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Djokovic ernüchtert alle Jäger Ein "grunzender" Gejagter verteidigt seinen "Skalp"

Bitte was? Die Jungspunde im Tennis haben Djokovic noch längst nicht eingeholt.

Bitte was? Die Jungspunde im Tennis haben Djokovic noch längst nicht eingeholt.

(Foto: IMAGO/Colorsport)

Bittere Botschaft für alle Jäger des Tenniskönigs von Wimbledon: Novak Djokovic fertigt Youngster Jannik Sinner im Halbfinale locker ab und darf seinen Skalp behalten. Dabei sieht der Grand-Slam-Rekordchampion fast entspannt aus - auch wenn ein Grunzen für Aufregung sorgt.

Novak Djokovic hat eine Zielscheibe auf dem Rücken. Als spielte er in einem Actionfilm mit. Oder als wäre er ein scheues Reh, das von einem Wolfsrudel unerbittlich gejagt wird. Doch all das ist Novak Djokovic egal. Der Grand-Slam-Rekordsieger (23 Titel) gedeiht als Gejagter sogar. Nix mit Schockstarre. Er liebt das Gefühl, blüht noch stärker auf, trainiert über das Jahr noch mehr, um all den Jungspund-Verfolgern zu zeigen: Ich bin noch hier, ich gehe nicht so schnell weg. Ich bin immer noch der König dieses Sports.

Was bei Rotwild gilt, je älter die Tiere werden, desto erfolgreicher entziehen sie sich ihrer Bejagung, gilt auch beim 36-jährigen Djokovic. Der Tennisspieler hat sein Spiel stetig weiterentwickelt, hat einen ganzen Koffer voll Methoden, wie er die Angreifer abwehren kann. Antrainiertes Abwehrverhalten quasi. Das spürt im Wimbledon-Halbfinale der sich redlich mühende Jannik Sinner, 21 Jahre alt, schmerzlich. 6:3, 6:4, 7:6 fertigt Djokovic den Youngster ab und zieht in sein neuntes Finale beim Rasenklassiker ein.

Er versuche, sein fortgeschrittenes Alter "nicht als Hindernis zu betrachten", sagte der Sieger nach der Partie. In einem Halbfinale müsste man sich "in die beste körperliche und geistige Verfassung versetzen" und das habe er getan. "Er hat bewiesen, warum er einer der führenden Spieler der nächsten Generation und einer der besten der Welt ist", lobte Djokovic seinen Gegner und fügte an: "Es wäre fast ein sehr knappes Match geworden." Jedoch eben nur fast.

Djokovic ist kein scheues Reh

Dabei wartet auf den Serben mit Sinner eigentlich ein unangenehmer Angreifer. Ein Raubtier, das selbst dem Tenniskönig gefährlich werden kann. Nur drei Männer haben Djokovic während der 33 Spiele (nun sind es 34) umfassenden Wimbledon-Siegesserie des Serben in einen fünften Satz gezwungen: Rafael Nadal im Halbfinale 2018, Roger Federer im epischen Finale 2019 - und der Italiener im letztjährigen Viertelfinale. Dort lag Djokovic sogar 0:2 in Sätzen hinten, bevor er eindrucksvoll zurückstürmte.

Sinner zeigt gleich, wie ernst er es mit seiner Jagd meint: Im ersten Aufschlagspiel von Djokovic erkämpft der Italiener zweimal einen Breakpoint, aber der Serbe, dessen Trainer Goran Ivanisevic heute extra grimmig dreinschaut, entkommt den Fangzähnen gerade noch. Und wie. Welch ein Abwehrsystem des Gejagten: Djokovic schlägt zurück und holt im direkten Gegenzug das Break. Schnell stellt er auf 3:0, eine Machtdemonstration. Mehr als einen weiteren Breakpoint kann der Italiener aber nicht erbeuten und Djokovic wehrt den ersten Angriff bravourös ab. Drei Asse in Folge serviert er in seinem finalen Aufschlagspiel. Scheues Reh? Vielmehr zurückkeilendes Gnu!

Ganz der hoch oben thronende König hatte Djokovic sich vor dem Halbfinale süffisant dazu geäußert, wie sehr er es genießt, der Mann zu sein, den es in Wimbledon zu schlagen gilt. "Ich liebe es", sagte der Serbe über die sprichwörtliche Zielscheibe auf seinem Rücken. "Ich denke, jeder Tennisspieler möchte in einer Position sein, in der jeder gegen ihn gewinnen möchte." Dann hatte er lachend hinzugefügt. "Ich weiß, dass sie meinen Skalp holen wollen, sie wollen mich holen kommen. Aber das wird nicht passieren, noch nicht."

"Es wird ein ganz anderes Spiel als letztes Jahr", hatte Sinner vor dem Halbfinale gesagt. Wie recht er behalten sollte. Vor 2023 hatte Sinner bei jedem Major-Turnier einmal das Viertelfinale erreicht, war aber nie darüber hinausgekommen. In drei dieser Fälle musste er sich dem späteren Sieger geschlagen geben. Ist der achte der Weltrangliste bereit, die große Jagd zu vollenden? Ist er bereit, selbst ein Major-Champion zu werden?

Strafe fürs Grunzen und Stöhnen

Sinner, der eine "mentale" Partie erwartet hatte, zeigt auch im zweiten Satz gleich zu Beginn, dass er der Hatz auf König Djokovic (noch) nicht gewachsen ist. Er gibt erneut seinen Aufschlag ab, es steht früh 1:3 aus seiner Sicht. Der Gejagte führt den Jäger zwar nicht vor - die Ballwechsel sind fulminant, von immer längeren Grundlinienrallys, plötzlichen Stoppbällen oder optimalen Aufschlägen dominiert - aber Djokovic spielt eben meist einen Tick präziser, schneller und kraftvoller als Sinner. Auch wenn er wahrlich nicht schlecht spielt, so wirklich glaubt hier jetzt schon niemand mehr an einen Sieg des Italieners, dem immer wieder kleine Fehler in wichtigen Momenten unterlaufen. Hier ein Schlag über Kopf ins Netz, da eine vermeintlich einfache Vorhand ins Aus.

Selbst von einem zweifelhaften "Behinderung"-Call des Schiedsrichters, Djokovic hatte demnach zu laut gestöhnt und musste einen Punkt abgeben ("Normalerweise habe ich kein riesiges Grunzen, das ist das erste Mal in meiner Karriere, dass mir sowas passiert", sagt er nach der Partie), und einer Warnung wegen Zeitüberschreitung beim Aufschlag lässt sich der Serbe nicht stoppen. Er bleibt ruhig bei seinem Spiel, zieht es bestimmt, stoisch und eisern durch. Roboter statt Reh ist das mittlerweile. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr geht diesmal der stark aufspielende Weltranglistenzweite mit 2:0 Sätzen in Führung.

Sinners Weg zurück zur Beute könnte länger und beschwerlicher nicht sein. Die ernüchternde Erkenntnis für die Jäger: Man hat das Gefühl, dass der Italiener gut spielt, aber die Partie sieht immer noch beinahe bequem für Djokovic aus. So gut ist er. Gegen den Serben muss man das allerbeste Tennis abrufen und selbst dann noch hoffen, dass er keinen guten Tag erwischt. Sonst ist ein Sieg schier unmöglich. "Djokovic hat einfach die Tür zugemacht", urteilt die ehemalige Wimbledon-Siegerin Marion Bartoli im BBC-Radio. Mehrere Zuschauerinnen und Zuschauer verlassen bereits den Centre Court.

Djokovic spricht eine Warnung aus

Sie verpassen den ausgeglichensten und dramatischsten Satz der Partie. Sinner pusht sich immer wieder und doch dürfte sich erneut Ernüchterung in ihm breitmachen: Er muss unglaublich hart arbeiten, um einen Punkt zu gewinnen. Und Djokovic hat jedes Mal die richtige Antwort.

Fast jedes Mal. Denn endlich ist Pfeffer drin in dieser Jagd. Beim Stand von 5:4 für Sinner setzt der Serbe eine simple Vorhand über die Seitenlinie. Zwei Satzbälle für den Italiener. Den ersten wehrt Djokovic mit einer starken Rückhand ab - und den zweiten setzt Sinner beinahe unbedrängt ins Aus. Anschließend lässt sich der Serbe zu einer provozierenden Geste gegen einige Sinner-Fans hinreißen und erntet Buhrufe. Es geht in den Tiebreak, wo Sinner zunächst die bessere Figur macht, aber - sinnbildlich für die Partie - am Ende gegen die Maschine unterliegt und damit das Halbfinale verliert.

Djokovic hatte bereits zuvor bewiesen, wie wohl er sich auch bei diesem Turnier als Gejagter fühlt und wie aggressiv er Angriffe der Jungspunde abwehren kann. In den beiden vorangegangenen Runden hatte er sich gegen Hubert Hurkacz (26 Jahre alt) und Andrey Rublev (25) durchgesetzt. Nun der nächste Streich gegen Youngster Sinner. Der Gejagte hat die besten Chancen, in London seinen fünften Titel im in Folge und seinen achten insgesamt zu gewinnen und damit den Rekord von Roger Federer zu egalisieren.

Am Ende küsst Novak Djokovic noch mal den Heiligen Rasen und schickt eine Warnung an die Jäger: "36 ist das neue 26. Ich liebe diesen Sport und möchte den Gefallen erwidern und so lange wie möglich spielen."

Quelle: ntv.de

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