
"Das fägt", sagt Ditaji Kambundji hinterher in feinstem Schweizerdeutsch.
(Foto: IMAGO/Beautiful Sports)
Erstmals seit 2001 holt die Schweiz Gold bei einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Ditaji Kambundji schreibt mit ihrem Sieg über 100 Meter Hürden zugleich eine außergewöhnliche Familiengeschichte fort. Mit einem historisch einmaligen Erfolg.
Als Ditaji Kambundji ihren Oberkörper nach vorn ins Ziel wirft, scheint ihr noch nicht klar zu sein, welch einzigartigen Triumph sie gerade ersprintet hat. Ungläubig blickt die Schweizer Hürdensprinterin zur Anzeigetafel. Schlägt die Hände vors Gesicht, während ihr Freudentränen in die Augen schießen. Auf den riesigen Bildschirmen im Nationalstadion von Tokio leuchtet ihr Name ganz oben auf, daneben die "1". Ditaji Kambundji ist die neue Weltmeisterin über 100 Meter Hürden. Und die erste Schweizerin überhaupt, die Gold bei einer Leichtathletik-WM gewinnt. Die vorherigen Titel feierten Kugelstoßer Werner Günthör (1987, 1991, 1993) und und 800-Meter-Läufer André Bucher (2001).
"Das fägt", sagt sie anschließend in feinstem Schweizerdeutsch beim SRF, was frei ins Hochdeutsche übersetzt ungefähr "das macht richtig Spaß" bedeutet: "Ich kann es weiterempfehlen." 12,24 Sekunden dauert das Rennen ihres Lebens, neuer Landesrekord, Platz sieben der ewigen Bestenliste. "Das sind sporthistorische Bilder", fasst der SRF-Reporter zusammen: Sie zeigen, wie die 23-Jährige schon nach der ersten Hürde in Führung liegt, auch die neun folgenden Hürden technisch tadellos überquert, dazwischen stets drei saubere Schritte auf die Bahn setzt und im vermutlich stärksten Feld in der Geschichte des Hürdenlaufs dominiert.
"Ich wusste, dass so ein Rennen in mir steckt", sagt Kambundji anschließend, "aber am Ende muss man es im WM-Finale auch auf die Bahn bringen." Das gelingt der jüngsten Teilnehmerin dieses Endlaufs in beeindruckender Weise: Sechs ihrer sieben Konkurrentinnen weisen vor dem Startschuss eine schnellere Bestzeit auf, darunter Weltrekordlerin Tobi Amusan aus Nigeria, Titelverteidigerin Danielle Williams aus Jamaika, die US-amerikanische Olympiasiegerin Masai Russell und Hallen-Weltmeisterin Devynne Charlton von den Bahamas. Sie alle sind jedoch an diesem Abend in Tokio chancenlos gegen die Schweizerin, die sich über die Jahre in die absolute Weltspitze vorgearbeitet hat.
Auf den letzten Metern denkt Kambundji: "Ah, ich bin vorn!"
Es ist ein kontinuierlicher Aufstieg, der Kambundji bereits 2021 nach Japan führt. Bei den Olympischen Spielen scheitert sie damals im coronabedingt leeren Olympiastadion von Tokio im Vorlauf, 2022 schafft sie es ins WM-Halbfinale von Eugene, 2023 in Budapest steht sie erstmals in einem globalen Finale und wird dort WM-Siebte. Im vergangenen Jahr verpasst sie den Olympia-Endlauf in Paris knapp. Aus jedem dieser Wettkämpfe habe sie viel gelernt, sagt Kambundji, was ihr jetzt hilft. Um nicht nur dabei zu sein, nicht nur mitzulaufen, sondern abzuliefern, wenn es darauf ankommt. "Ich bin nach Tokio gekommen und habe gedacht: Warum nicht ich?"
Trotzdem ist sie im Ziel fassungslos über die Leistung, die sie gerade vollbracht hat. "Ich habe mir auf der Bahn die Augen ausgeheult", sagt sie und berichtet, dass sie auf den letzten Metern sogar die Worte des Live-Kommentars im Stadion wahrgenommen hat: "Ich habe hinten raus den Kommentator gehört und gedacht: Ah, ich bin vorn!"
Schwester Mujinga zeigt ihr, dass und wie es geht
Auf der Tribüne jubeln ihre Eltern, auch die Tante ist mit dabei, wie die frisch gekürte Weltmeisterin stolz berichtet: "Es ist mega schön, ich bin mega dankbar. Sie kommen überall mit, ich glaube, sie feiern und genießen das richtig." Als der SRF ihr die Bilder vorspielt, wie ihre Familie ihren Sieg verfolgt und sich in die Arme fällt, überwältigen sie die Emotionen fast ein weiteres Mal. In der Mixed Zone sagt sie der versammelten Presse: "Als ich sie gesehen habe, habe ich nur noch mehr geweint."
Auch an ihre Schwester Mujinga, die die Wettkämpfe von zu Hause aus verfolgt und in ihrer Instagram-Story jubelt, denkt Ditaji im Moment ihres größten Erfolgs: "Sie hat mir gezeigt, dass es möglich ist, zur WM zu fahren und eine Medaille zu gewinnen."
Ihre zehn Jahre ältere Schwester hat 2019 in Doha/Katar mit Bronze über 200 Meter die neunte und bis zu diesem Abend letzte WM-Medaille für den Schweizer Leichtathletikverband gewonnen. Sie fehlt bei diesem Großereignis in Tokio ausnahmsweise, allerdings aus einem sehr guten Grund: Sie wird in diesem Jahr zum ersten Mal Mutter.
Im Frühjahr hatten die Kambundji-Schwestern noch gemeinsam bei den Hallenmeisterschaften geglänzt und bei EM und WM insgesamt vier Medaillen abgeräumt. Mujinga holte EM-Silber und WM-Gold über 60 Meter, Ditaji EM-Gold und WM-Silber über 60 Meter Hürden. "Ich glaube, meine Familie mag es, Medaillen mit nach Hause zu bringen", antwortet Ditaji jetzt auf die Frage, ob die Vitrine im Hause Kambundji nicht langsam erweitert werden müsste. Wobei die Goldmedaille aus Tokio selbst für die erfolgsverwöhnten Kambundjis einen ganz besonderen Platz einnehmen dürfte.
Quelle: ntv.de