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DHB-Team leidet historisch In der Hölle wartet auf Deutschland noch eine ganz schlechte Nachricht

Schwer geschlagen: Julian Köster.

Schwer geschlagen: Julian Köster.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat die Hölle hinter sich gelassen: Gegen Gastgeber Dänemark setzt es eine klare Niederlage. In den ersten 30 Minuten des Auftaktspiels der WM-Hauptrunde wird die DHB-Auswahl sogar historisch überrannt.

Was ist da in der Jyske Bank Boxen passiert?

Herning macht es einem nicht ganz leicht, es zu mögen. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Es gibt in der kleinen 50.000-Einwohner-Stadt eine Menge Industrie, selbst die schönen Teile der Gemeinde verstecken sich unter dem Schleier des dänischen feuchten Winters, quer durch den Ort führt eine Autobahn. Und an diesem Abend scheint es, als hätten sie die Schnellstraße auch noch quer durch die Jyske Bank Boxen verlegt. Und die Dänen, diese Übermannschaft, nutzte die Überholspur permanent und das schneller, als der Handball eigentlich erlaubt. 24 Tore erzielten sie gegen die deutsche Mannschaft in den ersten 30 Minuten dieses WM-Hauptrundenspiels. 24:18 hieß es schon zur Halbzeit, am Ende feierten die völlig entfesselten dänischen Fans einen 40:30-Erfolg.

Die deutsche Mannschaft war in der Verteidigung oft nur staunender Beobachter, wenn die Dänen ihren Hochgeschwindigkeitshandball aufzogen. Die Menschen auf den Rängen schrien vor Begeisterung, es herrschte ein infernalischer Lärm. Nahezu ununterbrochen. Schon nach 20 Minuten hatte Bundestrainer Alfred Gislason seine dritte Formation im Innenblock ins Rennen geschickt. Es gab schlicht kein Mittel gegen die dänische Rennerei. "Es ist ein Wahnsinn, was die für eine Qualität haben", sagte der deutsche Linksaußen Rune Dahmke nach dem Spiel staunend.

Vorne war der Ball noch nicht ganz im Tor, da hatten sie hinten schon wieder Welthandballer Mathias Gidsel am eigenen Kreis am Hals. Angriff auf Angriff rollte aufs deutsche Tor zu, nur in wenigen Phasen konnten sie halbwegs mitziehen. Sie müssen sich in der Halbzeit gefühlt haben, als hätte sie ein dänischer Sattelschlepper überfahren. So gingen sie halb ungläubig, halb geschockt vom Platz. Will man es freundlich formulieren, bekam die deutsche Mannschaft eine Lehrstunde in Sachen Offensivhandball erteilt. Tatsächlich war es ein Desaster, wie auch Gislasons verzweifelte Suche nach einer Abwehrformation zeigte.

Offensiv trafen sie ja gut, auch wenn über beinahe die komplette Distanz das Kreisspiel trotz etlicher Versuche nicht existent war und die Außen nur viermal aufs Tor warfen. Aber nach 23 Minuten hatten sie sogar Torwart Emil Nielsen entnervt, der nahezu an keinen aus dem deutschen Rückraum abgefeuerten Ball eine Hand bekam. "Ich glaube, dass wir gar nicht so ein schlechtes Spiel gemacht haben. Auch wenn wir am Ende mit zehn auf den Hintern bekommen", sagte Rechtsaußen Timo Kastening zurecht. Aber hinten waren sie schlicht überfordert, egal in welcher Konstellation und mit welcher Idee sie es auch versuchten.

Die Erwartungen waren ja nicht eben hoch im deutschen Lager: Regisseur Juri Knorr wollte mal schauen, was passiert - "es wäre nur schön, wenn wir nicht wieder mit 13 Toren verlieren", wie in diesem desaströsen Olympiafinale 2024. Das zumindest schafften sie, Dahmke fand es "schade, dass wir am Ende nicht etwas näher dran waren". Sie hatten sich Mitte der zweiten Hälfte tatsächlich auf vier Tore herangekämpft, dann aber war es "vor allem Dänemark geschuldet, die noch mal einen Gang hochschalten und uns so in Grund und Boden rennen".

Wie groß die Hochachtung vor diesen Dänen ist, die eine Masterclass in Sachen Offensivhandball abhielten, zeigte eine Reaktion: Der deutsche Rückraumspieler Marko Grgic, der gerade mittendrin in einer schlimmen Abreibung war, bei der das deutsche Team nur 62 Sekunden lang nicht zurücklag, wusste hinterher nicht mal zu sagen, "ob die Dänen überhaupt mit 100 Prozent gespielt haben".

War das der erwartete Höllenritt?

Ein klares JA! Sieben dänische Handballer und 15.000 Fans in der Jyske Bank Boxen schickten die deutsche Mannschaft von der ersten Sekunde an durch eine Hölle von Spiel. Viel schlimmer kann Handball nicht sein, gegen die Kulisse und gegen die beste Mannschaft der Welt. Mathias Gidsel, der überragende Spieler des Abends, konnte Marko Grgic - siehe oben- zumindest dahingehend beruhigen: In der Abwehr habe man diesmal ein paar Probleme gehabt, aber ansonsten war das "eine der besten Leistungen, die eine dänische Nationalmannschaft je gezeigt hat, ich bin sehr stolz."

Auf dem Weg durch die Hölle ist das die schlechteste aller möglichen Nachrichten: Der Teufel ist in Galaform und hat auch noch mächtig Laune. "Mit dieser Kulisse, mit diesem Tempo war Dänemark ein bisschen zu stark für Deutschland." Gidsel war am Ende mit zehn Toren der beste Werfer des Spiels. "Deutschland hat gemerkt, wie groß der Druck durch die Kulisse war", sagte er, der seine Landsleute auf den Rängen immer wieder anfeuerte - als wäre das nötig gewesen. "Die Energie, die ein dänischer Spieler von dieser Kulisse bekommt, ist überragend." Jeder einzelne Treffer hatte eine gewaltige Eruption zur Folge. Vom ersten bis zum letzten Tor.

24 Gegentore in 30 Minuten: War diese verrückte erste Hälfte historisch?

Ja! 24 Gegentore in einer Hälfte hat eine deutsche A-Nationalmannschaft in den 1496 Länderspielen der langen Verbandsgeschichte noch nie kassiert. Diese wilde Rutsche toppt sogar noch die 21 Tore, die das DHB-Team am Ende einer begeisternden Reise durch die Olympischen Spiele 2024 von den Dänen in den ersten 30 Minuten des Kampfes um Gold verpasst bekommen hatte.

Auch die 40 Tore, die am Ende auf der Anzeigentafel standen, waren für das deutsche Team ein Negativrekord: Weder bei Welt- oder Europameisterschaften, noch bei Olympia kassierte eine deutsche Nationalmannschaft bis zu diesem Abend 40 Gegentore.

Die Szene des Spiels:

Es war irgendwann Mitte der zweiten Halbzeit: Andreas Wolff hatte gerade spektakulär einen dänischen Tempogegenstoß aus kürzester Distanz gehalten, da lieferte er wortlos den Kommentar zum Spiel: Anstatt seine grandiose Parade im bewährten Fuß-über-Kopf-Stil zu feiern, schaute der Weltklassetorwart nur leeren Blickes durch die Halle. Immerhin reckte er pflichtschuldig den Daumen in Richtung der Bank. Wolff wusste da längst: Egal, was wir hier versuchen, der nächste böse Nackenschlag ist nur einen Angriff entfernt. Und es klatschte noch heftig. Bis zum Schluss. Der Teufel war nicht willens, Geschenke zu verteilen.

Aber was ist die gute Nachricht?

In der 18. Minute hatte Timo Kastening etwas Großes geschafft: Der deutsche Rechtsaußen hatte Emil Nielsen aus dem Tor geschossen. Bei keinem der drei deutschen Siebenmeter hatte der Weltklassetorwart auch nur den Hauch einer Chance. Für Nielsen übernahm bei Kastenings viertem Versuch Weltklassetorwart Kevin Möller. Und der Flensburger schien auch noch dieses dänische Problem gelöst zu haben. Aber nur kurz: Wenige Sekunden später versenkte Kastening wieder souverän, später ließ der Melsunger zwei weitere Treffer vom Strich folgen.

Sechs Treffer aus sieben Versuchen sind eine exzellente Quote - nachdem das DHB-Team zuvor in der Vorrunde nur zwei seiner acht Siebenmeter verwandelt hatte. Das Siebenmeter-Dilemma war tatsächlich in den vergangenen Tagen zum Thema geworden, scherzhaft wurde sogar die Frage aufgeworfen, ob Torwart Andreas Wolff zur Lösung des Problems herangezogen werden muss. Die deutsche Siebenmeterbilanz, sie war ein Lichtblick an diesem wilden Abend.

Genauso erfreulich: Zwar lag die deutsche Mannschaft ab der 63. Sekunde bis zur Schlusssirene meist deutlich zurück, aber anders als in den bisherigen Turnierspielen kam der deutsche Angriff schnell auf Touren. Immer wieder drückten sie aufs Tempo, trafen beherzte Wurfentscheidungen und trafen mit großer Überzeugung. Gegen Nationen, die nicht die teuflischen Qualitäten der Dänen haben, kann diese Leistung zu mehr reichen.

Ist damit nun alles verloren?

Ganz und gar nicht: "Das war unser unwichtigstes Spiel überhaupt bei dieser WM", sagte Deutschlands Linksaußen Rune Dahmke nach dem Spiel. Die Niederlage nahm der Routinier, der bei der EM 2016 schon persönlich dabei war, als Deutschland auf dem Weg zum Titel Dänemark letztmals bei einem Turnier schlagen könnte, keinesfalls auf die leichte Schulter. Aber er hatte die Konstellation in der Hauptrundengruppe I natürlich parat. Schon mit einem Sieg am kommenden Donnerstag gegen Italien (18 Uhr/ ZDF und im Liveticker auf ntv.de) steht die deutsche Mannschaft sicher im Viertelfinale der WM - wenn die Schweiz danach ebenfalls gegen Dänemark verliert. Nach allem, was wir wissen, ist alles andere ausgeschlossen.

Gegen Italien, das am frühen Abend Tschechien überraschend deutlich 25:18 (14:9) geschlagen hatte, wartet auf das DHB-Team jetzt also ein kleines Endspiel. Aber egal, was jetzt kommt: Es kann nur einfacher werden. Bis zum Halbfinale, da würden wohl wieder diese Dänen warten. "Und dann", sagte Dahmke nicht eben enthusiastisch, "probieren wir es noch mal."

Quelle: ntv.de

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