Zu gut für die DFB-Pläne Flick bekommt ein Problem mit Wirtz
05.10.2021, 19:31 Uhr
Florian Wirtz und Hansi Flick verstehen sich.
(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)
Florian Wirtz ist das nächste Supertalent bei Bayer Leverkusen. Der kleine Spielmacher gilt auch als kommender Mann in der Nationalmannschaft. Hansi Flick führt in langsam ans Team heran. Doch bereits jetzt droht der 18-Jährige zum Luxus-Problem zu werden.
Wer Florian Wirtz bei Google eintippt, der bekommt gleich zahlreiche Vorschläge, wie sich die Suche nach dem Youngster von Bayer Leverkusen präzisieren lässt. Überraschenderweise wird aber weder sein Klub als Vorschlag angezeigt und auch nicht der FC Bayern, der großes Interesse haben soll, und auch nicht die Nationalmannschaft, zu der Wirtz am Montagabend gereist ist. Stattdessen geht es sehr viel um das Videospiel Fifa, um Instagram, um seine Freundin - und um seine Haare. Die sind bei vielen Menschen tatsächlich ein großes Thema. Als "Lego-Frisur" wird diese offenbar von vielen Usern im Internet bezeichnet, wie das Portal "t-online" ausgegraben hat.
Nun ist es schon reichlich kurios, dass über eines der derzeit spektakulärsten Talente im deutschen Fußball so gesprochen wird. Man sollte das nicht tun. Man sollte sich lieber mit den spektakulären Dingen beschäftigen, die den 18-Jährigen in diesen Tagen ins sportliche Schaufenster stellen. Denn vermutlich gibt es in der Bundesliga im Moment keinen Fußballer, der für mehr Begeisterung sorgt. Nicht einmal der Dortmunder Erling Haaland. An dessen phänomenale Vorstellungen im Akkord hat man sich ohnehin längst gewöhnt. Außerdem ist er gerade verletzt. Und fällt dann durch modische Extravaganzen als Zuschauer auf der Tribüne auf. Darüber darf man schon eher reden.
Florian Wirtz hat in dieser Saison acht Pflichtspiele für Bayer Leverkusen bestritten. Er hat sechs Tore erzielt und fünf Treffer vorbereitet. Diese Bilanz absolut herausragend zu nennen, ist keine Übertreibung. Und ganz egal, welche Pläne der Verein mit seinem nächsten Top-Talent hatte, sie dürften alle auf dem Erledigt-Stapel liegen. Denn ein behutsamer Aufbau ist nicht mehr möglich. Wirtz hat sich in der ersten Phase dieser Spielzeit bereits den Status des Unverzichtbaren erworben. In der Spektakel-Truppe vom Rhein ist er der Spielmacher, der Schlüsselspieler.
"Corona hat Karriere beschleunigt"
Der in Pulheim bei Köln geborene Offensivspieler verewigte sich erst vor wenigen Tagen mit seinem Siegtreffer beim 1:0 der Leverkusener gegen Mainz 05 in den Annalen der Liga-Historie. Das Tor war bereits sein zehntes Tor in der ersten Liga. Mit 18 Jahren und 145 Tagen ist Wirtz der jüngste Spieler, dem dies gelang. Den Rekord hielt zuvor Weltmeister Lukas Podolski, der sein zehntes Tor im Alter von 18 Jahren und 353 Tagen 2004 für Wirtz' Ex-Klub 1. FC Köln erzielte. Dass er dort nicht den Weg zum Profi ging, sondern ein paar Kilometer weiter in Leverkusen, es dürfte dem "Effzeh" ganz besonders weh tun. Allerdings soll ihm damals der Weg in die Bundesliga-Mannschaft nicht so klar aufgezeigt worden sein, wie bei Bayer.
Doch auch dort wundern sie sich schon ein wenig, wie phänomenal schnell der Aufstieg vom Talent zum prägenden Stammspieler gelang. "Corona hat seine Karriere tatsächlich beschleunigt", urteilte Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes jüngst in einem Interview der "Sport-Bild". Wirtz habe "sich rasanter entwickelt, als es vorauszusehen war. Was niemand voraussehen konnte, war der Lockdown im März 2020. Dadurch gab es keinen Unterricht in den Schulen", erzählte Rolfes über den damals 16 Jahre alten Schüler. Er habe dann Vater Hans-Joachim gefragt, ob Wirtz bei den Profis mittrainieren könne. Das habe einen enormen Entwicklungsschub zur Folge gehabt, das Talent sei in der Phase des ersten Shutdowns "in der Lage" gewesen, "das Profiniveau im Training sofort zu adaptieren." Nach den drei Monaten bis Ende Juni 2020 sei klar gewesen, dass Wirtz nicht erst noch in der U19 spiele. Eine kluge Entscheidung. Garniert mit einem neuen Vertrag bis 2026 und deutlich mehr Gehalt. Eine prägende Entscheidung. Belohnt von einem prägenden Spieler.
Löw verzichtete noch
In der Nationalmannschaft ist er von dieser Rolle noch weit entfernt. Gerade einmal 47 Minuten hat er für das Team von Bundestrainer Hansi Flick in der WM-Qualifikation gespielt. Verteilt auf die drei Spiele gegen Liechtenstein, Armenien und Island. Dabei soll es nicht bleiben. Dabei wird es nicht bleiben. Der Nachfolger von Joachim Löw hatte bereits angedeutet, wie angetan er von dem kleinen Mittelfeldspieler ist. "Er ist wie alle jungen Spieler ein Riesengewinn durch seine Unbekümmertheit", schwärmte Flick. "Er ist ein hervorragender Techniker, sehr spielfreudig und kreativ. Er hat einen guten Torabschluss und ist sehr lauffreudig. Das ist ein gutes Gesamtpaket."
Auf dieses gute Gesamtpaket hatte Löw im Sommer freiwillig verzichtet. Bei der Europameisterschaft setzte er lieber auf bewährte Kräfte und nominierte mit Jamal Musiala vom FC Bayern nur ein Talent. Das allerdings half der Mannschaft mit seiner forschen Art. Gerade im entscheidenden Gruppenspiel gegen Ungarn, als er das wichtige 2:2 (weil es das Weiterkommen bedeutete) durch Leon Goretzka maßgeblich vorbereitete. Musiala hatte sich auf der Außenbahn stark durchgesetzt. Womöglich wäre auch Wirtz mit seinen Stärken im Abschluss, in der Vorbereitung und der Spielübersicht ein massiver Gewinn für die Nationalmannschaft gewesen.
Der Fußball-Nation Deutschland hat er in diesem Sommer aber dennoch geholfen. Beim doch eher überraschenden EM-Triumph der U21 hatte er im Halbfinale seinen goldenen Moment. Im Halbfinale gegen die Niederlande erzielte er beim 2:1-Erfolg beide Tore. Und das auf furiose Weise bereits in den ersten acht Minuten. Die Laufwege, die Abschlüsse, das "Gefühl für Zeit und Raum" sowie seine Abgeklärtheit würden ihn durchaus zu einem schnellen Aufstieg ins A-Team befähigen, befand René Adler, der die EM als Experte bei ProSieben begleitete. Der ist nun geschafft. Und sorgt für Probleme.
Beängstigende Konkurrenz?
Einigermaßen unstrittig dürfte sein, dass Florian Wirtz mit seiner spektakulären Entwicklung und in der aktuellen Form massiv ins Team drängt. Vielleicht noch nicht jetzt in den anstehenden Spielen gegen Rumänien und Nordmazedonien, aber sicher mit Blick auf das kommende Jahr, an dessen Ende ja die Weltmeisterschaft in Katar steht. Aber wenn er ins Team drängt, dann muss er erstmal einen anderen Spieler verdrängen. Und das ist die Krux für das Talent und für den Trainer. Auf den möglichen Positionen, offensives Mittelfeld (seine stärkste Position) und beide Außenbahnen, hat Flick eine bemerkenswerte Dichte an internationaler Top-Qualität. Im Zentrum ist Thomas Müller gesetzt. Als Fußballer, aber auch als Führungsfigur. Auch Kai Havertz, Wirtz' Vorgänger als Bayers Top-Talent, will unbedingt spielen, kann sich allerdings auch die Rolle des Stürmers vorstellen.
Ilkay Gündogan, der in der Nationalmannschaft nie so stark war, wie etwa bei Manchester City, will auch noch beweisen, dass er im DFB-Team doch eine Schlüsselrolle einnehmen kann. Im offensiven Mittelfeld würden seine Qualitäten am besten zum Tragen kommen. Unter Klubtrainer Josep Guardiola weist er das regelmäßig nach. Müller, Havertz, Gündogan, das sind beeindruckende Konkurrenten. Kaum weniger einschüchternd ist die Lage auf den Flügeln. Dort spielen etwa Serge Gnabry und der von Flick wieder wach geküsste Leroy Sané. Und auch die Allrounder Musiala und Marco Reus liefern immer wieder Argumente für nachhaltige Stammplatz-Ambitionen.
Noch kann Flick entspannt sein. In der WM-Qualifikation warten viele eher einfache Gegner. Mit Blick auf drohende Überlastungen durch die viele Einsätze im Klub und viele Lehrgänge beim DFB kann der Bundestrainer bequem rotieren. Aber bereits in gut einem Jahr steht die umstrittene WM in Katar ein, irgendwann muss Flick ein Gerüst bilden, Hierarchien schaffen und eine Lösung finden, wie er mit Wirtz umgeht. Wenn dessen Entwicklung so weitergeht. Bei Google ist das übrigens noch kein Thema.
Quelle: ntv.de