Volldigitalisierter Fußballklub Kreisligist setzt seine Revolution in China fort
13.01.2019, 08:45 Uhr
Der TC Freisenbruch greift nun in China an.
(Foto: TC Freisenbruch; Michael Grafen / Bildfest.de)
Beim TC Freisenbruch haben die Fans das Sagen. Mehr als 600 Manager bestimmen seit 2016 im Internet über Aufstellung, Neueinkäufe und Ticketpreise. Nun geht der Essener Fußball-Kreisligist auch in China in die Offensive. "Warum nicht nach Peking fliegen?"
Der TC Freisenbruch tritt in die Fußstapfen vom FC Bayern, FC Schalke und von Borussia Dortmund: Vertreter des Fußball-Kreisligisten reisen zu Werbezwecken nach China. Der Amateurverein aus Essen ist alles andere als ein gewöhnlicher Klub. Seit 2016 überlässt er Internetnutzern alle wichtigen Entscheidungen. Nun sollen auch in Asien neue Mitstreiter einsteigen - dafür wirbt der Achtligist eigens auf der Sportmesse ISPO in Peking.
Was wie ein Computerspiel anmutet, ist beim TC Freisenbruch real: 600 Manager bestimmen, ob der Klub einen Spieler verkaufen, den Trainer behalten oder die Bierpreise ändern soll. Für einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von fünf Euro kann Jeder - ganz egal, von welchem Ort - beim Verein einsteigen.

Jeder Manager kann beim Essener Amateurverein seine Wunschaufstellung angeben.
(Foto: TC Freisenbruch, Pascal Skawara)
"Die Manager sollen so nah dran sein, als ob sie vor Ort wären", erklärt das für Finanzen und Buchhaltung zuständige Vorstandsmitglied Gerrit Kremer im Gespräch mit n-tv.de. Trainer Peter Schäfer vergibt nach jeder Übungseinheit Noten, zudem haben die Kicker regelmäßige Leistungstests zu absolvieren. Daraus ergeben sich Spielerprofile, ähnlich wie in einem bekannten Videospiel. So ist auch aus der Ferne erkennbar, ob sich jemand durch Schnelligkeit oder Ausdauer auszeichnet. Auf dieser Basis trifft die Online-Community eine Entscheidung über die Aufstellung, nachdem Schäfer zuvor eine Empfehlung ausgesprochen hat. Der Trainer kann sogar einsehen, ob ihm die Manager vertrauen. Aktuell wird er von knapp 97 Prozent der Gemeinschaft auf seinem Posten gehalten.
Der nach eigenen Angaben erste volldigitalisierte Fußballverein Deutschlands ist bestens mit Messen, Sportbünden und Start-ups vernetzt, so dass er sich vor Anfragen kaum retten kann. Für das Angebot aus China war auch die Internetgemeinschaft zu überzeugen. "Wir haben schon viele Dinge erlebt, die für einen Kreisligisten nicht normal sind, also warum nicht auch nach Peking fliegen?", fasst Schäfer gegenüber n-tv.de die Reise vom 16. bis zum 19. Januar zusammen. Gemeinsam mit Schäfer möchten auch Kremer und der für die IT verantwortliche Peter Wingen am Messestand des Vereins mit Interessenten ins Gespräch kommen.
"Chinesen stehen auf Außergewöhnliches"
Der Verein ist in China bereits bekannt: Schon im vergangenen Jahr berichtete die dortige Fußball-App Allfootball über das ungewöhnliche Mitmach-Modell des Vereins. Innerhalb der App gab es nach kurzer Zeit 3.500 Kommentare. "Da haben wir gemerkt, dass die Chinesen auf solche ungewöhnlichen Projekte abfahren", sagt Kremer. Damals erklärte sich ein chinesischer Student mit Wohnsitz in Deutschland bereit, einige seiner Landsleute als Mitglieder zu registrieren. Anders als hierzulande sind in China weder Paypal noch Facebook auf normalem Wege verfügbar.
Auch von sprachlichen Hürden will sich der Verein nicht abhalten lassen. Zwar müssen Fußball-Fans entweder Deutsch oder Englisch beherrschen, um sich auf der Webseite des Amateurvereins zurechtzufinden. Für die Marketingtour hat der Verein aber chinesische Flyer angefertigt. Bei großem Interesse könnten auch Video-Untertitel oder Inhalte speziell für Chinesen hinzukommen.
"Der chinesische Markt ist im Vergleich zum europäischen riesig", sagt Finanz-Chef Kremer. Konkrete Ziele gebe es aber nicht, vielmehr wolle man sich überraschen lassen. Sorgen, dass der Andrang zu groß ausfalle und Manager aus anderen Ländern abgeschreckt werden könnten, macht sich der Essener keine. "Das wären Luxusprobleme, für die wir eine Lösung finden könnten". Und Trainer Schäfer stellt klar: "Jeder Einzelne, der bei uns mitmacht, ist ein Gewinn".

Peter Schäfer erlebt mit dem TC Friesenbruch allerlei aufregende und skurrile Geschichten.
(Foto: TC Freisenbruch, Pascal Skawara)
Beim TC Freisenbruch machen unter anderem Fußballfans aus Österreich, Norwegen und den USA mit. Der Verein habe schon Trikots nach New York oder Schals nach Australien verschickt, verrät Schäfer. Mittlerweile hat der Amateurklub, der im Liga-Alltag gegen Gegner wie Bredeney, Heißen oder Krey antritt, Supporter auf allen Kontinenten. Als nur noch Afrika fehlte, machte Schäfer kurzerhand beim deutschsprachigen Hitradio Namibia Werbung für das Projekt.
Zweite Chance für "mausetoten" Verein
Daran war 2016 nicht zu denken. "Der Verein war mausetot, stand kurz vor der Auflösung", blickt Kremer zurück. Anders als bei einem erfolgreichen höherklassigen Klub war es unter diesen Umständen möglich, eine verrückte Idee in die Tat umzusetzen. Zu dieser Zeit hatte Fortuna Köln bereits ein ähnliches Modell ins Leben gerufen, die Manager allerdings von den wichtigsten Entscheidungen ausgenommen.
Heute blickt der TC Freisenbruch zuversichtlich in die Zukunft. Nicht nur digital ist das Interesse groß, auch zuhause im Ruhrpott kann der Verein auf den Einsatz zahlreicher Freiwilliger zählen. Der Etat hat sich auf fast 60.000 Euro pro Jahr vervierfacht. Die Freisenbrucher belegen den sechsten Tabellenplatz in der Kreisliga A und sind in dieser Spielzeit zu Hause noch ohne Niederlage. Bald will der Verein von Asche auf Kunstrasen umziehen. Kremer betont: "Als Spieler, als Verein, aber auch als Manager will man sich immer weiterentwickeln". Unter den neu geschaffenen Voraussetzungen könnte dem Klub bald der Aufstieg in die Bezirksliga gelingen. Dann hätten auch Fußball-Fans im fast 8.000 Kilometer entfernten China einen Grund zum Jubeln.
Quelle: ntv.de