Auch Hansi Flick in der Kritik Drei Schlüsselmomente sorgen für krachende WM-Blamage
02.12.2022, 10:01 UhrWieder einmal muss der deutsche Fußball eine herbe WM-Enttäuschung verarbeiten. Wie schon vor vier Jahren in Russland scheitert das Team auch bei den Wüsten-Spielen in Katar kläglich in der Vorrunde. Auch Bundestrainer Hansi Flick muss sich wegen Personalentscheidungen hinterfragen (lassen).
Gündoğan muss den Platz verlassen - Die fatale Auswechslung
Der WM-Auftakt verlief lange Zeit nach Plan. Mit einem 1:0 ging es in die Pause. İlkay Gündoğan hatte einen Elfmeter verwandelt, Joshua Kimmich ihn mit einem Pass auf David Raum ermöglicht. Das Mittelfeld-Duo überzeugt nebeneinander. Gündoğan hatte etwas überraschend den Vorzug gegenüber Leon Goretzka erhalten.
Die offensive Viererkette hinter dem Stürmer Kai Havertz hatte sich gefunden. Sogar Serge Gnabry war aufgewacht, nachdem er in den ersten 45 Minuten an der Linie geklebt hatte. Alles lief. Der Auftaktsieg war zum Greifen nahe. Dann wechselte Bundestrainer Hansi Flick. Für Gündoğan kam Goretzka und mit Gündoğan ging die Kontrolle über das Spiel. Angesprochen auf seine eigenen Fehler bei diesem Turnier, wollte Flick kaum etwas sagen.
Zu dieser Einwechslung schon. Ein Bruch dürfe es nach so einem Wechsel zweier Top-Spieler nicht geben. Den gab es letztendlich aber, weil Gündoğan gesucht wird, und Goretzka sich zwischen den Linien bewegt. Mit Jamal Musiala verschwand wenige Minuten später die letzte Leichtigkeit im Spiel. Um Gerechtigkeit zu schaffen, gab Flick den Sieg auf. Wenig konnte er ahnen, dass es so kommen würde.
Goretzka und Gündogan sind unterschiedliche Spielertypen, aber sie haben ähnliche Vorstellungen. Sie wollen immer spielen. Wie natürlich auch Joshua Kimmich. Und Flick wollte, so schien es, es allen recht machen, allen Spielern Zeit auf dem Platz geben. Das klappte zwar, der Effekt der Maßnahme war jedoch verheerend. Nach dem Spiel schimpfte das Trio laut, aber nicht im Chor. Besonders Kimmich und Gündoğan bewerben sich um den Klartext-Award des Tages. "Wir hätten den Gegner killen müssen", fluchte der Anführer der Bayern und schimpfte über die fehlende "Effektivität vor der Kiste".
Ein paar Meter weiter stand Gündoğan und holte zu einem Rundumschlag aus. Die DFB-Elf habe zu hoch gestanden, sagte er und überhaupt habe es ihr nicht nur an Reife, sondern auch an Qualität gefehlt. Er sei im Übrigen auch nicht verletzt gewesen, teilte er mit. Bang! Tiefschlag. Auch gegen Flick, der noch beschwichtigen wollte. Gündoğan dürfe das sagen, er sei ein Führungsspieler. Aber der Schaden war längst da.
Sané versiebt gegen Spanien - fehlende Effizienz
Was wäre gewesen? Nach Leon Goretzkas Heldengrätsche tief in der Nachspielzeit jagte auf einmal Leroy Sané allein auf das Tor der Spanier zu. Links drang er in den Strafraum ein, während Torhüter Unai Simon aus dem Kasten eilte. Schuss und Tor? Nein, Sané schoss nicht. Er versuchte, den Keeper zu umkurven, wurde dabei zu weit zur Grundlinie gedrängt. Die Chance verpuffte. Puff.
Puff machte es bei deutschen Offensivaktionen in der WM-Vorrunde in beängstigender Beständigkeit. Gegen Japan sprang bei 25 Torchancen ein mickriger Treffer heraus, gegen Spanien wäre durch Sané der späte Sieg nicht unverdient gewesen und im finalen Duell mit Costa Rica wirbelte der DFB-Angriff eine Möglichkeit nach der nächsten in den Wüstensand. Doch vor der Pause stand auch da nur eine eins auf der Anzeigetafel.
Jamal Musial, Leroy Sané, Serge Gnabry, sie schlugen lieber dreimal einen Haken und spielten noch einen Hackenpass. Und so sprach die Nationalelf seit dem Japan-Spiel davon, effizienter vor dem Tor zu werden. Nur gelingen wollte es nie, während die Abwehr zeitgleich gefährlich wackelte.
Spannungsabfall gegen Costa Rica - Flick entzündet kein Feuer
Das wird ein locker eingetüteter Sieg. So mochten die Gedanken manches DFB-Fans (und auch Spielers) ausgesehen haben, nachdem die Nationalelf wie die Feuerwehr begann und Costa Rica in den ersten Minuten an die Wand spielte. In der zweiten Minute prüfte Jamal Musial direkt mal Keeper Keylor Navas und der Teenager machte auch anschließend in Kombination mit Serge Gnabry und Leroy Sané mächtig Druck. Gnabry köpfte wenig später zum 1:0 ein und alles schien seinen Lauf zu nehmen für den Achtelfinaleinzug.
Denkste. Ab der 25. Minute vollzog sich ein seltsamer Spannungsabfall im deutschen Spiel. Statt weiterer Treffer, die Druck auf Spanien im Parallelspiel ausgelöst hätten, war auf einmal nichts mehr zu sehen von Einsatz und Torgefahr. Stattdessen lud man durch Energielosigkeit die "Ticos" von Minute zu Minute mehr in den DFB-Strafraum ein. Die Südamerikaner, die bis zu diesem Zeitpunkt ein einziges Mal im ganzen Turnier (!) aufs Tor geschossen hatten, bedankten sich artig mit einer Großchance kurz vor der Pause und einem Doppelpack in Halbzeit zwei.
Dieser Quasi-Rückzug nach Power-Start steht sinnbildlich für das fehlende Feuer in der Mannschaft von Hansi Flick, der selbst oft zu wenig Energie und Schärfe ausstrahlt, fast die ganze Vorrunde über. Gegen Spanien wurde zwar gekämpft, aber die Gier auf Tore war nicht groß genug, sodass der Sieg nicht herausspringt (siehe Punkt 2). Gegen Japan brach die Mannschaft nach der Pause gar völlig auseinander. Wie erlernt man die Feuer-Entzündung? Bleibt Flick Bundestrainer, wird er sich dieser Homo-Erectus-Frage ernsthaft stellen müssen.
Quelle: ntv.de