WM-Debüt von Noa-Lynn van Leuven Transfrau schreibt Darts-Geschichte und wird diesmal nicht ausgebuht
17.12.2024, 20:58 Uhr
Noa-Lynn van Leuven will nächstes Jahr unbedingt wieder zur WM.
(Foto: picture alliance/dpa/PA Wire)
Als erste Transfrau jemals qualifiziert sich Noa-Lynn van Leuven für die Darts-WM. Beim Debüt verliert die Niederländerin zwar, wirkt aber trotzdem glücklich. Anders als zuletzt gab es keine Buhrufe für die 28-Jährige. Und auch sportlich kann van Leuven mithalten.
Kurzzeitig sieht es am dritten Tag der Darts-Weltmeisterschaft so aus, als würde Noa-Lynn van Leuven auch sportlich eine bemerkenswerte Geschichte schreiben. Die 28-jährige Niederländerin gewinnt im Duell gegen ihren Landsmann Kevin Doets am Dienstagnachmittag den ersten Satz, trifft die Doppel im genau richtigen Moment. Im Verlauf der Partie ist van Leuven zwischenzeitlich sogar auf 9-Darter-Kurs. Van Leuven arbeitet in der Frühphase der Partie daran, als erst zweite Frau in der Geschichte der Darts-WM nach Fallon Sherrock ein Spiel gegen einen Mann zu gewinnen. Die Besonderheit: Noa-Lynn van Leuven ist eine Transfrau, hat eine Transition vom Mann zur Frau durchgemacht.
Nie zuvor hat eine Transfrau an der Darts-WM im legendären Londoner Alexandra Palace teilgenommen. Aus diesem Grund ist die Partie am dritten Turniertag ohnehin eine besondere. Hätte van Leuven ihren guten Start bestätigen und das Spiel für sich entscheiden können, wäre es noch mehr Darts-Geschichte gewesen. Aber auch so wurden die etwa 3200 Fans vor Ort Zeugen eines historischen Spiels. Auch wenn die sportliche Qualität nicht immer mithalten kann.
Der zweite Satz ist eine groteske Aneinanderreihung von verpassten Chancen auf die Doppelfelder. Im dritten Leg des zweiten Satzes ist die Not bei beiden Spielern besonders groß: Doets gewinnt den Durchgang in 33 Darts. Zum Vergleich: ein Standard-Leg auf Profiniveau wird in 15 Darts beendet, für das perfekte Leg werden gerade mal 9 Darts benötigt. Es hat in diesem Moment kurz den Anschein, als wären Doets und van Leuven ausgewechselt worden und stattdessen versuchen Otto-Normal-Dartspieler aus der Kneipe unter dem Gejohle der Fans ihr Glück. Pub-Darts statt WM-Darts. Auch das ist an diesem Nachmittag kurzzeitig die Realität im "Ally Pally".
Van Leuven, bis zu diesem Zeitpunkt, leicht im Vorteil, wirft das verkorkste Leg etwas aus der Bahn. Doets gewinnt den zweiten Satz, gleicht zum 1:1 aus. Im dritten Durchgang steigert sich das Niveau erheblich, am Ende gewinnt Doets aber auch diesen Satz. Und der 26-Jährige schnappt sich im Anschluss auch den nächsten Durchgang zum 3:1-Satzerfolg. Für den in Schweden wohnhaften Niederländer geht es nun am Donnerstagabend gegen Michael Smith. Genau wie im Vorjahr, als Doets dem Weltmeister von 2023 nur denkbar knapp unterlag.
Gegner rechnete mit Buhrufen
Für Noa-Lynn van Leuven ist die WM-Reise dagegen schon beendet. Doch die 28-Jährige wirkte auf der anschließenden Pressekonferenz trotz der Niederlage nicht allzu niedergeschlagen. "Mein Ziel ist es, nächstes Jahr wieder hier dabei zu sein."
Bemerkenswert war, dass es überhaupt eine Medienrunde mit van Leuven gab. Bei PDC-Turnieren ist es üblicherweise so, dass nur die Gewinner eines Spiels für Interviews parat stehen. Außer, es handelt sich um ganz besondere Partien. So wie heute.
Ihr Debüt dürfte van Leuven trotz der Niederlage auch deshalb gut in Erinnerung behalten, weil das Publikum sie nicht ausgebuht hat. Beim Grand Slam of Darts im November war das noch gänzlich anders. "Das habe ich wahrgenommen, aber es hat mich nicht abgeschreckt", sagte van Leuven nach dem vergangenen Turnier bei "Checkout". "Ich weiß nicht, was mich bei der WM erwartet. Es kann schrecklich, aber auch großartig werden".
Es wurde Letzteres. Ihr Gegner Kevin Doets lobte das Publikum nach dem Spiel. Er habe nicht einen einzigen Buhruf wahrgenommen, sagte er. "Um ehrlich zu sein, habe ich das anders erwartet. Mich hat es sehr gefreut, die Fans waren großartig."
Morddrohungen und Hassnachrichten
Im Vorfeld des Turniers waren die Buhrufe von Wolverhampton aber sogar nur eine Randnotiz. Noa-Lynn van Leuven hatte in diesem Jahr erstmals ein Turnier der sogenannten PDC Challenge Tour, einer offenen Turnierserie für alle Spieler außerhalb der Profitour, gewonnen. Genau wie bei der WM und bei allen anderen großen Turnieren sind hier Spieler jeden Geschlechts teilnahmeberechtigt. Einzige Ausnahme ist die Women's Series, einer extra für Frauen vor einigen Jahren ins Leben gerufenen Turnierserie.
Über diesen Weg hat sich van Leuven für die WM qualifiziert. Und genau das erhitzt die Gemüter. Allen voran Deta Hedman, selbst 2021 Teilnehmerin bei der PDC-Weltmeisterschaft, mobilisiert massiv gegen die Teilnahme von van Leuven an der Frauen-Tour. "Ich habe absolut kein Problem damit, dass Noa im Ally Pally spielt", sagte Hedman im Interview mit der Deutschen Welle. "Mein einziges Problem ist, dass Noa sich über die Women's Series qualifiziert hat. Ich bin der Meinung, dass Transfrauen nicht in der Frauen-Konkurrenz unseres Sports zugelassen werden sollten." Einige Spielerinnen haben sich der Kritik angeschlossen, darunter die Niederländerinnen Aileen de Graaf und Anca Zijlstra, die aus Protest sogar aus dem niederländischen Nationalteam zurückgetreten sind.
"Ich respektiere ihre Haltung, nicht mit einer Transfrau in einem Team spielen zu wollen. Aber das Thema wurde so riesengroß, dass ich Morddrohungen bekam und die schlimmsten Dinge in meinem Postfach hatte", sagte van Leuven vor ihrem WM-Start bei "Checkout". "Jemand schrieb mir: Wenn du meinem Mädchen auf die Damentoilette folgst, werde ich dich umbringen. Solche Nachrichten führen dazu, dass ich mich neulich am Flughafen gefragt habe: Okay, beobachtet mich vielleicht jemand? Könnte genau diese Person irgendwo in der Nähe sein? Das ist schrecklich."
PDC stärkt van Leuven: "Abschaum ist inakzeptabel"
Van Leuven zeichnet aus, dass sie trotz allem zu keiner Zeit zum verbalen Gegenschlag ausholt, selbst wenn sie unflätig kritisiert wird. Vor allem in den sozialen Medien. "Ich respektiere die Meinung von jedem, aber sie muss respektvoll sein. Manchmal ist die Kritik leider nicht respektvoll, das ist schade. Aber was kann ich dagegen tun?", fragt die Zweitplatzierte der Women's Series. "Ich mache die Regeln nicht. Ich spiele einfach die Turniere, die ich spielen darf. Und wenn ich eines Tages nicht mit den Frauen spielen darf, ist das auch in Ordnung."
Dafür gibt es aber keinerlei Anzeichen. Die Profidart-Organisation PDC stärkt Noa-Lynn van Leuven bei jeder Gelegenheit demonstrativ den Rücken. Vor allem Geschäftsführer Matt Porter wendet sich immer wieder mit deutlichen Worten an die Darts-Fans, von denen einige van Leuven ebenfalls kritisch oder teils sogar feindlich gegenüberstehen. "Der Abschaum, der Noa-Lynn entgegengeschleudert wurde, ist völlig inakzeptabel", sagte Porter. Es sei die Pflicht der PDC, sich um die psychische Gesundheit der Spielerinnen und Spieler zu kümmern.
"Ich will nur Darts spielen. Ich liebe diesen Sport einfach. Warum spielt es eine Rolle, wer man ist?", fragte van Leuven nach ihrem historischen WM-Debüt und strahlte trotz ihrer Niederlage. "Wenn mich jemand diskriminiert oder schreckliche Dinge über mich verbreitet, sagt das mehr über diese Person aus als über mich."
Quelle: ntv.de