Tournee-Finale für die Ewigkeit? Skisprung-Krimi: 33 Zentimeter Unterschied nach über 800 Metern
05.01.2025, 09:39 Uhr
Stefan Kraft geht als Führender ins letzte Springen der Vierschanzentournee.
(Foto: IMAGO/Revierfoto)
Vor 19 Jahren gibt es zum ersten und bislang einzigen Mal zwei Sieger bei der Vierschanzentournee. Janne Ahonen und Jakub Janda sind damals exakt gleichauf. Nun könnte sich diese Geschichte wiederholen - Stefan Kraft, Jan Hörl und Daniel Tschofenig sind nach drei Springen annähernd punktgleich.
Wer als Skispringer die Herzen der Österreicher erobert, erhält zweisilbige Liebe zurück. Das war früher so, beim "Goldi", beim "Schlieri", beim "Kofi", beim "Morgi". Und diese Liebe ist nach einer etwas kühleren Beziehungsphase wieder heftigst aufgeflammt: Als Liebe für den "Krafti", den "Hörli" und den "Tschofi", die bei der 73. Vierschanzentournee vor einem Herzschlagfinale um den Gesamtsieg stehen. Austria ist wieder felix - und die Euphorie so groß wie seit vielen Jahren nicht mehr.
"Es ist so herrlich, ein Kindheitstraum", jubelte Stefan Kraft nach seinem Sieg am Samstag am Bergisel in Innsbruck, mit dem er die Tournee-Führung hauchdünn vor Jan Hörl und Daniel Tschofenig übernahm - nicht einmal ein Meter trennt das Trio vor dem Finale am Bischofshofen am Montag (16.30 Uhr/ZDF und Eurosport).
Wiederholt sich also bei dieser 73. Vierschanzentournee Skisprung-Geschichte? 19 Jahre nach dem ersten und einzigen geteilten Gesamtsieg des Finnen Janne Ahonen und Jakub Janda aus Tschechien (beide damals 1081,5 Punkte) erwartet die Zuschauer ein ähnlich mitreißendes Finale. Kraft, Hörl und Tschofenig liegen nach jeweils sechs Sprüngen und gesprungenen Weiten von jeweils über 800 Metern gerade einmal 72 Zentimeter auseinander. 1,8 Punkte sind auf der Großschanze umgerechnet ein Meter, demzufolge sind 0,1 Punkte 5,55 Zentimeter.
Kraft steht bei 887,1 Punkten und hat bislang zwei von drei Stationen gewonnen. Hörl ist zwar noch sieglos, aber mit 886,5 Zählern erster Kraft-Verfolger. Garmisch-Gewinner Tschofenig geht im Gelben Trikot des Weltcup-Gesamtführenden mit 885,8 Punkten ins Finale. Umgerechnet liegt Kraft 33 Zentimeter vor Hörl und dieser 39 Zentimeter vor Tschofenig. Beim vierten Springen im Pongau könnten auch Windpunkte oder Haltungsnoten den Ausschlag geben. Die Verfolger Gregor Deschwanden (Schweiz), Johann Andre Forfang aus Norwegen und Pius Paschke aus Deutschland dürften im Kampf um den goldenen Adler keine Rolle mehr spielen.
Kraft ist der sichere Sieger - wenn die Statistik hält
Praktisch sicher ist nur: Erstmals seit Kraft vor zehn Jahren wird wieder ein Austria-Adler Tourneesieger - und diese Aussicht verleiht Flügel. "Wir haben a Riesen-Gaudi", sagte Kraft, bestätigte damit aber nur, was offensichtlich ist. Für Shootingstar Tschofenig ist das Team um Trainer Andreas Widhölzl schlicht "so cool wie noch nie".
Für Kraft ist übrigens ist - zumindest statistisch - die Spitzenposition nach drei von vier Springen schon vorentscheidend. Seit der Tournee 1999/00 lagen von 25 Gesamtführenden nach dem dritten Springen 24 auch in der Endabrechnung vorne - darunter auch Kraft im Winter 2014/15. Nur der Norweger Daniel Andre Tande (2016/17) verspielte in diesem Zeitraum seinen Vorsprung und wurde Dritter. Tandes Polster auf den späteren Tourneesieger Kamil Stoch war damals mit 1,7 Punkten - ungerechnet nicht einmal ein Meter - allerdings ähnlich gering wie nun Krafts Vorsprung auf seine Teamkollegen Jan Hörl (0,6) und Daniel Tschofenig (1,3).
Vor Tande gaben zuletzt die Japaner Kazuyoshi Funaki (1994/95) und Noriaki Kasai (1998/99) ihre Führung im letzten Wettkampf noch aus der Hand und landeten jeweils auf Platz zwei. Letzter deutscher Gesamtführender nach drei Springen war Sven Hannawald 2001/02, der dann auch in Bischofshofen Tages- und Gesamtsieger wurde.
Die aktuelle Austria-Dominanz erinnert an 2012, als Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern und Andreas Kofler den letzten von bislang nur drei Tournee-"Sweeps" (nach Finnland 1955 und Österreich 1975) schafften. Architekt des Austria-Aufschwungs ist zweifelsohne Widhölzl: Der 2000er-Tourneesieger verwandelt das riesige Potenzial der Skisprung-Nation endlich wieder in Erfolg. Die Mischung aus Verständnis und Nachdruck in der Ansprache des vielschichtigen "Swida" - ein Heavy-Metal-Fan und ausgebildeter Sozialpädagoge - fruchtet: "Meine Aufgabe ist es, sie zusammenzuhalten, feinfühlig zu sein, zuzuhören." Klappt vorzüglich.
Quelle: ntv.de, tsi/sid/dpa