
Alexander Zverev überraschte gegen Carlos Alcaraz.
(Foto: picture alliance / abaca)
Alexander Zverev ist ein Fachmann in Sachen Tennis-Weltmeisterschaft: Schon zweimal gewinnt der deutsche Tennisprofi die ATP Finals, nun feiert er zum Auftakt der aktuellen Auflage einen großen Sieg. Und trotzt dem Schreck und der eigenen Schreckensbilanz.
Zwei Stunden lang hatten die Zuschauer im Pala Alpitour in Turin schon ein atemberaubendes Match gesehen, Carlos Alcaraz und Alexander Zverev hatten sich bei den ATP Finals der besten Tennisprofis mit großer Qualität und großer Dramatik in den dritten Satz getrieben, als die Arena binnen einer Sekunde kollektiv erstarrte: 7:6 hatte Superstar Alcaraz den ersten Satz gewonnen, Zverev schlug im zweiten zurück.
Dann, nach seinem Break zum 3:2 im Entscheidungssatz, fiel Zverev hin und verzog das Gesicht. Und da war wohl niemand unter den 12.000 Menschen in der gewaltigen Arena, dem nicht die Bilder vom schreienden Zverev aus dem Sommer 2022 in den Kopf schossen, als es ihm in einem epischen Duell gegen Rafael Nadal in Paris die Bänder im rechten Fuß zerfetzte und die Träume des Deutschen vom ersten Grand-Slam-Sieg und der Spitze der Weltrangliste mit einem Knall platzten.
Doch diesmal rappelte sich Zverev schnell wieder auf. Anders als damals, als man ihn mit dem Rollstuhl vom Platz fahren musste: "Ich habe schnell das Zeichen gegeben, dass alles okay ist und ich nicht wieder mit einem Krankenwagen nach Hause fahren muss. Viele kennen meine Vorgeschichte. Meine Verletzung ist in Roland Garros passiert. Nicht bei irgendeinem 250er-Turnier irgendwo, sondern auf einer der größten Bühnen der Welt", sagte Zverev. "Vielleicht war das ein bisschen der Grund für die Reaktion." Nach seinem schrecklichen Unfall kehrte Zverev nicht mehr auf den Court zurück. Er spielte 2022 überhaupt kein Match mehr und kämpfte auch nach seinem Comeback schier ewig, zwischendurch mit wachsender Verzweiflung, um die Rückkehr zu alter Klasse. Auf Roland Garros folgte ein absolutes Horror-Jahr. Schmerzen, Reha, Rückschläge. Bis auf Platz 27 fiel Zverev in der Weltrangliste zurück.
"Eine große Ehre"
Nun kehrte er nach dem Schreck aber schnell zurück ins Match. "Ich bin zum Glück nicht umgeknickt, sondern etwas weggerutscht. Ich denke nicht, dass es ein Problem ist", sagte Zverev, nachdem er das Ding ins Ziel gebracht hatte: 6:7, 6:3, 6:4 hieß es am Ende, Zverev hatte Carlos Alcaraz niedergerungen. Wie damals in Roland Garros, als Zverev auf der Höhe seines Könnens war und kurz bevor alles binnen eines bitteren Moments zum Stillstand kam. Gegen den 20-jährigen Senkrechtstarter lieferte Zverev eine starke Vorstellung, er schlug 16 Asse, dominierte mit einer fein austarierten Mischung aus taktischer Sicherheit und krachendem Risiko und produzierte wenig unnötige Fehler. Eine Vorstellung, mit der der zweifache Weltmeister, der sich letztlich knapp für die Teilnahme am Stelldichein der besten Profis des Jahres qualifizieren konnte, die Tür zum Halbfinale überraschend weit aufstoßen konnte.
Wobei, überraschen sollte Zverev bei den ATP Finals niemanden mehr: Als Favorit reiste der Weltranglistensiebte noch nie an, nicht in London, wo das Turnier bis 2020 stattfand und auch nicht in Turin. Und trotzdem gewann er schon zweimal: 2018 und 2021. Der Hartplatz liegt dem Deutschen, die Atmosphäre auch. Im vergangenen Jahr hatte er wegen der Verletzung aus Roland Garros passen müssen. "Ich genieße es einfach, zu den acht besten Spielern der Welt zu gehören und mich mit ihnen messen zu können", hatte Zverev mit Blick auf das Highlight-Turnier gesagt: "Es ist ein Prestige-Event, eine Ehre, dabei zu sein, und ich sehe es nicht als selbstverständlich an." Seinen Sieg will er mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf noch nicht zu hoch hängen. "Ich bin glücklich über den Sieg, aber ich weiß auch, dass es noch ein langer Weg ist. Es war erst das erste Gruppenmatch."
"Natürlich ist das ein großer Sieg"
Mit seiner Leistung gegen Alcaraz war Zverev sehr zufrieden. "Natürlich ist das ein großer Sieg. Aber hier gibt es auch keine kleinen Siege, weil du nur gegen die besten Spieler der Welt spielst." In diesen Matches hatte der Deutsche, der im Sommer bei seinem Heimturnier in Hamburg den ersten Turniersieg seit seinem Triumph bei den ATP Finals im November 2021 gefeiert hatte, in dieser Saison noch seine großen Schwierigkeiten: Nur zweimal hatte Zverev zuvor einen Spieler aus den Top10 geschlagen.
Die großen Matches zu gewinnen, das ist der letzte, aus Zverevs Selbstverständnis wichtigste Schritt auf dem Weg zurück in alte Sphären. "An meinen Zielen hat sich nichts geändert. Ich möchte immer noch einer der besten Spieler der Welt sein, ich möchte immer noch die größten Turniere der Welt gewinnen", verriet er im Januar bei seiner Rückkehr auf die Tour. Bis auf Platz zwei der Weltrangliste hatte es der 26-Jährige einst geschafft. Wer große Turniere gewinnen will, muss auch die großen Spieler schlagen. Das liegt in der Natur der Sache. Gegen Alcaraz konnte Zverev die Bilanz also zumindest ein bisschen aufhübschen. Es ist ein großer Schritt Richtung Halbfinale von Turin und vielleicht - das wird die Zukunft zeigen - mehr als ein kleiner Schritt in der eigenen Laufbahn.
Gut möglich, dass sich die Bilanz schon am Mittwoch wieder verschlechtert: Nach Zverevs Coup gegen Alcaraz zerlegte Daniil Medwedew den zuletzt formstarken Andrej Rubljow mit 6:4, 6:2. Medwedew, der Zverev in dieser Saison schon vier bittere Niederlagen zufügte, ist am Mittwoch der nächste Gegner des Deutschen. Immerhin: 2021, als Zverev zum letzten Mal in Turin antreten konnte, schlug er den Russen im Endspiel.
Quelle: ntv.de