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"Im Herzen ein 'Fetti'" Die "verletzlichen" Tränen von Abwehrkoloss Chris Jones

Chris Jones will mit den Kansas City Chiefs den dritten Super Bowl in Folge gewinnen.

Chris Jones will mit den Kansas City Chiefs den dritten Super Bowl in Folge gewinnen.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Chris Jones ist einer der härtesten Verteidiger der NFL - und weint schon mal bei der Nationalhymne. Der Star der Kansas City Chiefs fordert mehr Verletzlichkeit und hat eine harte Kindheit hinter sich. Eine Geschichte über Fleischbällchen und "Meinungen wie Polöcher".

Da steht er und weint, der Schrank. Der Abwehrkoloss. Dem 1,98 Meter großen und 140 Kilogramm schweren Chris Jones laufen die Tränen über die Wangen, als sich seine Kansas City Chiefs im AFC-Meisterschaftsspiel gegen die Buffalo Bills vor zwei Wochen erneut einen Platz im Super Bowl sichern. Während seine Teamkollegen jubeln und über den Rasen flitzen, steht der legendäre Defensive Tackle an der Seitenlinie und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Die Chiefs, der amtierende NFL-Champion, sind nach dem Sieg gegen die Buffalo Bills nur noch einen Sieg davon entfernt, in die Geschichte einzugehen. Nur die Philadelphia Eagles stehen im Weg, wenn Jones und Co. den dritten Super Bowl in Folge gewinnen wollen. Das hat noch kein NFL-Team geschafft.

"Ich bin ein emotionaler Typ und zeige meine Emotionen im Spiel", erzählt der 30-Jährige am Mittwoch in einer Medienrunde in New Orleans. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf einer so großen Bühne auch wieder emotional werde. Zum Glück habe ich immer meine Taschentücher dabei, wenn eine Träne fällt."

"Meinungen sind wie Po-Löcher"

Durchaus erstaunlich spricht der Abwehrkoloss offen über Verletzlichkeit und den schlechten Einfluss von toxischer Männlichkeit. Er weine, weil er sich in seiner "eigenen Haut wohl fühle", sagt Jones. "Als ein Athlet und als ein Mann ist es herausfordernd, seine verletzliche Seite zu zeigen. Besonders vor der ganzen Welt. Mehr Athleten sollten sich trauen, ihre Emotionen so zu zeigen." Er würde nichts auf die Blick und Standpunkte geben, wie der Defensivspezialist eloquent darlegt: "Meinungen sind wie Po-Löcher: Wir haben sie alle und sie stinken alle."

Kurzer Rückblick: Obwohl Star-Quarterback Patrick Mahomes in der Partie gegen die Bills mal wieder eine hervorragende Leistung auf den Rasen zaubert, erhält am Ende Jones von den Experten von Pro Football Focus eine Note von 90,6 verliehen, was ihn zum besten Spieler der Chiefs macht.

Spät im Spiel haben die Bills mehrere Chancen auf den Sieg. Es ist Jones' Verteidigung, die Bills-Quarterback Josh Allen immer wieder enorm unter Druck setzt. Beim entscheidenden vierten Versuch startet die Abwehr der Chiefs einen Blitz, der Allen zu einem Verzweiflungswurf zwingt, der von Tight End Dalton Kincaid nicht gefangen wird. Die Chiefs übernehmen den Ballbesitz und ziehen in den Super Bowl ein. Es folgen die Tränen.

Jones weint Tränen der Freude und Dankbarkeit. "Irgendwann während eines Spiels nehme ich mir einen Moment Zeit, um meine Reise, die mich hierher gebracht hat, zu manifestieren und darüber nachzudenken", sagt er in der Medienrunde. "Ich bin sehr dankbar und demütig, hier zu sein. Dann fließen die Emotionen einfach aus mir heraus."

Bei der Oma auf dem Sofa

Der Weg des Abwehrspielers ist ein steiniger. Aufgewachsen in den "Slums", wie er es selbst einst beschreibt, der Kleinstadt Houston in Mississippi (nicht die Metropole in Texas), prägen ihn seine frühen Jahre. Jones' Vater verpasst einen Großteil von Chris' Kindheit, weil er wegen Trunkenheit am Steuer im Gefängnis sitzt. Dennoch bauen beide ein gutes Verhältnis auf.

"Ich hatte dieses Michael-Jordan-Bild, das er mir als Kind geschenkt hat", erzählt Jones einmal. Ein Poster der NBA-Legende, die im Kinofilm "Space Jam" über Aliens springt. Sein Vater erzählt ihm, dass Jordan alle Widrigkeiten besiegt, um sein Ziel zu erreichen. Jones behält das Poster bis zu den College-Zeiten: "So habe ich meine positive Einstellung entwickelt. Man weiß, dass es immer jemanden gibt, dem es schlechter geht als einem selbst, also freut man sich einfach über das, was man hat."

Weil der Vater nicht da ist, zieht Jones in der zehnten Klasse ins Haus der Oma, wo auch Opa, Tante, Onkel, Cousins und Cousinen, seine Mutter und seine beiden Schwestern wohnen. Dort schläft er auf einer Couch im Wohnzimmer, die Füße hingen über die Lehne. Und erst dort kommt Football in sein Leben, weil er sich vorher die Schuhe und die Anmeldegebühren nicht leisten kann.

Bei seiner Oma im Hinterhof steigen wilde Football-Duelle und Jones verliebt sich. Basketball hat er vorher gespielt, aber nachdem er in der Highschool in beiden Sportarten erfolgreich ist, entscheidet er sich an der Universität für Football. "Beim Football kann ich mehr essen - ich bin im Herzen ein 'Fetti' - und muss weniger laufen", erzählt er am Mittwoch vor dem Super Bowl. "Da war es dann eine einfache Entscheidung."

"Fleischbällchen entscheidend für den Erfolg"

Jones, mittlerweile einer der Kapitäne von Kansas City, steigt seit seinem Ligadebüt im Jahr 2016 zu einem der besten Pass-Rusher der NFL auf, der den gegnerischen Quarterbacks das Leben regelmäßig schwer macht. Vor allem dank ihm ist die Abwehr der Chiefs ein Sieggarant in einer Spielzeit, in der die Offensive ein ums andere Mal stottert. Die Defensive aber zählt zu den besten der Liga und sorgt regelmäßig für entscheidende Spielzüge in den wichtigsten Momenten.

Mit seiner luftdichten Sekundärverteidigung und den kraftvollen Front Seven um Jones hat der Defensivkoordinator der Chiefs, Steve Spagnuolo, eine nahezu perfekte Besetzung Abwehrkolossen zusammengestellt. In der Medienrunde macht Jones den Abwehrtrainer ein ums andere Mal als Erfolgsgaranten aus. Aber einmal hält er inne - und lobt dann die Fleischbällchen, die Spagnuolo Frau für alle kocht: "Sie sind entscheidend für den Erfolg des Teams!"

Spagnuolo wird in NFL-Kreisen als mögliche Besetzung einer vakanten Cheftrainerstelle gehandelt - etwas, das Jones in nächster Zeit nicht passieren sehen möchte. "Solange sie Spags weiterhin unseren Defensivkoordinator sein lassen und ihn nicht irgendwo als Cheftrainer einstellen, werden wir weiter gewinnen", sagt er nach dem AFC-Championship-Game. Eine Drohung an die Liga, dass es mit der Chiefs-Dynastie noch lange nicht vorbei ist.

Bereits an der High School entwickelt Jones sich zu einem Anführer, schleppt schon mal ein paar Sechserpacks Wasser aufs Feld für die Teamkollegen. Bekommt einer von ihnen eine Strafe Konditionsstrafe aufgebrummt, lässt Jones sie nicht alleine laufen. Selbst emotionale Reden bereitet er damals für seine Mannschaft vor. Damit seine Schwestern nicht hungern müssen, sucht er sich in der sechsten Klasse einen Job und steuert zum Haushaltsgeld bei.

Jones' Tränen als gutes Omen

All das tut er mit einem Lächeln im Gesicht. "Er hat noch nie einen Fremden getroffen", sagt seine Großmutter einst über den lebenslustigen Gemütszustand und die zugewandte Lebenseinstellung ihres Enkels. "Ich habe das Gefühl, dass es meine Aufgabe in dieser Welt ist, Freude zu verbreiten", meint er selbst über sich. "Das ist es, worum es meiner Meinung nach im Leben geht."

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Denn auch wenn Jones bekannt ist für seine Tränen - der Defensive Tackle weinte schon bei der Darbietung der Nationalhymne beim letztjährigen Super Bowl in Las Vegas und bevor sein Team in diesjährigen Playoffs gegen die Houston Texans antrat - lacht, lächelt und witzelt Jones viel lieber als zu weinen. Hauptsache Emotionen eben. Als es um Aberglauben der Sportler geht in der Medienrunde in New Orleans, gesteht Jones, dass er seine Handschuhe quasi nie wechselt: "Die stinken wie ein totes Tier." Die Reporter grinsen. "Er bringt den Raum zum Leuchten. Er ist definitiv ein Energiebündel", sagt Chiefs-Cheftrainer Andy Reid einmal.

Aber selbst die Tränen verbreiten Freude. Sie laufen so oft, dass sie sich bei Chiefs-Fans mittlerweile als eine Art positive Hexerei etabliert haben. Weint Chris Jones, dann gewinnt die Mannschaft - die Fans sind sich sicher und hoffen auf das gute Omen auch im Super Bowl.

Quelle: ntv.de

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