"So unnötig, so dumm" FC Bayern und BVB sind vereint in der Fassungslosigkeit
15.04.2023, 19:35 Uhr
Thomas Tuchel registrierte einen "großen Rückschritt" bei seiner Mannschaft.
(Foto: picture alliance / GES/Markus Gilliar)
Der FC Bayern München verpasst den Befreiungsschlag - und Verfolger Borussia Dortmund schafft es nicht, für den Serienmeister alles noch viel schlimmer zu machen. Beim FC Bayern ärgern sie sich weiter, aber beim BVB ist der Trainer richtig sauer.
Lothar Matthäus legte sich wenige Minuten nach dem Abpfiff schon fest: "So kannst du nicht Meister werden, also werden es wieder die Bayern", sagte der Sky-Experte über Borussia Dortmund und den turbulenten, völlig fahrlässigen Punktverlust des Verteidigers bei Abstiegskandidat VfB Stuttgart. 2:0 hatte der BVB geführt, war in Überzahl, kassierte den Ausgleich, sah in der vierten Minute der Nachspielzeit durch Gio Reynas Treffer wieder wie der sichere Sieger aus - und stand drei Minuten später durch den Treffer von Silas wieder mit nur einem Punkt da. Dabei blieb es.
"Brutal enttäuscht" war Trainer Edin Terzic hinterher. Und stand kurz vor der Kapitulation im Kampf um die Meisterschaft: "Es gibt Gründe, warum wir es nicht geschafft haben in den letzten zehn Jahren, ganz oben zu stehen", spannte Terzic auf der Pressekonferenz nach dem Spiel den ganz großen Bogen vom achten und bislang letzten Meistertitel des BVB 2012 bis heute. "Es gibt Gründe, wieso ich in den letzten Wochen häufiger dafür kritisiert wurde, dass wir sehr demütig mit dieser Situation umgehen, in der wir sind", erklärte er.
Wohlwissend, dass Matthäus natürlich recht hatte: Der Tabellenführer Bayern München hatte parallel seine Krise fortgesetzt, spielte seinerseits nur 1:1 gegen Abstiegskandidat Hoffenheim. Der Rekord- und Serienmeister bietet dem Verfolger so viel an wie selten. Und das verwunderte den neuen Trainer Thomas Tuchel, der sich bei der 0:3-Pleite bei Manchester City unter der Woche noch in seine Mannschaft "schockverliebt" hatte.
"Das ist uns alles nicht geglückt"
"Das müssen wir erstmal verarbeiten. Das ist auf jeden Fall ein großer Rückschritt von der Leistung und von der Überzeugung", sagte Tuchel. "Es war der Moment, einen draufzusetzen, das Spiel mit aller Macht zu gewinnen, aber auch eine Energie zu zeigen, Energie im Stadion zu wecken, Feuer und Zuversicht zu wecken", sagte Tuchel vor dem Viertelfinal-Rückspiel am Mittwoch in der Champions League gegen Manchester City. "Das ist uns alles nicht geglückt." Sein Team habe "mit sehr viel weniger Energie", mit "sehr viel weniger Tempo, mit weniger Überzeugung" gespielt, grummelte Tuchel zuvor bei Sky. "Mit extrem viel Verunsicherung und einfachen Fehlern."
Weil der BVB den Sieg so fahrlässig aus der Hand gegeben hatte, bleibt der FC Bayern mit zwei Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Für Freude sorgte das in München wahrlich nicht. "Wir haben genug eigene Baustellen, haben genug zu klären. Es interessiert mich nicht, was auf anderen Plätzen passiert", sagte Tuchel. "Wir müssen bei uns schauen, selbstkritisch sein." Es lohne sich nicht, sich über andere Ergebnisse zu freuen. Auf dem Platz fehlte dem FC Bayern wie schon zu oft in den vergangenen Wochenenden die Selbstverständlichkeit vergangener Jahre, neben dem Platz bemüht man sich weiter, den Kabineneklat von Manchester abzumoderieren.
Gegen die TSG Hoffenheim fehlte Sadio Mané im Kader, der nach der Champions-League-Pleite Mitspieler Leroy Sané ins Gesicht geschlagen hatte. Mané war vom Verein für das Spiel gegen Hoffenheim suspendiert und mit einer Geldstrafe belegt worden. "Das gibt uns die Möglichkeit, weiterzumachen. Heute ist die symbolische Strafe, die aus unserer Sicht auch dazu gehört. Regeln, Respekt, Verhaltenskodex gehört auf jedem Level mit dazu, das ist in Mainz nicht anders als bei Bayern München", sagte Tuchel vor dem Spiel. Die Geldstrafe, so versprach Bayern-Präsident Herbert Hainer am Freitagabend - "tut ihm - auch bei seinem Gehalt - weh." Der Vorfall sei "nicht zu tolerieren." Das 1:1 war nun denkbar ungeeignet, Ruhe und Selbstverständlichkeit zurückzubringen.
"Wir können uns beim VfB bedanken", sagte Thomas Müller nach Abpfiff und gab zu, dass man alles andere als zufrieden war mit der eigenen Leistung. "Wir waren geschockt von unserer Performance", verriet der 33-Jährige und kündigte für Sonntag "eine gute Analyse" an. "Der Trainer muss sich wahrscheinlich auch erstmal schütteln", so Müller. Und Abwehrspieler Matthijs de Ligt fasste seine Analyse prägnant zusammen: "Es kann nicht schlechter sein als heute."
"Das ist unerklärlich"
Der BVB hätte den Stress beim FC Bayern, der nach dem Pokal-Aus gegen den SC Freiburg und die hohe Hypothek aus dem Hinspiel in Manchester wohl nur noch um die deutsche Meisterschaft spielt, noch deutlich erhöhen können - und patzte. "Mir fällt es schwer, die Worte zu finden, warum es passiert ist", sagte Edin Terzic bei Sky nach dem 3:3 beim VfB Stuttgart. Der BVB hatte in der Partie zwei Führungen verspielt und in Überzahl in der Nachspielzeit das Gegentor zum Ausgleich kassiert.
2:0 hatte seine Mannschaft zur Halbzeit geführt, spielte nach dem Platzverweis gegen Stuttgarts Konstantinos Mavropanos in Überzahl. Terzic verriet, dass er seine Spieler in der Halbzeit noch ermahnt habe, dass das Spiel kippen könne, wenn man nachlässig werde. "Wir haben gesagt, dass wir das durchziehen müssen. Aber wie wir das in der zweiten Halbzeit mit Leben gefüllt haben, ist unerklärlich." Terzic hatte zunächst sogar darauf verzichtet, zu seiner Mannschaft zu sprechen: "Es wäre nicht gut gewesen, wenn ich all das ausgeführt hätte, was ich gerade denke. Wir haben eine riesige Chance liegen lassen", sagte Terzic.
"Unterm Strich war die zweite Halbzeit extrem enttäuschend und hat uns vieles kaputt gemacht", analysierte BVB-Sportchef Sebastian Kehl und äußerte "komplettes Unverständnis für diese zweite Halbzeit", pendelte zwischen "Frust" und sogar einer "gewissen Aggressivität."
"Und dann schenken wir es so einfach ab"
"So unnötig, so dumm" sei dieser Rückschlag in Stuttgart, schimpfte der sichtlich mitgenommene Terzic. "Mit ganz viel Fleiß und ganz viel Wut" sei man in die Vorbereitung im Januar gestartet. "Dann haben wir uns in die Ausgangssituation gebracht, in der wir gerade stecken - und dann schenken wir es heute einfach so ab."
Statt punktgleich in die letzten sechs Spiele zu gehen, bleibt der FC Bayern zwei Punkte vorne. "Es kann nicht sein", dass Stuttgart in Unterzahl zu so vielen Chancen gekommen sei, sagte Torwart Gregor Kobel. "Das geht nicht, so verteidigt man nicht." Den 19-jährigen Soumaila Coulibaly, der unmittelbar vor dem Gegentor durch Silas (90.+7) am Flankenball vorbei getreten hatte, nahm Terzic in Schutz. "Der Letzte, den wir als Sündenbock haben wollen, ist Soumaila Coulibaly", sagte der Trainer.
Quelle: ntv.de