Im Auftrag seiner "Exzellenz" Wie absurd Saudi-Arabien über die Boxwelt herrscht
17.01.2024, 20:06 Uhr
Turki Al-Sheikh ist der "Entertainment-Beauftragte" im Wüsten-Königreich.
(Foto: Action Images via Reuters)
Die erste Pressekonferenz vor dem Schwergewichts-Kampf zwischen Anthony Joshua und Francis Ngannou gerät zu einer Machtdemonstration Saudi-Arabiens. Die absolutistische Monarchie ist auf dem Weg, den Boxsport zu beherrschen. Ein Mann spielt dabei eine Schlüsselrolle.
Wer zahlt, schafft an. Im Preiskampf eine Binsenweisheit. Eine, die Saudi-Arabien im Schwergewichts-Boxen zurzeit eindrucks- und machtvoll zur Schau stellt. Bei der ersten Pressekonferenz in London vor dem groß inszenierten Kampf zwischen Anthony Joshua und Francis Ngannou am 8. März in Riad tat dies ein Mann, den im Box-Business mittlerweile alle ehrfürchtig nur noch "Seine Exzellenz" nennen: Turki Al-Sheikh. Der 42-Jährige ist im Reich der Al-Sauds der Unterhaltungs-Minister von Kronprinz Mohammed bin Salman - zuständig für den Bereich "Brot und Zirkusspiele".
Dank ihres prall gefüllten Staatsfonds stellen die Saudis seit Beginn ihrer "Riyadh Season" Box-Events auf die Beine, wie sie es im Schwergewicht lange nicht mehr gegeben hat. "Sportswashing" nennen Kritiker dieses politische Geschäftsmodell, aus dem De-Facto-König bin Salman auch gar keinen Hehl macht. Weltbürger und Politiker sollen staunend, mit Bewunderung auf sein Land blicken. Die Hochglanz-Events dienen "MBS" dazu, von den Verbrechen Saudi-Arabiens im Jemen-Krieg oder den Menschenrechtsverletzungen im eigenen Staat abzulenken.
Kaum ein Sport eignet sich dazu besser als das Preisboxen. Während die ersten, teuer eingekauften Fußballer ob der mauen Stimmung in der Saudi Pro League schon wieder Abwanderungsgedanken hegen, müssen die Faustkämpfer nur "zum Arbeiten" kommen. Ein- bis zweimal im Jahr. Angesichts der saudischen Verlockungen schütteln plötzlich sogar die "verfeindeten" britischen Promoter-Größen Frank Warren und Eddie Hearn gut gelaunt einander die Hände und arbeiten im Auftrag "Seiner Exzellenz" artig zusammen. Der (Petro-)Dollar schafft es, auch die größten Rivalen an einen Tisch zu bringen.
Der Superkampf findet am 17. Februar statt
Zu bestaunen war dies schon kurz vor Weihnachten, als in Riad sechs Schwergewichts-Duelle ohne das übliche Promoter- und TV-Geschacher stattfanden. Neben Joshua (der gewann) und US-Star Deontay Wilder (der verlor) boxte in der Wüste auch der deutsche Hoffnungsträger Agit Kabayel. Der "Junge aus dem Pott" machte in der Kingdom Arena den im Vorfeld mächtig gehypten Russen Arslanbek Makhmudov platt.
Im Februar erreicht der Box-Zirkus in Saudi-Arabien seinen vorläufigen Höhepunkt. Die ungeschlagenen Weltmeister Tyson Fury (WBC) und Oleksandr Usyk (WBA, WBO, IBF) treffen am 17. Februar in Riads "Ring of Fire" - so das Kampf-Motto - aufeinander. Zum ersten Mal seit dem großen Lennox Lewis vor mehr als 20 Jahren wird es wieder einen Undisputed Champion, einen unumstrittenen Meister aller Boxklassen, geben.
Im Vorprogramm kämpfen der Australier Jai Opetaia und Mairis Briedis aus Lettland um die Cruisergewicht-WM. Ein Duell, das überall sonst auf der Welt ein Hauptkampf wäre, den Saudis aber gerade als Appetithäppchen für das große Ding gut genug ist. Gleiches gilt für den 8. März, wenn Joseph Parker aus Neuseeland und der riesige Chinese Zhang Zhilei die Heißmacher für Joshua und Ngannou spielen.
Der von Hearn promotete Joshua und Ex-Käfigkämpfer Ngannou, der bei Warren unter Vertrag steht, setzen den Schlusspunkt der "Riad-Saison". Danach drückt der Fastenmonat Ramadan auf Pause. Ngannou, früher Champion der MMA-Serie UFC, bestreitet erst seinen zweiten Profikampf als Boxer. Sein Debüt hatte er - zum "Saisonauftakt" - hauchdünn gegen Fury nach Punkten verloren, dafür aber achtstellig verdient. Das Duett mit Joshua soll dem Kameruner laut Medienberichten noch mehr einbringen, rund 20 Millionen Dollar einbringen. Der Brite kassiert gar 50 Millionen Dollar.
Die Gönnerhaftigkeit von Al-Sheikh
Wer, wann, wo, gegen wen kämpft - das bestimmen künftig nicht mehr Promoter wie Warren oder Hearn. Auch nicht die einflussreichen TV-Sender in den USA und Großbritannien. Das Sagen hat künftig "Seine Exzellenz". Al-Sheikh jedenfalls machte bei seinem Auftritt in London deutlich, wie es weitergehen soll. Erst "ordnete" er gönnerhaft an, Hearn und Warren sollten bitteschön fünf ihrer Topkämpfer auswählen und aufeinander loslassen, was diese sogleich hocherfreut in Auftrag nahmen.
Dann präsentierte Al-Sheikh einen (klobigen) "WUHC"-Gürtel (World Undisputed Heavyweight Champion") für den Sieger des Duells zwischen Fury und Usyk und gab die Richtung für das Boxjahr 2024 vor: "Das hier wartet auf den Sieger am 8. März", sagte er und deutete auf die riesige Leinwand, auf der sein Gürtel prangte. Heißt: Joshua oder Ngannou werden den neu gekrönten Herrscher herausfordern. Das nächste Mega-Event am Golf. Fury und Usyk haben zwar schon eine direkte Revanche vertraglich vereinbart. Aber: Wenn Al-Sheik und Co. zuerst einen anderen Kampf sehen wollen, ist Papier geduldig.
Mit ihrer Dollar-Bazooka setzen die Saudis gewisse Box-Gesetzmäßigkeiten außer Kraft. Bisher waren Vereinigungskämpfe zwischen den Weltmeistern der konkurrierenden Verbände, zwischen rivalisierenden Promotern und Fernsehsendern selten, weil schwer verhandel- und machbar. Al-Sheikh negiert all das, schüttet die Gräben mit seinem schier unendlich sprudelnden Geldfluss zu.
Auch im Rahmenprogramm lässt sich gutes Geld verdienen
Den Saudi interessiert nur die große Show, der sportliche Hochglanz für sein Land. Und weil dabei für jeden genug abfällt, machen alle mit: Verbände, Promoter, Boxer, TV-Macher. Das Halbschwergewicht liefert das nächste Beispiel: Im Juni sollen die Weltmeister Artur Beterbiev (WBC, WBO, IBF, Vertrag bei Promoter Bob Arum und ESPN) und Dmitry Bivol (WBA, mit Hearn und DAZN verbunden) genau wie Fury und Usyk den einzig wahren Champion in ihrer Klasse ermitteln. Wo? Ist klar.
Weil derlei große Kämpfe endlich zustande kommen, wird die zunehmende Herrscherrolle Saudi-Arabiens nicht nur akzeptiert, sondern von den allermeisten Protagonisten goutiert. Gleichzeitig müssen potenzielle WM-Herausforderer, die in den Ränkespielen der Verbände früher schnell eine Titelchance bekamen, den Anweisungen aus Riad gehorchen und sich gedulden. Das gilt auch für Agit Kabayel.
Zwar hat der Weltverband WBC den Deutschen nach seinem Sieg über Makhmudov auf Rang vier seiner Weltrangliste platziert. Dass Kabayel aber alsbald eine WM-Chance bekommt, ist unwahrscheinlich. Erst einmal sind Fury, Usyk, Joshua, Ngannou dran. Grämen braucht sich der 31-Jährige nicht. Auch im Rahmenprogramm der großen Namen lässt sich gutes Geld verdienen - und ein Star-Status aufbauen. Einen Vorgeschmack davon hat Kabayel im Dezember schon bekommen.
Quelle: ntv.de