Ärger über Fußballreform Hans-Joachim Watzkes peinliche Fassungslosigkeit
08.09.2023, 10:02 Uhr
Hans-Joachim Watzke kritisiert die geplante Nachwuchsreform des DFB.
(Foto: Christian Charisius/dpa)
Der DFB bringt eine Reform des Kinderfußballs auf den Weg - und der neue Sportdirektor kassiert dafür aus dem eigenen Präsidium nach wenigen Tagen im Amt eine harte Klatsche. Vizepräsident Hans-Joachim Watzke torpediert den Plan auf Stammtischniveau.
Hans-Joachim Watzke hat keine Ahnung. Zumindest nicht von der Gefühlswelt eines kleinen Kickers. Gewiss, von oben, wo die Millionen und Milliarden umgesetzt werden, da ist der Geschäftsführer von Borussia Dortmund ein zu Recht geschätzter Fachmann und gern gesehener Macher in diversen Gremien des deutschen und bis zuletzt auch internationalen Fußballs. Doch was bei den Kleinen los ist, da ist Watzke der falsche Mann.
Das zeigte der erfahrene Funktionär jüngst mit einer populistischen Tirade gegen eine Reform im deutschen Kinderfußball, die der neue DFB-Direktor Hannes Wolf in den ersten Tagen seiner Amtszeit vehement verteidigen muss. Watzke ist ein Mann des DFB, der Dortmunder ist Vizepräsident - und gibt einen seiner führenden Mitarbeiter sofort der Lächerlichkeit preis. "Unfassbar und für mich nicht nachvollziehbar", nannte Watzke das, was Wolf zu verschiedenen Anlässen zu vermitteln versuchte, beim DUP Unternehmertag in Essen.
"Demnächst ohne Ball". Lustig.
Bei der Reform, die im DFB über Jahre erarbeitet wurden und die mittlerweile von einem Großteil der Fußballkreisverbände umgesetzt wird, geht es darum, in den Altersklassen der Vier- bis Elfjährigen die Felder und Tore zu verkleinern und so allen Kindern mehr 1-gegen-1-Momente und vor allem Ballaktionen zu verschaffen. Es ist eine umfassende Reform, um dem am Boden liegenden deutschen Fußball mithilfe vieler besser ausgebildeter Talente mittelfristig wieder auf die Beine zu helfen. Die Ergebnisse, die die Nationalmannschaft der Männer und jüngst auch die U21-Auswahl produzierten, sind ein klarer Auftrag: So darf es nicht weitergehen.
Ein Teilaspekt der Idee ist, dass Tabellen und Ergebnisse abgeschafft werden sollen. Hans-Joachim Watzke torpediert den Plan, der vom DFB-Bundestag 2022 verabschiedet wurde, nun auf Stammtischniveau: "Demnächst spielen wir dann noch ohne Ball. Oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht mehr wegläuft." Lustig. Besonders die Sache mit Tabellen und Ergebnissen sorgt bei Watzke und diversen Alt-Internationalen wie Thomas Helmer oder Dietmar Hamann für schlimmste Bauchschmerzen: Statt einer Generation von Straßenkickern - so ist die Angst - wird durch die Reform eine Generation von Verlierern produziert. Sagen sie. "Wenn du als Sechs-, Acht- oder Neunjähriger nie das Gefühl hast, was es ist, zu verlieren", polterte Watzke, "dann wirst du auch nie die große Kraft finden, um auch mal zu gewinnen."
Watzke und die Kritiker dürfen versichert sein: Jeder und jede Zehnjährige weiß während eines Spiels zu jeder Zeit, wie es steht. Mindestens weiß das Kind, ob sein Team vorne oder hinten liegt. In jedem Trainingsspiel geht es den ambitionierten Kindern ums Gewinnen und Verlieren. Manchmal buchstäblich bis aufs Blut, zum Glück - möchte man sagen - gibt es oft nur Tränen unter den besonders verbissenen Kleinkickern. Ob die Ergebnisse hinterher Einzug in irgendwelche Tabellen finden? Das ist meistens egal. Fehlende Tabellen und Ergebnisse sind bestenfalls ein schwacher Trost für die, die überhaupt nicht verlieren können - denn im Falle einer Niederlage "ging es ja eh um nichts". Die Motivation kommt von innen, kein Kind hat während des Spiels eine Tabelle im Kopf.
Reform "fordert Leistung"
Die Vorstellung, dass nur der Schmerz Gewinner produziert, ist eine archaische. Die neuen Ideen des DFB, wonach kleinere Teams auf mehreren Feldern auf kleine Tore spielen, stehen dem Wettbewerbsgedanken auch gar nicht im Weg: "Du machst fünf kleine Felder, wenn du verlierst, gehst du nach links, wenn du gewinnst nach rechts. Wenn du am Ende auf Feld eins rauskommst, hast du immer gewonnen, wenn du auf Feld fünf rauskommst, hast du immer verloren", erklärte Wolf jüngst das Konzept hinter der neuen Spielform, die ab der Saison 2024/25 verpflichtend eingeführt wird. In den neuen Spielformen werde "Leistung gefordert und durch die unmittelbare Rückmeldung des Gewinnens und Verlierens gefördert.
Was Watzke in seiner Tirade vergisst: An der Basis geht es um Breitensport, dort treffen ambitionierte Kinder auf weniger ambitionierte. Talentierte auf untalentierte. Bewegungsfreudige auf Bewegungsmuffel. Sie alle dürfen, sie alle sollen Fußball spielen. Und sich im Verlauf ihrer Kindheit vom Mitläufer zum Mitmacher entwickeln. Dabei hilft es ihnen nicht, wenn sie auf einem großen Feld den weiter entwickelten Teamkollegen aus sicherer Entfernung zu Ball und Tor beim Organisieren von Siegen oder Niederlagen zuschauen. Daran wächst kein Kind auf dem zweiten Bildungsweg zum Leistungsträger, auch wenn seine Mannschaft in einer Tabelle weit oben steht.
Mit seiner platten Kritik räumt Watzke die durchaus komplexe Reform pauschal ab. Er diskreditiert sie, wohl wissend, wie anstrengend gerade im Fußball die Einführung neuer Ideen ist. Wolf, so sagte Watzke noch, solle "in den nächsten ein, zwei Jahren Handlungsalternativen aufzeigen." Eine Evaluation möglicher Folgen der Kleinfeld-Evolution ist in diesem Zeitraum unmöglich. Dabei hatte sogar Wolf selbst eingeräumt, dass der Plan durchaus dynamisch zu verstehen sei: "Die neuen Spielformate sind nicht starr, sondern wir haben in der Zukunft immer die Möglichkeit, sie weiterzuentwickeln und an die Realitäten auf Deutschlands Plätzen und auf die besten Lernbedingungen anzupassen." Die Möglichkeit, in der E-Jugend parallel zu den Spielfesten auch im gewohnten 7-gegen-7 auf größere Tore Spiele auszutragen, ist im Konzept des DFB ausdrücklich verankert.
"Viele schlaue Leute beim DFB"
Der ehemalige U21-Nationaltrainer Horst Hrubesch, heute Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des Hamburger SV, sagte jüngst in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" zu den Vorschlägen aus der DFB-Zentrale: "Ich fand die Vorhaben manchmal zielführend, manchmal nicht so sehr. Generell gilt aber: Beim DFB arbeiten viele schlaue Leute, die etwas von der Thematik verstehen." Eine Expertise, die DFB-Vize Watzke seinen Leuten offenbar nicht zutraut.
Die Schärfe, mit der der DFB-Mann die Reform aus dem eigenen Haus, die er als Teil des DFB-Präsidiums mitverabschiedet hat, anhand eines einzelnen Aspekts zerreißt, ist bemerkenswert. Und beschädigt den neuen Sportdirektor, den Verband und die Akzeptanz für das neue Format. Er beschädigt auch die Mitarbeiter der Landesverbände, der Kreise und Bezirke, dazu die Verfechter des neuen Konzepts, die es gemeinsam flächendeckend einführen und damit mit jahrzehntealten Gewohnheiten brechen müssen.
Dabei könnte Watzke durchaus mehr Vertrauen haben: Wolf wuchs im Nachwuchsbereich des BVB unter Geschäftsführer Watzke zum Bundesligatrainer heran, sieben Jahre arbeitete der gebürtige Bochumer im Nachwuchsleistungszentrum des BVB, bevor er die Profis des VfB Stuttgart übernahm.
Der DFB hat mit seiner Reform auch keinesfalls einen eigenen, völlig verrückten Weg eingeschlagen, wie mancher Kritiker spottet. Im Gegenteil: Der DFB hängt einer Entwicklung nur hinterher, die in England, den Niederlanden oder Belgien schon eine Generation von Edelkickern produziert. Im Nachbarland durchlief beispielsweise Kevin De Bruyne die Kleinfeldschule. Der Belgier führte in der vergangenen Saison Manchester City zum Gewinn der Champions League. In Tausenden Deutschen Vereinen ist das, was Watzke nun wieder kassiert sehen will, längst gut angenommene Realität.
Quelle: ntv.de