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Price-Aktion juckt Clemens nicht Der verzweifeltste Moment der Darts-WM

Auch die Ohrenschützer halfen nicht: Gerwyn Price wurde bei der Darts-WM von Gabriel Clemens kaltgestellt.

Auch die Ohrenschützer halfen nicht: Gerwyn Price wurde bei der Darts-WM von Gabriel Clemens kaltgestellt.

(Foto: IMAGO/Action Plus)

Die Darts-WM erlebt einen Moment für die Geschichtsbücher, als der Weltranglisten-Erste Gerwyn Price plötzlich mit Gehörschutz spielt. Sein Bezwinger, die deutsche Darts-Sensation Gabriel Clemens, ist vollkommen unbeeindruckt. Superstar Michael van Gerwen fordert ein Verbot.

"Verdammt nochmal, ich liebe Gerwyn Price." … "Das hat die Welt noch nicht gesehen, hahaha." … "Er spielt mit den Dingern auf dem Kopf, er spielt wirklich damit, ich halte das nicht mehr aus." Diese Sätze sind an einem denkwürdigen Abend im Presseraum des legendären Alexandra Palace gefallen. Von Ex-Spielern, die bei der Darts-WM als Experten im Einsatz sind. Von Journalisten, die sich im Fiebertraum wähnten, als die Pause nach dem vierten Satz im Viertelfinale zwischen Gerwyn Price und Gabriel "Gaga" Clemens beendet ist.

Gerwyn Price, der Weltranglisten-Erste, Darts-Weltmeister vor zwei Jahren, der "Iceman", er trägt plötzlich einen riesengroßen Gehörschutz auf seinem Kopf, als hätte er gleich Nachtschicht auf einer Baustelle oder müsste auf dem Rollfeld in Heathrow Flugzeuge zu ihrem Parkplatz lotsen. Aus dem Medienraum stürmen die Fotografen zurück in die Arena, um Fotos mit Price und seinen Ohrenschützern zu machen. Hektik bricht aus. Niemand will zu spät sein. Nicht, dass Price die musiklosen Kopfhörer nach ein paar Würfen wieder ablegt.

In diesem Moment liegt Price überraschend mit 1:3 gegen die deutsche Hoffnung Gabriel Clemens, Spitzname "Gaga", zurück. Der Waliser steht vor dem Aus im Viertelfinale. Und ist offenbar so von sich, seiner Leistung, seinem Gegner und den Fans genervt, dass er ganz tief in die Trickkiste greift und die Ohrenschützer rausholt. Die machen zwar den Anschein, als würde Price nun Musik (vielleicht ja "Radio Ga Ga"?) oder einen Podcast hören, während er beim wichtigsten Darts-Turnier der Welt um den Einzug ins Halbfinale und 100.000 Pfund Preisgeld spielt. Doch das wäre verboten, so steht es im Regelwerk. Gehörschutz ist erlaubt. Der wird auch von dem einen oder anderen Spieler getragen. Aber eben nicht so, wie es Price im fünften Satz gegen den "German Giant" tat.

Price zieht alle Register - und wird immer schlechter

Zunächst scheint die Maßnahme sogar zu fruchten. Direkt die erste Aufnahme mit Ohrenschützern lässt die Halle beben. "One Huuuuuundred and eighty", brüllt der Kult-Caller Russ Bray mit seiner berühmten Reibeisenstimme durch die West Hall des Alexandra Palace. Nur zwölf Darts braucht Price, um das erste Leg in Durchgang fünf für sich zu entscheiden. Nur einen mickrigen Leg-Gewinn braucht Price, um sich verbal mit dem Publikum anzulegen. Ich kann euch nicht hören", signalisiert der polarisierende Ex-Rugbyprofi. In diesem Moment hat der 37-Jährige Lunte gerochen. Die Taktik, sich von der Außenwelt abzuschotten und nebenbei seinen Gegner zu irritieren, scheint für Price aufzugehen.

Doch das ist ein völlig falscher Eindruck, das starke Leg des "Iceman" wird zum Rohrkrepierer. Clemens verliert von diesem Moment an kein weiteres Leg mehr, die Demontage des Weltranglisten-Ersten wird immer deutlicher. Der Gehörschutz "überlebt" die Partie auch nur noch wenige Minuten. Nachdem Price den fünften Satz trotz des starken Starts noch verliert, kommt er für den letzten Satz ohne die riesigen Ohrenschützer zurück auf die Bühne. Stattdessen trägt Price "nur" kleine Ohrstöpsel.

Aber mittlerweile, so wirkt es, ist dem Waliser eh alles egal. Price hat das Spiel längst verloren, Clemens hat es in seinen Kopf geschafft. Das zeigt das Hickhack um den Gehörschutz. Und so warten die deutschen Fans im "Ally Pally", die Journalisten im Medienraum, die Zuschauer an den TV-Bildschirmen, nur noch darauf, dass Clemens seinen ersten Matchdart bekommt. Auf der Doppel-4 ist es schließlich so weit. Der erste Dart landet direkt im äußeren Ring, das Spiel ist gewonnen, Gabriel Clemens steht sensationell im Halbfinale der Darts-WM 2023.

"Diesen Satz musst du gewinnen"

"Ich weiß, dass er beim Warmspielen häufiger mal diese Dinger trägt. Auf der Bühne habe ich ihn damit aber noch nicht gesehen, deshalb war ich ein bisschen überrascht. Aber ich habe mir dann einfach gedacht, diesen Satz musst du unbedingt gewinnen und zeigen, dass es nicht an den Kopfhörern liegt", äußerte sich Gabriel Clemens zu der kuriosen Aktion seines Gegners.

Deutlich wurde, dass der Saarländer von der Price-Aktion nicht gerade angetan war. Verständlich, schließlich wirkte es wie ein Akt der Verzweiflung, um vielleicht über diesen Weg zurück ins Spiel zu finden, um es in den Kopf von Clemens zu schaffen. Dass Price den Gehörschutz nur auspackte, um Buhrufe der Fans auszublenden, wie er es darstellte, erscheint unwahrscheinlich. Zumal die Fans im "Ally Pally" gar nicht so unfair gegenüber Price waren, wie er es beschrieb. Im ersten Satz tat sich sogar eine Gruppe lautstarker Fans hervor, die den "Iceman" deutlich hörbar anfeuerten.

"Ich hatte gedacht, dass er die Kopfhörer wieder abnimmt nach dem Warmspielen auf der Bühne, aber dann hat er sie einfach aufgelassen. Na ja, war halt so", sagte Clemens in seiner typisch entspannten Art. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das erlaubt ist. Kappen sind zum Beispiel ja auch nicht erlaubt."

Und doch spricht zumindest das Regelwerk an diesem Neujahrsabend tatsächlich für Price. Clemens wird es am Ende egal gewesen sein. Er hat nun nicht nur als erster Deutscher in der Geschichte der PDC-WM das Viertelfinale erreicht, sondern auch den Einzug ins Halbfinale klargemacht. In der Vorschlussrunde wartet mit dem Engländer Michael Smith der nächste Topspieler auf den 39-Jährigen.

Van Gerwen fordert Verbot

Gehörschutz wird der "Bullyboy" sicherlich nicht tragen. Auch Superstar und Top-Favorit Michael van Gerwen hält nichts davon. "Ich habe seine Ohrenschützer im Trainingsraum gesehen und ihm gesagt: 'Gerwyn, du hast nicht die Eier, die auf der Bühne zu tragen.' Und er hat es doch getan. Haha."

Das Thema dominierte die gesamte Pressekonferenz nach dem Spiel von "MvG", der Chris Dobey mit 5:0 abfrühstückte und im zweiten Halbfinale auf den Belgier Dimitri Van den Bergh trifft. "Gerwyn hätte die Ohrenschützer nicht tragen sollen. Ein Spieler seiner Klasse sollte das nicht machen", sagte van Gerwen, um dann nachzulegen. "Ich habe solche Dinger auch gekauft. Aber nur, um sie meiner Tochter zu geben."

Der Niederländer geizte wie immer nicht mit klarer Meinung: "Ich denke, solche Ohrenschützer sollten nicht erlaubt sein. Noch nie zuvor hat sie ein Spieler getragen."

Quelle: ntv.de

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