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Giganten Pogacar und Vingegaard Ein Tour-Duell, das faszinierender kaum sein kann

Noch fährt Vingegaard in Gelb.

Noch fährt Vingegaard in Gelb.

(Foto: picture alliance / Roth)

Trotz aller Skandale hat die Tour de France eine treue Gefolgschaft: Das Interesse ebbt nicht ab, schließlich bieten die Rennen weiter Spektakel. Dafür sorgt bei dieser Frankreich-Rundfahrt vor allem das Gigantenduell zwischen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard.

Zwei Sekunden. Nicht länger als einen Augenblick durfte Matis Louvel bei der Tour de France träumen. Wobei träumen übertrieben ist: Schließlich ging es ihm weder ums Gelbe Trikot noch um die triumphale Einfahrt auf den Champs Élysées. Nichts davon. Der junge Franzose wollte nur Dritter werden, das wäre schon ein Highlight gewesen. Bei der sechsten Etappe und der Auffahrt zum Col du Tourmalet versuchte er, beim Gigantenduell zwischen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard mitzuhalten. Die beiden sind im Kampf um die Gesamtwertung gerade an ihm vorbeigezogen - und der Grund, weshalb die ersten beiden Plätze schon vergeben sind.

Diese zwei Sekunden verdeutlichen, warum das Duell zwischen Pogacar und Vingegaard so faszinierend ist. Nicht nur zeigen sie, dass die beiden ihre eigene Tour fahren. Sondern auch, was die Frankreich-Rundfahrt und die Radsport-Community so besonders machen. Auf Twitter meldete sich jemand, der genau diese zwei Sekunden in Louvels Strava-Profil entdeckt hatte. Das ist eine App, die sich am besten als das Instagram für Sportlerinnen und Sportler beschreiben lässt. Auch die besten Radfahrer der Welt benutzen sie. Wie viele Freizeitathleten veröffentlichen sie dort ihre Workouts - nur, dass es nicht der Lauf im Park ist, sondern eine Tour-Etappe.

Auch Louvel nutzt Strava, um Einblick in seine Leistungen zu gewähren. Und es zeigt sich: Kurz nach dem 103. Kilometer der Tourmalet-Etappe gibt es einen kurzen, dafür aber krassen Anstieg in seiner Wattleistung, also der Kraft, die er beim Treten aufbringt. Es ist der Versuch, beim Gigantenduell in den Pyrenäen dranzubleiben. Louvel musste danach abreißen lassen, Pogacar lag gegen Vingegaard bei der ersten Bergankunft der diesjährigen Tour vorne, der 26-jährige Däne aber wahrte seinen Vorsprung auf den zwei Jahre jüngeren Slowenen und schlüpfte ins Gelbe Trikot. Das hatte Jai Hindley für das deutsche Team Bora-Hansgrohe am Vortag errungen, der Australier konnte den Giganten am Tourmalet aber schon nicht mehr folgen.

Ein ungleiches Duo

In den Pyrenäen hatte Vingegaard erstmals Pogacar attackiert und ihm am Col de Marie Blanque, bei der Etappe vor dem Tourmalet, knapp eine Minute abgenommen. Schon damals unkten einige, das sei die Vorentscheidung gewesen. Selbst der geschlagene Slowene geriet danach ins Staunen. "Er war wirklich stark", sagte er über seinen Kontrahenten, "was für ein Angriff". Doch danach schlug das Pendel um: Es folgten zwei erfolgreiche Attacken von Pogacar. Erst am Tourmalet, später am legendären Puy de Dôme, dem ehemaligen Vulkan, auf den die Tour erstmals seit 35 Jahren wieder hinaufgeklettert ist. Der Slowene zog an, der Däne kam nicht hinterher. Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden blieb dennoch bei Vingegaard. Pogacar verkürzte den Abstand auf wenige Sekunden, jeder Antritt könnte nun vorentscheidend sein.

Zwischen den beiden geht es hin und her, es ist unvorhersehbar, was als Nächstes passiert. Was dieses Duell noch spannender macht: Vingegaard und Pogacar könnten nicht unterschiedlicher sein. Der introvertierte Däne gegen den extrovertierten Slowenen. Der eine, Vingegaard, kam erst spät zum Radsport, weil er für Fußball zu schmächtig war. Der andere, Pogacar, machte schon in seiner Kindheit neben der Schule nichts anderes als Radfahren. Beide sind mit das Beste, was die Radwelt derzeit zu bieten hat. Gegenseitig pushen sie sich zu Bestleistungen: Es gibt neue Rekorde für die Anstiege am Tourmalet und dem Puy de Dôme.

Das Doping-Thema ist immer mit dabei

Ihre Duelle erinnern an Glanzstunden der Tour, an die packenden Duelle, bei denen nicht ein alles überstrahlender Star FC-Bayern-artig vorne wegfährt. Es sind etwa Parallelen zum Zweikampf zwischen Michael Rasmussen und Alberto Contador in den Pyrenäen, als sie sich 2007 am Col de Peyresourde Sprintduelle am Berg lieferten. Und damit wecken diese Zweikämpfe auch die Zweifel, gegen die dieser Sport nach seinem dunklen Kapitel in den 1990er und 2000er Jahren immer noch anfährt. So wie der Besenwagen fährt auch das Thema Doping immer mit. Rasmussen zum Beispiel wurde noch während der Tour 2007 suspendiert, sein Team nahm ihn als Träger des Gelben Trikots aus dem Rennen, später legte er ein Doping-Geständnis ab. Auch Contador saß später eine Sperre ab.

Vingegaard hatte das im vergangenen Jahr adressiert. "Wir sind total sauber. Jeder von uns. Ich kann für das ganze Team sprechen. Niemand von uns nimmt etwas Verbotenes", sagte er nach der 109. Tour und erklärte zugleich, was sein Team Jumbo-Visma besser mache als andere. "Wir sind aufgrund unserer Vorbereitung so gut. Wir haben Höhentrainingslager weiterentwickelt. Wir schauen auf das Material, die Ernährung, das Training. Das Team gehört in diesen Punkten zu den besten. Deshalb muss man uns glauben."

Tatsächlich ist die medizinische Versorgung der Teams engmaschig. Jeder Aspekt innerhalb der dreiwöchigen Tour-Wochen ist überwacht und durchgeplant. Und dennoch: Natürlich zeichnen die beiden Ausnahmeradfahrer auch besondere Ausgangslagen aus. Vingegaard soll etwa von Natur aus über eine hervorragende Regenerationsfähigkeit verfügen. Jumbo-Visma befeuert das noch mit Ketonen, Nahrungsergänzungsmittel, die für mehr Leistungsfähigkeit sorgen und im Doping-Graubereich liegen. Pogacar dagegen soll schon als Teenager überwältigende Ausdauerwerte gehabt haben. Zudem hatte UAE auch schon einen Krebsforscher im Team, der dabei helfen soll, das Potenzial der Zellkraftwerke, der Mitochondrien, voll auszunutzen.

Und in diesem Jahr? Niemand kann sagen, wer gewinnt. Auch nicht, wer wen stärker einschätzt. Jumbo-Visma hat im Duell um die Gesamtführung bisher die Etappen dominiert. Mit Wout van Aert steht Vingegaard ein Ausnahmehelfer zur Seite, der bis zur Selbstaufopferung für ihn kämpft. Am Puy de Dôme fiel er fast vom Fahrrad, so ausgelaugt war er. Und mit Sepp Kuss hat er einen weiteren starken Helfer. Dagegen hat man von UAE Emirates, dem Pogacar-Team, noch nicht viel gesehen. Können Marc Soler, Adam Yates und Co. nicht mithalten oder schlagen sie in den Alpen zurück? Die bevorstehende Trilogie könnte eine Antwort liefern. Los geht es mit der Ankunft am Grand Colombier. 17,4 Kilometer mit durchschnittlich 7,1 Prozent Steigung.

Quelle: ntv.de

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