel das Angriffsspiel auf ein noch nie dagewesenes, ja göttliches Niveau gehoben. 24 Tore in 30 Minuten gegen eine Weltklassemannschaft wie Deutschland zu erzielen, ist absurd", schreibt "BT". "Das Verrückte daran ist, dass die Deutschen eigentlich gut gespielt haben. Sie wurden nur von einer surrealen dänischen Geschwindigkeit und Intensität wie Pfefferkörner zermahlen." Schon im Finale der Olympischen Spiele 2024 war die deutsche Mannschaft fürchterlich unter die Räder gekommen, 26:39 hieß es im August. Dass es damals eine so heftige Abreibung gab, war aber nicht alleine der dänischen Extraklasse geschuldet, sondern auch der schwächsten Turnierleistung des DHB-Teams am Ende ihres Husarenritts zur Silbermedaille.
Zur Erinnerung: Auf dem bisherigen Level, das sie gegen die deutsche Mannschaft hinter sich gelassen hatten, hatten die Dänen zuvor schon 31 WM-Spiele in Serie gewonnen, waren dreimal in Serie Weltmeister geworden. Das, was Gidsel und Co. nun vor 15.000 staunenden Augenpaaren auf das Parkett in der Jyske Bank Boxen in Herning brannten, war nahe an der Perfektion. "Wow, was für ein Handballspiel" jubilierte TV2 und Superstar Gidsel habe mit seiner Vorstellung "die Notenskala gesprengt", sagte DR. "Am Ende schüttelte das Publikum nur noch den Kopf vor Staunen", beobachtete "Jyllands-Posten".
Der Abschied des Weltstars macht alles nur schlimmer
Auch Deutschlands Weltklasse-Torwart Andreas Wolff, der diesmal nicht mal 20 Prozent aller Bälle hielt, stand mehrmals fassungslos da angesichts des dänischen Offensivfeuerwerks, das sich vor ihm abspielte. Selbst nach spektakulären Paraden wirkte der Torwart-Gigant oft mehr erleichtert als zufrieden.
Die deutsche Mannschaft darf sich damit trösten, dass selbst die Dänen über sich staunen. Und die Welt staunt mit: "Ich kann auch nicht sagen, dass ich das vergleichsweise schon mal irgendwo gesehen habe. Das ist momentan einfach eine völlig andere Welt", sagte die deutsche Handball-Legende Stefan Kretzschmar nach dem deutschen Höllenritt. Und der Linksaußen hat immerhin 218 Länderspiele gemacht.
Dänemarks Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen, der das Team seit 2017 betreut, hat es geschafft, die Riege seiner Ausnahmekönner zu einer perfekt harmonierenden Einheit zusammenzuführen: "In Dänemark sagen wir, wir gehen zu unserer Familie, unserer zweiten Familie. Wir haben wirklich viel Spaß hier in der Nationalmannschaft", gab Gidsel, der in der Bundesliga für die Füchse Berlin zaubert und die Torschützenliste anführt, gegenüber der ARD Einblicke ins Innenleben des Teams. Die Dänen spielen in den europäischen Topmannschaften zwischen Berlin und Barcelona, im Nationalteam kommen sie zusammen. Und natürlich wissen sie, worum es auch bei dieser Mission geht: "Wir wissen, dass wir die Favoriten sind. Alle erwarten, dass wir wieder Weltmeister werden." Dem Druck halten sie problemlos stand.
Gidsel, Rückraumkollege Pytlick und Co. reihen individuelle Weltklassemomente in rasend schneller Folge aneinander, oft intuitiv, immer aus einem Guss. Kurios: Mit dem Abschied von Mikkel Hansen, einer der besten Handballer der Geschichte, wurde für den Rest der Welt alles noch viel schlimmer: Der mehrfache Welthandballer und geniale Spiellenker verabschiedete sich mit dem Olympiasieg aus dem Nationalteam - und erspart den Dänen damit vor jedem Angriff einen Wechsel. Hansen hatte beinahe nur in der Offensive gespielt, mit dem omnipräsenten Gidsel wird in der Spieleröffnung nach Ballgewinn nun noch einmal extra kräftig aufs Tempo gedrückt.
"Das beste Angriffsspiel, das ich je gesehen habe"
Gidsel erzielte zehn Tore selbst, sogar elf weitere ermöglichte er durch seine außergewöhnliche Geschwindigkeit. "Mich ärgern die zwei Schlagwürfe von Rasmus Lauge mehr als die 17 genialen Momente von Gidsel", sagte DHB-Teammanager Benjamin Chatton hinterher - und gestand damit ein, dass den Dänen nur in Ausnahmemomenten beizukommen ist. Selbst, wenn die Rennerei unterbrochen wird und der große Favorit im gebundenen Spiel gestellt ist. Diese Momente verpasste die so heftig durchgeschüttelte deutsche Defensive dann auch noch allzu oft.
Das dänische Spiel ist heute noch viel mehr als ein hochklassiges Abspulen eingeübter Abläufe, es ist ein Lobgesang auf die Freiheit des Einzelnen. "Wir haben ein gutes Zusammenspiel und dann haben wir einige der besten Spieler der Welt", nannte Jacobsen das Prinzip. Die gewaltige Konzentration an Ausnahmekönnern erklärte Ausnahmekönner Gidsel gegenüber der ARD mit einer besonderen, sehr dänischen Herangehensweise an den Sport: "Der Unterschied zwischen Dänemark und Deutschland ist: Wir gehen zum Handball, um Spaß zu haben. Mit Riesenrespekt für Deutschland, aber da ist es etwas anders. Da musst du lernen, Handball zu spielen, es gibt einen Fokus auf das Kraft- und Athletiktraining. Das haben wir in Dänemark nicht." Die Lockerheit, der Spaß - er führt nun erneut in ganz neue Sphären: "Das war das beste Angriffsspiel, das ich je gesehen habe. Ich glaube wirklich, dass es das war", sagte Rasmus Lauge. Es war das große Unglück für die deutsche Mannschaft, dass sie das erste Opfer der nächsten dänischen Handball-Explosion wurden.
Quelle: ntv.de