Fußball

Denkbar ungünstiger Zeitpunkt Ein WM-Film, der Hansi Flick gar nicht guttut

Das WM-Debakel und deren Folgen lasten immer noch schwer auf Bundestrainer Hansi Flick.

Das WM-Debakel und deren Folgen lasten immer noch schwer auf Bundestrainer Hansi Flick.

(Foto: IMAGO/Agencia EFE)

Fußball-Deutschland hat für den Sommer 2024 einen wichtigen Auftrag: Ein neues Sommermärchen soll her. Das Problem: Für Euphorie braucht es eine starkes Nationalteam. Das gibt es derzeit nicht. Nun erscheint auch noch eine neue Doku, die wenig schmeichelhaft ist.

Ach Deutschland, du und deine Graugänse..., Pardon, du und deine Fußballer! An dem eher farblosen Vertreter aus der Familie der Entenvögel hatten sich die Spieler der Nationalmannschaft bei der WM in Katar orientieren sollen. Mit kraftvollen Flügelschlägen (wie das auf dem Platz umgesetzt hätte werden sollen, ist vorerst unklar) hätte sich das Team durch die Wüste bewegen sollen. Nach zwei herbe enttäuschenden Großturnieren sollte bei dem umstrittenen Event am Persischen Golf der Vogel wieder fliegen. Der Fußball sollte erfolgreich sein, das Land mitgerissen werden wie eine Schar Graugänse auf dem Weg in ihre Winterquartiere. Das Ende ist bekannt: Das DFB-Team flog in der Vorrundengruppe mit Japan, Spanien und Costa Rica raus. Es war die nächste Etappe eines Sturzflugs, der seit dem WM-Debakel 2018 nicht mehr aufzuhalten ist. Immerhin war Winter und der blieb im deutschen Fußball auch über den Sommer, der langsam geht.

Nun sind die Graugänse ..., Pardon, die Fußballer am Mittellandkanal gelandet. Dort wollen sie Kraft tanken für die Reise zur Heim-Europameisterschaft im kommenden Sommer. Für die ist der Auftrag bereits erteilt worden. Ein neues Sommermärchen soll her. Das Problem: Für Euphorie braucht es eine starke Nationalmannschaft. Doch die ist weiter so schwach wie die Umfragewerte der Ampel-Koalition. Und der Glaube daran, dass sich jetzt gegen Japan in Wolfsburg (20.45 Uhr bei RTL und im ntv.de-Liveticker) und am Dienstag gegen Frankreich in Dortmund (20.45 Uhr, ARD und im ntv.de-Liveticker) ALLES zum Guten wendet, ist vorsichtig formuliert, nicht sonderlich groß. Zumindest nicht im Umfeld.

Blamage statt Aufwind gegen Japan

Bundestrainer Hansi Flick mag das anders sehen. Er betont das bei jeder Gelegenheit. Er glaubt an seinen Weg, doch der wird ab Freitag von einer Doku flankiert, die ihm nicht sonderlich schmeichelt. Bei Amazon erscheint die vierteilige Serie "All or Nothing", die das bittere Scheitern in Katar nachzeichnet. Es ist, wie Sprecher Bela Rethy, sagt, "die Geschichte einer Tragödie." Mitten in der tiefen DFB-Krise kommt das zur Unzeit. Also warum ausgerechnet jetzt? Gute Frage. Ein Teil der Antwort: Der Verband hatte weder beim Dreh, noch bei der Wahl des Erscheinungsdatums ein Vetorecht. Blöd gelaufen. Vermutlich war ursprünglich alles ganz anders gedacht, eine Heldengeschichte sollte geschrieben, und eben keine "Tragödie" auf allen Ebenen, sportlich, politisch und gesellschaftlich.

Weil die Zuschauer das Ende dieses Debakels kennen, sind die gezeigten Stationen dorthin bisweilen schwer zu ertragen, man bekommt in bestimmten Momenten Gefühle des Fremdschämens. Zum Inbegriff dessen ist eben der "Flug der Graugänse" geworden. Ein kleiner Motivationsfilm, der der Mannschaft vor dem ersten Spiel gegen die Japaner "Aufwind" geben sollte. Das Ergebnis ist bekannt. Auf seltsame Weise gab Deutschland eine Führung gegen die Ostasiaten noch aus der Hand und wurde durch die eher durchschnittlichen Bundesliga-Profis Ritsu Doan und Takuma Asano blamiert.

Die Menschen wenden sich vom DFB-Team ab

Das Bild eines entspannten Hansi Flick ist seit längerer Zeit nur schwer aufrechtzuerhalten. War Deutschland im Sommer 2021 noch schockverliebt in den neuen Bundestrainer, der die Nationalmannschaft von der schweren Last der späten Joachim-Löw-Jahre befreien sollte, so hat der 56-Jährigen mittlerweile große Teile des Rückhalts verloren. Weil er auf der zunehmend verzweifelten Suche nach Erfolge einen Weg geht, der die Fans des Teams kaum mehr mitnimmt, weil er in Interviews austeilt, kaum empfänglich für Kritik scheint, bisweilen bockig wirkt. Besonders schlimm: Die Menschen wenden sich eher vom DFB-Team ab, als dass sie in großer Wut den Rücktritt des Bundestrainers fordern.

Der Kredit ist aufgebraucht. Flick und die Mannschaft, die seit Oliver Bierhoffs Abgang nach Katar nicht mehr "Die Mannschaft" heißt, sind in der Bringschuld. Umso ungünstiger wirkt der Termin zur Veröffentlichung der Doku. Die vierteilige Serie vermittelt vor allem eines: den Eindruck, dass Flick die Spieler nicht erreicht hat, dass es ihm nicht gelungen ist, die Emotionen der Spieler zu wecken. Durchaus bezeichnend: Als es im zweiten Gruppenspiel um das Überleben im Turnier ging, ergriff DFB-Neuling und Joker Niclas Füllkrug und riss seine Mannschaft mit einer Gänsehaut (Pardon!)-Rede mit. Es ist der Moment der großen Emotionen, einer der wenigen. So wirkt es.

Ansonsten: ein ewig lockerer Thomas Müller, angespannte DFB-Verantwortliche, die immer wieder am Thema "One Love"-Binde verzweifeln, und ein Joshua Kimmich, der mit den Abwehrhünen Antonio Rüdiger und Niklas Süle aneinandergerät. Süle droht mit dem Finger: "Laber mich nicht voll, ich sag's Dir". Natürliche Prozesse in einer Mannschaft, aber in der Doku eines Scheiterns gewichtiger als sie wohl sein sollten.

"Fuck off, ey!"

Flick wirkt derweil immer kämpferisch, aber auch zunehmend verzweifelt. Der Bundestrainer faltet seine Stars in Pause des Spiels gegen Costa Rica brüllend zusammen: "Die sind blind und ihr macht die stark!" Zuvor fluchte er schon nach dem Auftakt: "Fuck off, ey!" Er kämpft zudem mit Undiszipliniertheiten, mit der Unpünktlichkeit von Spielern bei Sitzungen, er beklagt mangelnden Respekt. Und dringt mit seinen Ideen offenbar nicht durch. In der Nachbesprechung des unerklärlich hergeschenkten Auftaktspiels gegen Japan kritisiert Kimmich den Plan, Flick kontert extrem gereizt: "Spreche ich eine andere Sprache?"

Die Szenen aus den Mannschaftssitzungen festigen das Bild von unterschiedlichen Kommunikationsebenen. In einer der Besprechungen wünscht sich Flick mehr Leidenschaft, er nennt die emotionalen Brasilianer als Vorbild. Doch da ist nichts. Der Bundestrainer bekommt die Leidenschaft weder zu hören noch zu sehen. Er blickt in leere Gesichter, manche sieht er erst nicht, so tief ist das Haupt gesenkt.

Aus dem einstigen Hoffnungsträger Flick ist ein Mann geworden, der nach zwei Jahren im Amt um seinen Job kämpft. Dennoch bemüht er sich unter dem Druck, den er sich mit der Ansage, dass nun alles besser wird, selbst gemacht hat, um das Höchstmaß an Gelassenheit. Mit einem möglichen Rauswurf beschäftigt er sich nicht. "Das wäre kein guter Ratgeber. So kann ich doch nicht in die Spiele gehen", sagte Flick dem RedaktionsNetzwerk Deutschland und erinnerte an die Situation vor knapp 17 Jahren. "Im Jahr der Heim-WM lautete noch im März eine Schlagzeile: Schwarz-rot-goldene Flaschen! Drei Monate später hieß es: Jetzt sind wir alle schwarz-rot-geil!"

"Beim Trainer ein bisschen in der Schuld"

Flick hat nach nur vier Siegen in den vergangenen 16 Länderspielen das Ende aller Experimente ausgerufen, die hatten im Frühjahr und noch mehr im Sommer die ohnehin schon schlechte Stimmung rund um das DFB-Team nochmal nach unten gedrückt. "Die Ergebnisse, die wir erzielt haben, dürfen so nicht passieren", sagte Flick. Es müsse sich vor allem die Art und Weise ändern, wie seine Fußballer auf den Platz gehen: "Wir wollen, dass sie gemeinsam fighten. Auch die Fans wollen sehen, dass die Mannschaft anfängt zu kämpfen und sich wehrt." Es wird ein Spiel um die Gunst der Zuschauer, um die Stimmung im Land, um den Rückhalt für den Bundestrainer.

Aber kaum waren Flick und die Nationalmannschaft wieder in den Fokus gerückt, entbrannten schon wieder Diskussionen. Union-Boss Oliver Ruhnert hatte wiederholt die Umsetzung des Leistungsprinzips bei Flick infrage gestellt, auch, weil er bislang keine Berliner nominiert hatte. Abräumer Rani Khedira und Abwehrspieler Robin Knoche hatte er dem Bundestrainer siedend heiß angeboten. Und nach einer guten Rückrunde und einem sensationellen Start in die neue Saison tauchte auch Kevin Behrens als Lösungsansatz für das Sturmproblem auf. Flick ignorierte das alles (Khedira, der wahrscheinlichste Kandidat, ist indes verletzt) und sorgte für noch mehr Staunen, als er auch seine vermeintlichen Lieblingsschüler Leon Goretzka und Timo Werner missachtete. Werner kriselt im Klub, Goretzka dagegen kam immer besser in Form. Entsprechend traurig war er. Dafür rückte Pascal Groß, im Alter von 32 Jahren, überraschend erstmals ins Aufgebot, außerdem kehrt Thomas Müller zurück.

"Er macht das sensationell, momentan"

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Immerhin in Spielerkreisen scheint der Rückhalt für den Bundestrainer noch gegeben. "In den letzten Monaten hat Hansi Flick viel auf die Schnauze bekommen. Er macht das sensationell, momentan", sagte der Offensivmann von Borussia Dortmund. Er nehme Flick "sehr ruhig wahr. Er ist sehr klar in seinen Ansprachen. Ich glaube, dass er ganz genau weiß, was er möchte, was er verlangt. Das bringt er so rüber", er wisse aber auch: Entscheidend seien die Ergebnisse der Länderspiele. "Danach wird man am Ende bewertet", sagte Brandt. Und was würde dann passieren? Der sich derzeit in Abrisslaune befindliche DFB-Vize und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke sagt: "Man sollte sich im Vorfeld nicht mit Niederlagen beschäftigen, sondern man sollte darauf hoffen, dass man die Spiele gewinnt. Sollten die beiden Spiele schiefgehen, dann sollten sie noch mal fragen, idealerweise aber Bernd Neuendorf als Präsidenten, denn er hat die Hauptverantwortung und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dürfen Sie mich auch noch mal fragen." Die Zeit für ein klares Bekenntnis scheint derzeit nicht gegeben.

"Wir wissen ganz genau, was auf dem Spiel steht. Wir stehen auch beim Trainer ein bisschen in der Schuld, weil wir diejenigen sind, die auf den Platz gehen und die Resultate erzielen müssen", verkündet Union Berlins erster deutscher Nationalspieler Robin Gosens. Folgt die Wiederauferstehung des DFB-Teams nun ausgerechnet am gänsegrauen Mittellandkanal?

Quelle: ntv.de

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