Weitsprung-Queen im Interview Mihambo: "Der Weltrekord ist definitiv nicht möglich"
26.06.2022, 08:45 Uhr
In Tokio gewann Mihambo 2021 die Olympischen Spiele.
(Foto: picture alliance/dpa)
Heute bejubeln tausende Fans Malaika Mihambo bei den Finals in Berlin. Doch die Highlights für die Weitsprung-Queen folgen bei der WM und der Heim-EM. Im Interview mit ntv.de erzählt die Sportlerin des Jahres, wie sie mit ihrer Rolle als Gejagte klarkommt, was der Ukraine-Krieg mental mit ihr macht, wie sie Alltagsrassismus und Diskriminierung bekämpft - und wie weit sie noch vom deutschen Rekord Heike Drechslers entfernt ist.
ntv.de: Frau Mihambo, sind Sie lieber Jägerin oder Gejagte?
Malaika Mihambo: Ich komme mit beidem ganz gut klar. (lacht)
Bei der WM in Eugene in den USA (15. bis zum 24. Juli) treten Sie als Titelverteidigerin an. Was ist da als Gejagte anders?
Das ist ein ganz normaler Wettkampf für mich. Klar, ich bin Titelverteidigerin und mir macht es Freude, mit diesem Status an den Start zu gehen, weil das eine besondere Leistung ist, die man erstmal erreichen muss. Im Vergleich zu den vorherigen Jahren hat sich schon etwas verändert. Damals habe ich immer ein Gefühl verspürt, Leistung bringen und mich beweisen zu müssen. Das fällt jetzt weg. Alles, was jetzt kommt, ist Zugabe. Und ich denke, dass ich jetzt noch bessere Wettkämpfe abliefern kann, weil dieser spezielle Druck nicht mehr da ist und ich mich auf das wirklich Wichtige konzentrieren kann.
Werden Sie als Weltmeisterin und Olympiasiegerin nun von den Kolleginnen anders beäugt?
Natürlich weiß die Konkurrenz jetzt, wer man ist... aber den Status hatte ich auch schon länger überschritten. (lacht)
Bereiten Sie sich physisch und mental anders auf die WM vor als sonst, weil knapp drei Wochen später die Europameisterschaften in München (11. bis 21. August) folgen?
Für mich als Weitspringerin ist es optimal, dass die beiden Wettbewerbe so nah beieinanderliegen. Das ist aus trainingstechnischer Sicht ein einzelner Höhepunkt, auf den ich mich perfekt vorbereiten kann. Ich muss mich nicht entscheiden, wo ich meine Höchstleistung abrufen will, sondern ich kann sie bei beiden Events liefern. Dazwischen muss ich schauen, wie ich den Jetlag verkrafte. Es wird viel um Regeneration gehen. Eventuell setze ich einen kleinen Trainingsblock nach der WM, aber die Hausaufgaben macht man ohnehin vorher.
Beim Diamond-League-Meeting in Rom Anfang Juni mussten Sie sich der Ukrainerin Maryna Bech-Romantschuk geschlagen geben. Spricht man da unter Athletinnen über den Krieg in der Ukraine?
Klar, diese Situation nutzt man. Ich habe mich mit Maryna Bech-Romantschuk natürlich über die Situation bei ihr zu Hause unterhalten und darüber, wie es ihr geht und wie und wo sie jetzt trainieren kann. Auch zu Beginn des russischen Angriffskriegs habe ich sie gefragt, ob sie in Sicherheit ist und wie es ihrer Familie geht.
Was macht der Krieg mental mit Ihnen?
Krieg hat leider in der Welt noch eine sehr präsente Rolle, auch wenn wir in Europa lange davon verschont geblieben sind. Ich glaube, für uns Europäer ist dieser Krieg jetzt ein Wachrütteln, dass eben nicht alles auf der Welt so friedlich ist, wie wir es hier gewohnt sind. Es ist sehr traurig, was in der Ukraine passiert und das ist natürlich der Konflikt, der uns am nächsten ist. Aber es gibt überall auf der Welt Menschen, für die Krieg leider Alltag ist.
Haben wir in Deutschland vor dem Krieg in einer Art Scheinwelt gelebt und alles zu sehr durch eine rosarote Brille betrachtet?
Ich denke schon, man kannte das aus dem eigenen Umfeld nicht anders. Die Ukraine ist jetzt sehr nah und man bekommt viel mit. Auch mit den ukrainischen Geflüchteten in Deutschland wird der Krieg sehr viel spürbarer. Natürlich sind wir von diesem Krieg auch viel mehr betroffen als von anderen, was zum Beispiel Wirtschaft, Gas oder Inflation angeht. Das sind Themen, die uns hart treffen und zum Nachdenken und zu Verhaltensänderungen zwingen.
Die WM findet ohne russische Athletinnen und Athleten statt. Welchen Umgang mit ihnen finden Sie gerecht und fair?
Das ist eine schwierige Frage. Schaut man aufs Individuelle, dann ist das Sportlerleben kurz. Jeder möchte in der Zeit, die er hat, sein Bestes geben. Sperrt man die Athleten aus, nimmt man ihnen Karrierechancen. Es sind ja auch nicht alle Sportler gleich eng mit der oberen politischen Riege in Russland verbandelt. Auf der anderen Seite finde ich das große Ganze wichtiger. Sportliche Events können auch eine politische Bühne eröffnen und das kann in Russland instrumentalisiert werden. Deshalb finde ich es legitim und richtig, dass man solche Bühnen gar nicht erst eröffnet.
Für die WM reisen Sie in die USA, wo derzeit ein anderes bitteres Thema momentan vorherrscht: Schusswaffen-Massakern und Waffengewalt. Spielt das in Ihrem Kopf eine Rolle?
Angst macht mir das im Vorhinein nicht. Ich denke, dass solche Events sehr gut kontrolliert werden und alles dafür getan wird, eine sichere Weltmeisterschaft abzuhalten. Auf der anderen Seite macht mich das sehr betroffen, weil die Waffengewalt ein Riesenproblem ist und aus unserer deutschen und europäischen Sicht, wo Waffenbesitz viel stärker reglementiert ist, auch schwer nachzuvollziehen ist.
Waffengewalt trifft in den USA besonders People of Color. Haben Sie als schwarze Frau aus Deutschland da einen besonderen Bezug zu?
Für mich ist es ein Grundproblem, dass eine Trennung vorgenommen wird, die eigentlich gar nicht besteht. Das sollte jeden gleich betroffen machen, weil eine ungerechte und diskriminierende Gesellschaft negative Konsequenzen für alle hat. Auch wenn man vielleicht in der "erfreulicheren Position" ist. Natürlich ist Gewalt gegen People of Color verstörend. In Deutschland ist sie vielleicht nicht ganz so schlimm, aber auch hier gibt es viel Diskriminierung und man macht negative Erfahrungen, wenn man anders aussieht als der Großteil der Bevölkerung.
Sie erzählten einmal von rassistischen Anfeindungen, die sie als Kind erleiden mussten: Wo beobachten Sie heute nicht so offensichtlichen, dafür systemischen und Alltagsrassismus in Deutschland?
Ich bin mittlerweile in der glücklichen Lage, dass ich damit kaum mehr Berührungspunkte habe. Doch Alltagsrassismus kommt natürlich noch oft vor und es gibt viele systemische Probleme. Unser System neigt leider dazu, viele Menschen auszuschließen. Nicht nur aufgrund der Hautfarbe, sondern etwa auch aufgrund des sozio-ökonomischen Status. Das sind Dinge, die bedenklich sind und die für eine Gesellschaft als Ganzes nicht gut sind. Wir sollten alle daran arbeiten, eine offene Gesellschaft zu bilden und gegen Intoleranz anzugehen.
Sehen Sie sich besonders als Vorbild für Frauen und Mädchen of Color, mit Migrationshintergrund oder Diskriminierungserfahrung, die sonst in Deutschland im Sport und in der Öffentlichkeit nicht so viele Vorbilder haben, die so aussehen wie sie selbst?
Ich freue mich einfach, wenn ich ein Vorbild für Menschen sein kann. Gerade auch für Kinder. Auf welcher Grundlage, Menschen sich dazu entscheiden, mich als Vorbild zu sehen, ist mir persönlich egal.
Fußballerinnen und Fußballer of Colour berichten immer wieder von rassistischen Hassnachrichten, die sie im Netz zugeschickt bekommen. Was bekommen Sie da zu lesen?
Das Netz lädt natürlich mit seiner Anonymität dazu ein, Dinge auszusprechen, für die sich mancher in der Öffentlichkeit sonst schämen würde. Ich bekomme Hassnachrichten zum Glück nicht direkt zugeschickt, aber lese so etwas öfter in Kommentarspalten auf anderen Seiten oder Profilen.
Nach Ihrem Sprung auf 7,09 Meter im ersten Wettkampf der WM-Saison in Birmingham sagten Sie: "Ich fühle mich wirklich so gut wie noch nie. Ich glaube, da ist auf jeden Fall noch mehr drin." Welche Weiten sind drin für eine Malaika Mihambo, wenn alles stimmt?
Das weiß ich nicht. Aber es wäre schön, dieses Jahr herauszufinden, was im besten Fall drin wäre. Für mich fühlt es sich einfach toll an, dass ich wieder dort anknüpfen kann, wo ich 2019 war. Dass ich mich durch die Anlaufschwierigkeiten und die sprinttechnischen Schwierigkeiten durchgearbeitet habe. Ich gebe immer alles und das ist mir das Wichtigste: Dass ich vom Platz gehe und weiß, dass ich einen guten Wettkampf gemacht habe. Platzierungen sind zweitrangig.
Wären etwa der deutsche Rekord von Heike Drechsler von 7,48 Metern oder gar der Weltrekord von Galina Tschistjakowa von 7,52 Metern möglich?
(lacht) Definitiv nicht, denn zwischen meiner Bestleistung und den Rekorden liegen fast 20 bis 25 Zentimeter. Das sind Welten im Weitsprung.
Sind Sie auch nicht im Training schon mal an diese Weiten herangesprungen?
Im Training springe ich fast nie aus einem langen Anlauf, sondern nur aus einem kurzen. Außerdem bin ich ein Wettkampftyp. Ich brauche diesen Druck, dass es um etwas geht. Das kann man nicht simulieren.
Mit Malaika Mihambo sprach David Bedürftig
Quelle: ntv.de