"Wie eine große Mannschaft" Kroatien tilgt seine EM-Schmach virtuos
12.06.2016, 19:44 Uhr
Schwer gezeichnet, aber erlöst: Kroatiens Abwehrspieler Vedran Corluka nach dem Schlusspfiff gegen die Türkei.
(Foto: dpa)
Ein Traumtor von Luka Modric, eine Heldentat von Vedran Corluka - das reicht trotz zittriger Knie und irrem Lattenpech zum kroatischen EM-Traumstart gegen die Türkei. Ganz nebenbei tilgt Kroatien damit eine bittere Schmach.
Am Ende hielt der König Hof. Mitten auf dem Rasen des Pariser Prinzenpark stand Luka Modric nach dem Schlusspfiff und wartete auf die Teamkollegen, die fast alle kamen, um ihn zu herzen und drücken. Um den kleinen Mittelfeldmann drehte sich nicht nur zuvor auf dem Spielfeld bei den Kroaten ziemlich viel, auch hinterher, als es galt, den 1:0-Sieg gegen die Türkei ausgiebig zu feiern, diesen perfekten Start in die Fußball-EM in Frankreich. "Das war eines seiner besten Länderspiele", lobte ihn später auch Trainer Ante Cacic. "Er war ein echter Leader."

Luka Modric war Dreh- und Angelpunkt im kroatischen Spiel. Und Siegtorschütze war er auch noch.
(Foto: imago/Pixsell)
Modric hat mit einer großartigen Leistung und dem Tor des Tages am Sonntag ganz nebenbei auch noch geholfen, eine Schmach zu tilgen, die in den vergangenen Jahren an seiner Mannschaft, an seiner Nation und letztendlich auch an ihm selbst genagt hatte. Er war einer von vier Spielern auf dem Platz, die bereits 2008 dabei waren. Bei der EM vor acht Jahren waren die Kroaten im Viertelfinale an der Türkei gescheitert, weil sie die in der 118. Minute erzielte Führung nicht über die Zeit retten konnten.
Die Türken hatten damals noch ausgeglichen und anschließend auch das Elfmeterschießen gewonnen. Dieses Mal fiel das 1:0, dieses "magische Tor", wie es Cacic nannte, bereits in der 42. Minute. Ein Distanzschuss aus rund 18 Metern, den der türkische Torhüter Volkan Babacan zu spät sah. Torschütze Modric fand: "Ich habe ihn perfekt getroffen."
Nur die Chancenverwertung stimmt nicht
Anschließend hatten die Kroaten die Partie gut im Griff, glänzten dank des spielstarken Mittelfelds um Modric und Ivan Rakitic. Allein, dass sie ein paar hervorragende Chancen vergaben, dreimal die Querlatte statt ins Tor trafen, trübte die Gesamtleistung ein wenig und hätte sich am Ende fast noch gerächt – wie 2008.
Bei den Kroaten kam noch leichte Nervosität auf, als die Türken eine Schlussphase starteten und ihr Supertalent, den erst 18 Jahre alten künftigen Dortmunder Emre Mor einwechselten. Aber Modric und Co. haben gelernt aus der Niederlage von Wien vor acht Jahren. Mit Köpfchen in der Abwehr, Kampfgeist und gelegentlichem Zeitspiel retteten sie den verdienten Sieg über die Zeit.
Neben Modric verdiente sich Vedran Corluka an diesem Abend den Titel des Heldes. Der Abwehrspieler hatte sich bereits in der ersten Hälfte bei einem Zweikampf eine Kopfwunde zugezogen und spielte deshalb mit einem Turban, der insgesamt zweimal erneuert werden musste. Man habe die Situation am Ende stets unter Kontrolle gehabt, sagte Cacic. "Ich vertraue meinen Spielern. Sie sind sehr selbstbewusst."
Hochbegabt, aber glücklos
Die Kroaten starteten bei dieser EM, um zum einen eben die offene Rechnung mit der Türkei zu begleichen, und zum anderen, um sich endlich auf eine Stufe mit den bisherigen Fußball-Helden der Nation zu heben. Jener Mannschaft, die 1998 bei der WM in Frankreich die deutsche Mannschaft aus dem Turnier geworfen und den dritten Platz erreicht hatte, zu der auch Verbandspräsident Davor Suker gehörte. Die Generation um Modric und Rakitic gilt seit Jahren als hochbegabt, aber bei den Turnieren ging stets irgendetwas schief. 2010 hatte sie sich gar nicht für die WM in Südafrika qualifiziert. 2012 bei der EM verpasste sie mit viel Pech das Viertelfinale, und 2014 in Brasilien war ebenfalls schon nach der Vorrunde Schluss.
Bei dieser EM trauen Experten den Kroaten zu, lange im Turnier bleiben zu können. "Es ist Zeit für Kroatien, endlich wieder etwas Großes zu erreichen. Wir wollen unser Volk stolz machen", sagte Rakitic. Neben den ehemaligen und aktuellen Champions-League-Sieger Modric, Rakitic und Mandzukic gibt es eine Reihe von jungen Talenten wie Ante Coric und Marko Pjaca, die aber gegen die Türkei noch auf der Bank saßen. "Die Atmosphäre in der Mannschaft ist gut", sagt Modric. "Wir haben gespielt wie eine große Nationalmannschaft - und ich denke, wir sind auch eine." Allerdings war Kroatien schon öfters gut in ein Turnier gestartet – und musste schließlich früh heimreisen. Entsprechend zurückhaltend geben sich die Spieler noch. Denn: "Das war ein wichtiger Sieg, aber nur der erste Sieg."
Quelle: ntv.de