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Triumph über Djokovic Zverev hat den größten Sieg schon geholt

Alexander Zverev schlug den Größten aller Zeiten in diesem Jahr schon zweimal.

Alexander Zverev schlug den Größten aller Zeiten in diesem Jahr schon zweimal.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Alexander Zverev spielt am Abend um den inoffiziellen Titel des Tennis-Weltmeisters. Ein Sieg trennt den Deutschen noch von der Krönung. Großes hat er jedoch schon erreicht. Etwas, das größer ist als ein Titel.

Im Tennis der Neuzeit herrscht ein Glaubenskrieg. Darüber, wer der "Goat" ist, der "Greatest Of All Times", also der größte Tennisspieler aller Zeiten. Es gibt vor allem zwei Strömungen: Für die einen ist es Roger Federer. Der Schweizer ist ein Künstler, mit seiner Eleganz begeistert er Fans und Fachpublikum. Seine Grandezza ist einzigartig. Der inzwischen 40-Jährige, der seit Jahren mit Verletzungen und langen Pausen kämpfen muss, steht für die Schönheit des Spiels. Seine einhändige Rückhand ist stilbildend, nach den ersten hitzigen Jahren auf der Tour ist Federer schnell in den Rang des unantastbaren Gentleman aufgestiegen. Für manche spielt er nicht Tennis, er ist Tennis.

Dann ist da Novak Djokovic. Der Serbe ist der Pragmatiker des Spiels, mit ungeheurer Präzision, faszinierender Fitness und einem schier unerschöpflichen Fundus an effektiven Möglichkeiten, Bälle für den Gegner schmerzhaft zurückzuspielen. Aus jeder Ecke des Platzes, notfalls stundenlang. So lange, bis er gewonnen hat. Geliebt wie Federer oder bewundert wie der unermüdliche Kämpfer Rafael Nadal wird Djokovic außerhalb seiner großen Anhängerschaft nicht. Respektiert und bestaunt schon. Djokovic tut und sagt bisweilen kontroverse Dinge, manchmal auch dumme. Im Sommer 2020 peitschte er die Adria Tour durch, eine von ihm initiierte Tennistour inmitten einer Hochphase der Pandemie. Die Sache wurde zum Superspreader-Event.

"Novak ist der Größte aller Zeiten"

Aber es gibt keine zwei Meinungen: Geht es alleine nach den Daten, ist der 34-Jährige der Größte. Er ist aktuell die Nummer 1 der Tenniswelt, rund sechseinhalb Jahre seines Lebens verbrachte er schon dort (347 Wochen). Mehr als jeder andere Tennisprofi vor ihm. 20 Grand-Slam-Titel sind die Spitzenmarke, die er sich mit Federer und Nadal teilt. Im Herbst verpasste er in New York knapp den "Grand Slam", den Gewinn aller vier Grand-Slam-Turniere in einer Saison. Erst im Finale der US Open riss ein gewaltiger Siegeszug. Eine beeindruckende Leistung, dennoch. Außer im Finale von New York, wo er dem Russen Daniil Medwedew unterlag, verlor er 2021 nur zwei große Matches. Es gibt eine valide Datenbasis dafür, Djokovic für den Größten zu halten.

Federer oder Djokovic? Alexander Zverev, Deutschlands bester Tennisspieler, zählt sich zur zweiten Strömung. "Für mich gibt es in der Welt niemanden, der mehr Respekt verdient als Novak", sagte Zverev am Samstagabend in Turin. "Novak ist der Größte aller Zeiten", auch wenn manche Menschen das bisweilen vergessen würden. Eine freundliche, sicher ernst gemeinte und mit voller Hochachtung ausgesprochene Huldigung. Und gleichzeitig eine unbewusste Einordnung dessen, was er, Zverev, da selber gerade vollbracht hatte: Wenige Minuten vor seinen Worten hatte er mit einem Ass einen Schlussstrich unter eines der besten Matches seiner Karriere gesetzt.

"Großartiges Match"

Gegen Djokovic hatte der Hamburger gewonnen, im Halbfinale der ATP Finals, dem Jahreshöhepunkt der besten Tennisprofis der Welt. 7:6, 4:6 und 6:3 schlug Zverev den Dominator, der das Jahr zum siebten Mal in seiner glanzvollen Karriere als Weltranglistenerster abschließen wird. Knapp zweieinhalb Stunden hatten sich beide ein Match geliefert, das im Laufe der Zeit immer hochklassiger wurde und die 7000 Zuschauer im Pala Alpitour streckenweise von den Sitzen riss. Es war Weltklassetennis von zwei Weltklassespielern. Am Ende hatte Zverev schlicht auf jeden Ball Djokovics eine Antwort. "Es war ein fantastisches Match. Wir haben fünfmal in diesem Jahr gegeneinander gespielt, jedes Mal war es ein großartiger Kampf", sagte Zverev nach dem Sieg.

Im Endspiel trifft Zverev am späten Nachmittag (17 Uhr/Sky und im Liveticker auf ntv.de) auf Daniil Medwedew. Der hatte acht Stunden zuvor sein Halbfinale locker gegen den Norweger Caspar Ruud gewonnen. "Der Nachteil ist nicht das späte Match", sagte Zverev deshalb: "Der Nachteil ist, dass ich gegen Novak Djokovic gespielt habe - und das fast drei Stunden lang. Ich glaube, das Match war hundertmal physischer als das von Daniil." Danach stieg Zverev in die Eistonne, um den Regenerationsprozess schnell in Gang zu setzen. Gut möglich, dass es trotzdem nicht reichen wird: Medwedew ist der Titelverteidiger, unglaublich formstark und dazu noch Zverevs Angstgegner: Fünfmal in Serie verlor der Deutsche zuletzt gegen seinen guten Freund. Erst vor wenigen Tagen hatte man sich ein großes Match geliefert, das Medwedew im Tiebreak des dritten Satzes gewann.

Aber egal, wie das Match gegen den Russen ausgeht, ob Zverev gewinnt und sich zum inoffiziellen Tennis-Weltmeister krönt oder wie in der Vorrunde des Turniers knapp verliert: Es gibt im Tennis der Neuzeit keine größeren Siege als gegen Novak Djokovic. Wichtiger, ja. Aber der Weg zu allen großen Titeln des Sports führt eben über den Serben. Zehn Jahre oder mehr ist der älter als die meisten seiner Konkurrenten in der Weltspitze, aber dem endgültigen Generationswechsel steht er noch ganz alleine im Weg.

"Er ist noch viel mehr der Beste"

"Ich glaube, was Novak über die vergangenen zehn Jahre geleistet hat, die Major-Siege, sehr konstant zu sein und sieben Mal das Jahr als Nummer 1 zu beenden: Das ist für mich ein klares Zeichen, dass er der Größte aller Zeiten ist", sagte jüngst der frühere Dominator Pete Sampras auf der ATP-Website. "Ich war für einige Jahre der Beste, und er ist es noch viel mehr", fügte Sampras hinzu. "Ich könnte noch lange über seine Karriere reden. Ich glaube nicht, dass wir es noch einmal sehen werden, dass ein Spieler siebenmal Nummer 1 zum Jahresende sein wird."

Djokovic ist trotz all seiner Erfolge weiter unersättlich, das Streben nach der statistischen Unsterblichkeit ist ganz offen Lebensplan des Serben: Als ein Karriereziel hatte er einst ganz offiziell ausgegeben, die meisten Wochen als Nummer eins der Weltrangliste zu sammeln. Zahlen sind wichtig. Mit einem sechsten Sieg beim Jahresendturnier der Topprofis hätte Djokovic zu Roger Federer aufgeschlossen.

Alexander Zverev hat Djokovic in diesem Jahr nun zweimal geschlagen, und zweimal war es wichtig. Schon auf dem Weg zur Goldmedaille in Tokio hatte der Deutsche überraschend triumphiert. Er kratzt an Djokovics gnadenloser Dominanz, diese Leistung ist höher zu bewerten als die fünf Turniersiege, die er in diesem Jahr eingefahren hat. 2018 hatte Zverev Djokovic schon einmal bei den ATP Finals geschlagen, damals im Endspiel. Der Sieg machte Zverev zum Tennis-Weltmeister und sollte den Generationswechsel manifestieren. Damals kam es noch anders: Während Zverev nach dem Triumph in einem tiefen sportlichen Tal verschwand, wurde Djokovic danach zum Größten aller Zeiten. Sagt Zverev. Wenigstens für einen großen Moment ist Zverev in Turin etwas größer. Egal, wie das Spiel heute Abend ausgeht.

Quelle: ntv.de

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