
Hansen und Gidsel - zwei der dänischen Superstars.
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Die Europameisterschaft ist das anspruchsvollste Turnier der Handballer. Wer sich hier bis ins Halbfinale vorkämpft, gehört zur absoluten Elite. Für Serien-Weltmeister Dänemark soll endlich der Kontinental-Titel her, aber auch Titelverteidiger Schweden und Olympiasieger Frankreich sowie die Spanier buhlen mit.
"Das Ziel ist natürlich ganz klar, Europameister zu werden." Wer hat dieses selbstbewusste Ziel für die Handball-Europameisterschaft? Rekord-Weltmeister Frankreich, Titelverteidiger Schweden, Serien-Weltmeister Dänemark oder der Europameister von 2018 und 2020, Spanien? Nein, Deutschlands Andreas Wolff! Der gewohnt selbstbewusste Torhüter preschte vor und verdeutlichte: "Wer antritt und nicht Europameister werden möchte, hat seinen Beruf verfehlt." Er erklärte in der ARD: "Ich bin der Meinung, dass du groß träumen musst. Du kannst nicht nach den Sternen greifen, wenn du denkst, der Himmel ist die Grenze."
Der Deutsche Handball-Bund selbst hat offiziell kein Ziel ausgegeben. Dennoch sagt Präsident Andreas Michelmann: "Das Ziel Halbfinale steht fest, da brauchen wir nicht drumherumreden." Recht hat er, die Handball-Nation Deutschland kann nicht mit einem Minimalziel in die erste Heim-EM der Historie gehen. Die Euphorie ist groß, mehr als 50.000 Menschen werden beim Auftaktspiel des DHB-Teams gegen die Schweiz für einen Zuschauerweltrekord sorgen. Auch in den Hauptrunden- und möglichen K.-o.-Spielen in der gewaltigen Köln-Arena werden Zehntausende Fans ein Faktor fürs deutsche Team sein können. Doch selbst mit dem großen Rückenwind ist die Herausforderung, nach olympischem Bronze 2016 endlich wieder eine Medaille zu holen, gewaltig. Fast übergroß. Denn die Favoriten sind andere als der Gastgeber dieses Turniers. Und von mindestens einem kommen Worte, die denen von Wolff verdammt ähnlich sind.
Dänemark:
"Das Ziel ist zu 100 Prozent, die EHF EURO zu gewinnen, daran gibt es keinen Zweifel", sagte nämlich auch Simon Pytlick, der Däne in Diensten der SG Flensburg-Handewitt, dem Pressedienst des europäischen Handball-Verbandes EHF. Seit 2019 sind die nördlichen Nachbarn Deutschlands dreimal in Folge Weltmeister geworden, haben bei den verschobenen Olympischen Spielen von Tokio 2021 Silber geholt und bei der EM 2022 den dritten Platz belegt. Das Aus in der Vorrunde der EM 2020 ist ein großer Ausrutscher gewesen in der Erfolgsgeschichte, die Trainer Nikolaj Jacobsen seit 2017 fortschreibt.
Der frühere Trainer der Rhein-Neckar Löwen kann aus dem Vollen schöpfen. Nur ein Spieler ist neu dabei: Rechtsaußen Emil Madsen, der im Sommer von GOG Handbold zum THW Kiel wechseln wird. Jacobsen kann in seinem Kader sogar auf einen Spieler verzichten, der in wohl jedem anderen Team gesetzt wäre: Lasse Andersson von den Füchsen Berlin. Der Rückraum-Linke spielt aktuell die beste Saison seines Lebens, ist mit 125 Treffern der viertbeste Torschütze der Bundesliga, auf seiner Position führt er die Rangliste an. Doch gegen den inzwischen 36-jährigen Superstar Mikkel Hansen, sowie den Magdeburger Michael Damgaard, den Ex-Flensburger Aaron Mensing und Henrik Möllgaard hatte der 29-Jährige das Nachsehen.
Elf andere haben es aus der Bundesliga aber in den 19 Spieler umfassenden Kader geschafft. Mit dem ewig jungen 42-jährigen Bundesliga-Rekordtorschützen Hans Lindberg und dem wertvollsten Spieler der WM 2023 und von Olympia 2021, Mathias Gidsel - dem Lenker mit den eleganten Ideen und dem Mut, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen - auch zwei Teamkollegen Anderssons von den Füchsen. Hinzu kommen eben Damgaard, Magnus Saugstrup (beide SC Magdeburg), Magnus Landin (THW Kiel), Emil Jakobsen, Johan Hansen, Mads Mensah Larsen, Lukas Jörgensen und eben Pytlick (alle SG Flensburg-Handewitt) sowie Niclas Kirkelökke (Rhein-Neckar Löwen).
Pytlick ist gerade rechtzeitig vor dem Turnier fit geworden, nachdem er Ende Oktober eine Teilruptur der Syndesmose im Sprunggelenk erlitten hatte und viele den 23-Jährigen bereits für das Turnier abgeschrieben hatten. Doch der Spieler des Jahres in Dänemark, der zudem als bester Rückraumlinker letztes Jahr beim dritten WM-Triumph in Folge ausgezeichnet, sowie von der EHF zu Europas wertvollstem Spieler des Jahres ernannt wurde, ist dabei und könnte bei seiner ersten EM im Mittelpunkt stehen. Jacobsen betitelt ihn bereits als einen "der besten Spieler der Welt".
Mit seiner Sammlung an Auszeichnungen ist Pytlick auf den Spuren von Hansen unterwegs, der in sein 17. Jahr als Nationalspieler geht. Der Rückraumspieler gewann Goldmedaillen bei der EM 2012 und Olympia 2016 sowie bei den letzten drei Weltmeisterschaften 2019, 2021 und 2023 und wurde in den Jahren 2011, 2015 und 2018 als Welthandballer, sechsmal sogar als Dänemarks Handballer des Jahres ausgezeichnet. Mit seinen 36 Jahren nähert sich die Karriere Hansens so langsam dem Ende. Dem dänischen Fernsehsender DR sagte er: "Es ist alles eine Frage des Bauchgefühls. Wenn man plötzlich spürt, dass es sich jetzt richtig anfühlt, dass ich das nächste Mal nicht mehr mitmache, dann ist es irgendwie ein bisschen cooler, aufzuhören." Nach der Handball-EM stehen im Sommer die Olympischen Spiele von Paris auf dem Programm. Anfang 2025 wird die Handball-WM in Kroatien, Dänemark und Norwegen stattfinden - zumindest teilweise ein Heim-Turnier.
Dass die erfolgsverwöhnten Dänen sich nicht nur in der Vergangenheit umschauen müssen, um mit Titel-Hoffnung ins Turnier zu starten, zeigt der jüngste Erfolg beim Golden-League-Turnier in Norwegen. Dänemark hatte dabei gegen die EM-Mitfavoriten Spanien und Norwegen sowie die Niederlande gewonnen. "Unser Ziel ist es, guten Handball zu spielen, denn dann wissen wir, dass es für die anderen schwer sein wird, uns zu schlagen. Wir wissen auch, dass wir als einer der größten Favoriten gelten, und wir werden alles tun, um dem gerecht zu werden", so Trainer Jacobsen, dessen Vertrag im vergangenen Frühjahr sage und schreibe bis 2030 verlängert worden war.
Die Dänen spielen ihren Auftakt in der Münchner Olympiahalle gegen Tschechien, die weiteren Gegner in der Gruppe F sind Portugal und Griechenland. Was Hoffnung macht für die Gegner: Den bislang letzten EM-Titel gab es 2012.
Schweden:
Die Europameisterschaft ist das schwerste Turnier, das es im Handball gibt, "Kleine" haben es nicht einmal in die Vorrunde geschafft, das erhöht den Druck auf die Teams, sofort auf Betriebstemperatur sein zu müssen. Schweden will damit gut umgehen, so Trainer Glenn Solberg: "Ich persönlich, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch für die Spieler spreche, verspüren keinen größeren Druck, weil wir der amtierende Europameister sind. Vielmehr ist es ein gutes Gefühl, zu wissen, dass wir das schwierigste Turnier, das man als Männer-Nationalmannschaft gewinnen kann, gewonnen haben und dass wir, wenn wir unser Bestes geben, alle Spiele gewinnen können. Das können wir gut mit nach Deutschland nehmen."
Die letzten beiden Testspiele gegen das Handball-Entwicklungsland Japan mit Ex-Bundestrainer Dagur Sigurdsson gewann das Team jeweils überragend souverän (43:30/43:23). "Wir haben ein gutes Gefühl vor der Europameisterschaft", resümierte Daniel Pettersson. Auch der einzige Neuling im Kader hat sein Debüt dabei erfolgreich absolviert: Torwart Simon Möller bekannte im Anschluss: "Es ist lange her, dass ich vor einem Spiel so nervös war." Der 23-Jährige, der in Schleswig-Holstein geboren wurde und dessen Bruder Felix in Schwedens EM-Kader 2022 dabei war, hat bei diesem Turnier die beiden Bundesliga-Torhüter Mikael Appelgren von den Rhein-Neckar Löwen und Peter Johannesson vom Bergischen HC aus dem Kader verdrängt.
Neun Spieler des Teams verdienen ihr Geld aber in der Bundesliga: Max Darj (Füchse Berlin), Oscar Bergendahl, Felix Claar, Albin Lagergren, Daniel Pettersson (alle SC Magdeburg), Eric Johansson, Karl Wallinius (beide THW Kiel), Jim Gottfridsson (SG Flensburg-Handewitt) und Jonathan Edvardsson (TSV Hannover-Burgdorf). Das Gegenteil von Debütant Möller ist sein Torwart-Kollege und Kapitän Andreas Palicka, der früher in Kiel und Mannheim spielte und sein elftes Turnier mit dem Nationalteam bestreitet. Lagergren, Gottfridsson und Andreas Nilsson kommen auf ihr zehntes Turnier.
Wie stark der Kader bestückt ist, lässt sich auch an den internationalen Klub-Einsätzen der Spieler ablesen. Von 18 Männern spielen 14 mit ihren Vereinen in der Champions League, drei weitere in der Europa League. "Es wird viel Spaß machen, am Donnerstag loszulegen", sagte Gottfridsson, dann nämlich startet Schweden gegen Bosnien und Herzegowina ins Turnier. In Gruppe E geht es zudem gegen die Niederlande und EM-Debütant Georgien.
Frankreich:
Der Olympiasieger von Tokio und WM-Silbermedaillen-Gewinner aus dem vergangenen Jahr kann ein letztes Mal auf sein ganz großes Aushängeschild setzen: Nikola Karabatic. Nach der Saison wird der Rückraum-Linke, dessen vier Jahre jüngerer Bruder Luca ebenfalls eine feste Größe des Teams ist, seine Karriere beenden - sein Traum ist es, mit den Olympischen Spielen im eigenen Land abzutreten. Vorher steht für den Mann, der im April 40 Jahre alt wird, aber zunächst die EM an, die Franzosen bestreiten sogar das allererste Spiel gegen Nordmazedonien, noch bevor Deutschland gegen die Schweiz spielt.
Nikola Karabatic war schon dabei, als Deutschland 2004 den Titel holte, mit Spielern wie Christian Schwarzer, Florian Kehrmann und Daniel Stephan. Für die spielende Legende wird es die elfte Europameisterschaft sein, drei EM-Titel stehen in seiner langen Erfolgsliste, dazu vier WM-Goldmedaillen und drei Olympiasiege, dreimal war er auch Welthandballer. Der Profi von Paris St. Germain schrieb in einem offenen Brief, dass er sich einst selbst versprochen habe, "der beste Handballer der Welt" zu werden. Dabei habe er "diesem physisch und mental fordernden Sport" stets seinen "Geist und Körper gewidmet". Mit Erfolg.
Mit ihm und um ihn herum ist über Jahre ein französisches Team gewachsen, das an die erfolgreiche Vergangenheit anknüpfen kann. Torhüter Samir Bellahcene ist der einzige Bundesliga-Profi im Kader der Franzosen. Der 28-Jährige war kurzfristig im September als Ersatz von Weltklasse-Torhüter Vincent Gerard nach Kiel gewechselt - und setzte sich gleich durch. Im Dezember verlängerten die Zebras den Vertrag mit dem Torhüter. Bei der letzten EM verpassten die erfolgsverwöhnten Franzosen eine Medaille als Vierte knapp.
Strippenzieher des erfahrenen Teams, in dem nur Torhüter Charles Bolzinger nach der Jahrtausendwende geboren ist, ist Kentin Mahé. Auch dessen Vater Pascal war bereits Weltmeister im Handball. Gemeinsam mit seinem kongenialen Partner auf Rückraum Mitte, Nadim Remili, spielt Mahé beim ungarischen Spitzenklub Telekom Veszprem. Mit Dika Mem haben die Franzosen zudem einen im Kader, der mit seiner Wurfgewalt die gegnerische Abwehr und den Torhüter zur Verzweiflung bringen kann. Zum Abschluss der Vorrunde werden sie Deutschland vor große Aufgaben stellen, sich bestmöglich für die Hauptrunde zu positionieren. Bei der WM im vergangenen Jahr war das DHB-Team im Viertelfinale gegen Frankreich ausgeschieden. In Gruppe A ist der dritte Gegner die Schweiz. "Wir wollen Gold", sagt der 28-jährige Remili, "aber wir alle wissen, wie schwer dieses Turnier in Deutschland ist."
Spanien:
Auch bei Spanien sprechen die Erfolge ganz klar für eine Favoritenrolle: Olympia-Bronze 2021, WM-Bronze 2023, EM-Gold 2016 und 2018, vor zwei Jahren dann EM-Silber - ein Tor fehlte gegen Schweden (26:27). Sicherer Rückhalt ist seit Jahren Torhüter Gonzalo Perez de Vargas, der seit 2012 dem Nationalteam angehört. Ab spätestens 2025 wird er in der Bundesliga zu sehen sein, der THW Kiel sicherte sich seine Dienste frühzeitig. In der Bundesliga wird er dann womöglich im Duell auf seinen Torhüter-Kollegen Sergey Hernandez Ferrer treffen, der seit dieser Saison beim SC Magdeburg angestellt ist. Dieser bekam im Kader überraschend den Vorzug vor Rodrigo Corrales, der bislang mit Perez de Vargas ein eingespieltes Gespann gebildet hatte. Mit dem Linksaußen Daniel Fernandez Jimenez kommt ein weiterer Spieler aus der Bundesliga, er spielt seit 2022 beim TVB Stuttgart.
Ältester Spieler des Kaders ist Joan Canellas, der seit 2008 für Spanien spielt und schon 2013 Weltmeister geworden ist. Der Rückraumspieler, der einst für den HSV und den THW Kiel in der Bundesliga spielte, ist inzwischen bei den Kadetten Schaffhausen angestellt und wurde in der vergangenen Saison zum MVP der Schweizer Liga gewählt. Bei Spanien und für Trainer Jordi Ribera geht aber nichts, ohne den Namen Dujshebaev zu erwähnen. Linkshänder Alex Dujshebaev spielt seit 2014 im Team und ist seit Jahren einer der Ausnahmekönner im rechten Rückraum. Doch das war es ja noch längst nicht: Auch sein fünf Jahre jüngerer Bruder Daniel gehört dem Kader an. Die beiden haben den Handball in die Wiege gelegt bekommen, sie sind die Söhne des zweimaligen Welthandballers und nun Trainers Talant Dujshebaev. Alex trainiert er auch beim polnischen Klub Kielce, Daniel ist aktuell ausgeliehen, gehört aber auch dem Team an. Eine besonders enge Beziehung der Familie. In der Gruppe B trifft Spanien auf Österreich, Kroatien und Rumänien.
Quelle: ntv.de