Abschied des Unverstandenen Guardiola – Messias und Missverständnis
21.05.2016, 11:08 Uhr
Wer genau dieser Pep Guardiola war, der in den letzten drei Jahren den FC Bayern trainiert hat, wissen wohl nur wenige.
(Foto: dpa)
Heute trainiert Josep Guardiola zum vorerst letzten Mal den FC Bayern München. Damit verlässt eine Figur die deutsche Fußballbühne, wie es sie vorher nicht gab: ein Messias, ein Medienereignis - und ein Missverständnis.
Bei seinem ersten überwältigenden Sieg war Pep Guardiola noch nicht einmal eine Woche lang Bayern-Trainer. Gut, es war nur der Fanklub aus Weiden, den der Rekordmeister mit 15:1 erledigte. Aber das Ergebnis passte in die Anfangszeit des Spaniers an der Säbener Straße: Sensationen, Rekorde, Schlagzeilen. "Pep ist da!", das reichte den Kollegen von "Sky" am 24. Juni 2013 für eine Breaking News. Den ersten Tag des Wundertrainers in München verfolgten 250 Journalisten aus aller Welt. Die Pressekonferenz war "die größte in der Geschichte des FC Bayern", wie der ungewöhnlich nervöse Pressechef Markus Hörwick die Reporter wissen ließ.
Guardiola hatte noch kein Bundesliga-Spiel gewonnen, Philipp Lahm noch nicht ins Mittelfeld gestellt, den "Doc" noch nicht rausgeekelt, da hatte er den Verein schon verändert, ihn auf ein neues Level gehoben: Der FC Bayern München war nun ein weltweites Ereignis. Wegen ihm, wegen Pep Guardiola. Dem Mann, der als Messias kam. Und der doch ein Unberührbarer blieb, und ein Unberührter. Von dem viele Missverständnisse bleiben werden, egal, wie sein letztes Spiel gegen Borussia Dortmund heute Abend ausgehen wird.
Zu spanisch, zu weibisch

Ein bisschen mehr Mia san Mia hatten sich die Fans in München von Pep Guardiola erhofft.
(Foto: dpa)
Ob man Guardiola den Status als Messias zugestehen will oder nicht, Fakt ist: Der Mann hat einen Glaubenskrieg ausgelöst. Schon kurz nachdem Uli Hoeneß wieder aus der ominösen New Yorker Tiefgarage fuhr, erklärte Wolfram Eilenberger die Auswirkungen der Verpflichtung auf die Bundesliga. Der Franz Josef Wagner des Sportfeuilletons machte Guardiola für den angeblichen Siegeszug des Weiberfußballs verantwortlich. Natürlich drückt ein Philosoph solch steile Thesen ein wenig kompliziert aus, also schrieb er von der "Feminisierung des Fußballs", die sich in einer "Penetrationsverweigerung" äußere, über der der ganze Kontinent einschlafe. Für das spanische Nationalteam mag das vielleicht eine zutreffende Analyse gewesen sein, die Bayern aber erzielten unter Guardiola in dessen erster Saison 94 Tore. Fehlende offensive Durchschlagskraft war ohnehin nie das Problem der Bayern. Eher schon die Defensive, die auch nach drei Jahren Guardiola keine Antworten auf schnelle Konter fand.
Das aber sind taktische Feinheiten, lieber wurden die deutschen Medien grundsätzlich. Dem n-tv.de-Kolumnisten Wolfram Weimer stieß sauer auf, dass ein Bayern-Coach statt gestandenen deutschen Weltmeistern lieber irgendwelchen dahergelaufenen Spaniern vertraute, also "un-deutschen Spielern". Auch Weimers Überschrift "Der Guttenberg des Fußballs" zeugte von grotesker Unkenntnis des Trainers Guardiola. Aber auch davon, wie sehr der Mensch Guardiola polarisierte.
Verstöße gegen die Bayern-Regeln
Vielleicht hätte es der Spanier in München aber auch einfacher haben können. Ein bisschen weniger Businessattitüde, ein bisschen mehr Mia san Mia. Doch den Status eines Projektmanagers konnte Guardiola nie ablegen. Stattdessen legte er sich mit einem der Vereinsältesten an, mit Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Merke: In München hält man höchstens um die Hand von "Mulls" Tochter an, nicht aber ein Scherbengericht über die Arbeit des berühmtesten Sportarztes Deutschlands ab. Müller-Wohlfahrt schmiss entnervt hin, das Verletzungspech blieb Guardiolas Bayern treu. Und er sich selbst. "Da müssen sie die Ärzte fragen", diesen Satz hat er sich bis heute nicht abgewöhnt, gerade erst hat er ihn wieder gesagt, als er gefragt wurde, warum Mario Götzes Rippenbruch nicht früher kommuniziert wurde.
Apropos Götze: Dass er den Weltmeisterschaftsendspielsiegtorschützen nie in die Mannschaft eingebaut hat, haben die Fans und Experten Guardiola nicht übel genommen. Götze hat sich schlicht und einfach nicht aufgedrängt. Anders liegt der Fall bei Thomas Müller. Keiner wurde so oft vom Platz gewunken, und im Hinspiel des Champions-League-Halbfinals gegen Atletico verletzte Guardiola sogar noch so eine heilige Bayern-Regel: Müller spielt immer.
Abneigung gegen die Presse
Guardiola stieß aber nicht nur die Mia-san-Mia-Fraktion ständig vor den Kopf. Vor allem zu Journalisten pflegte er ein unterkühltes Verhältnis. Keine Einzelinterviews, keine Gespräche vor dem Spiel, Kontakte zu Reportern empfand der Spanier offensichtlich nicht nur als lästig, er zeigte das auch völlig unverhohlen. Das hatte zwei Konsequenzen: Wer sich so nahbar zeigt wie Siri, dem glaubt man Liebesbeteuerungen an den Verein und Jupp Heynckes nicht, schon gar nicht, wenn sie mit den Guardiolaschen Super-Superlativ versehen sind. Zum anderen reagierte die Presse aus verschmähter Liebe zunehmend gereizt und kritisch auf Guardiola.
Wenn er mal sprach, dann meistens nur Spanisch, oder Katalanisch. So wie am Abend des 27. März 2014 im Presseraum des Olympiastadions in Berlin. Minutenlang hatte sich Guardiola durch sein notorisches Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch genuschelt. Bis die Kollegen aus seiner Heimat an die Reihe kamen und er auftaute – und die deutschen Medienvertreter vernehmbar raunten. Wieso spricht er mit denen so, aber mit uns nicht?
So lange der Nimbus des Unbesiegbaren Guardiola schützte, ließen ihm die Medien seine babylonischen Sprachwirren als Marotte durchgehen. Sie galten nicht als Mittel, um mit vielen Worten nix Substanzielles sagen zu müssen, sondern als exotisches Markenzeichen, wie damals bei Giovanni Trapattoni. An diesem Abend hatte er gerade seine erste Meisterschaft gewonnen, am 27. Spieltag, noch hatte sein Team keine nennenswerte Niederlage erlitten. Doch mit dem 0:4 gegen Madrid einen Monat später schlug die Belustigung in Argwohn um: Will da einer gar nicht verstanden werden? Schützt der sich? Es war der Anfang vieler Missverständnisse.
Wer genau dieser Pep Guardiola war, der in den letzten drei Jahren den FC Bayern trainiert hat, wissen wohl nur wenige. Ein Fachmann, unbestritten. Ein Mann des Volkes sicher nicht, auch kein Träger des Mia-san-Mia-Gens. Ein Messias? Ansichtssache. Aber ein Ereignis, und auch ein kleines Missverständnis. Die Frage, was er nicht war, ist sicher einfacher zu beantworten. Marcel Reif tat das vor einigen Wochen auf seine Weise, als er bei "Sportradio360" zu Gast war und die Sprache auf den Trainerwechsel bei den Bayern zu Carlo Ancelotti kam. Die Überschrift, die Reif darüber setzte: Es menschelt wieder.
Quelle: ntv.de