Zidane verliert die Kontrolle Real Madrid - ein königlicher Chaosklub
17.08.2019, 11:11 Uhr
Der Starflüsterer Zinedine Zidane wirkt derzeit nicht so, als hätte die sportliche Lage bei Real Madrid unter Kontrolle.
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Vor dem Start der neuen Saison der Primera Division blickt Real Madrid in eine überraschend ungewisse Zukunft. Trotz vieler Millionentransfers steht hinter der Leistungsfähigkeit der Mannschaft ein großes Fragezeichen. Zu allem Überfluss sorgt Coach Zidane für Verwirrung.
Real Madrid ist ein Verein der Extreme. Im Frühsommer 2018 gewannen die Königlichen zum dritten Mal in Folge die Champions League. Eine historische Leistung. Nie zuvor war es einem Verein gelungen, den Titel in der Königsklasse des Fußballs überhaupt nur einmal erfolgreich zu verteidigen. Aber es gehört eben auch zu diesem stolzen Klub, dass er, einmal auf dem Höhepunkt angekommen, schnell in sich zusammenfällt und jeden daran erinnert, wie fragil doch das Gebilde Real Madrid ist. Eine zuverlässige Antwort auf den aktuellen Zustand gibt es kurz vor dem Saisonstart nicht. Zum Auftakt geht's an diesem Samstag (ab 17 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) zum Real Club Celta de Vigo.
Im Sommer 2018 verließen Cristiano Ronaldo und Trainer Zinédine Zidane Real - und besiegelten damit das Ende dieser spektakulären Ära. Ronaldo war über viele Jahre das prägende Gesicht der Mannschaft. Ohne den portugiesischen Starstürmer und ohne Pokalsammler Zidane stand Madrid plötzlich vor einem ungewollten Neuanfang, der in den vergangenen zwölf Monaten gehörig in die Hose ging. Er ging derart in die Hose, dass nun Zidane wieder an der Seitenlinie steht.

Über James Rodriguez sagt Real-Coach Zinedine Zidane: "Ich weiß nicht, ob James nächste Saison in Madrid sein wird. Das interessiert mich im Moment nicht."
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Doch nun scheint nicht einmal der 47-jährige Franzose noch Kontrolle über die Situation zu haben. Galt er während seiner erfolgreichen Amtszeit zwischen 2016 und 2018 als Starflüsterer, der vielleicht nicht immer die besten taktischen Ideen hatte, aber dafür die Mannschaft hinter sich vereinen konnte, so scheint Zidane nun nach und nach diesen Rückhalt zu verlieren. Extrem harsch ging er zuletzt mit verdienten Spielern wie Gareth Bale oder auch einstigen Millionentransfers wie James Rodríguez um.
Zidane interessiert sich nicht für James
James kommt gerade erst von einer zweijährigen Leihe bei Bayern München. Obwohl er die Erwartungen von einst, als er für 75 Millionen Euro von der AS Monaco nach Madrid wechselte, nie vollends erfüllen konnte, so ist der Kolumbianer immer noch ein hochklassiger Offensivspieler. Zidane interessiert das aber nicht. Als Real beim Audi Cup in München zu Gast war und er nach der Zukunft von James gefragt wurde, antwortete Zidane abweisend: "Ich weiß nicht, ob James nächste Saison in Madrid sein wird. Das interessiert mich im Moment nicht. Ich bin hier mit meinen Spielern und denke in der Gegenwart."
Es schien lange so, als würde diese Gegenwart ohne Bale stattfinden. Zur Erinnerung: Der Waliser bildete zusammen mit Ronaldo für fünf Jahre die gefürchtete Flügelzange um den französischen Mittelstürmer Karim Benzema. Im Champions-League-Finale gegen Liverpool 2018 war Bale sogar der spielentscheidende Akteur. Zwei Tore erzielte er. Beim zweiten Treffer half Reds-Keeper Loris Karius mit einem schweren Patzer allerdings tüchtig mit. Trotz häufiger Verletzungen gehört er immer noch zur ersten Güteklasse im europäischen Fußball. Aber Zidane hatte das Kapitel Bale bereits eigentlich geschlossen.
Seine deutlichen Äußerungen über den Waliser ("Es ist gut für alle, wenn er geht.") erwiesen sich jedoch als Bumerang, weil sich für Bale und dessen hohe Gehaltsforderungen in Verbindung mit einer saftigen Ablösesumme kein Abnehmer finden lässt. Jeder kritische Beobachter stellte sich die Frage: Warum kann Bale nicht einfach weiterhin Teil des Starensembles sein?
Pünktlich zum Liga-Start musste sich aber nicht etwa Bale sondern Zidane beugen und eine Kehrtwende vollziehen. Und so ist Bale überraschend wieder Teil der Planungen von Zidane. Der Coach versuchte sich auf der Pressekonferenz vorm Duell mit Celta de Vigo an einer halbgaren Erklärkung. "Dinge ändern sich, und jetzt werde ich auf ihn zählen wie auf jeden anderen Spieler." Eine ähnliche Kehrtwende vollzog er auch im Fall von James, den er nun auch wieder im Kreise der erweiterten Startelf begrüßte.
Keine gute Phase für Reals Talente
Unabhängig von Bale und James sah Real im Sommer Nachholbedarf auf dem Transfermarkt. Der Klub holte Eden Hazard und besserte ein Jahr nach dem Abgang von Ronaldo die Offensive mit einem neuen Weltstar auf. Trotzdem leidet die Qualität des Kaders am Alterungsprozess der vielen langjährigen Leistungsträger. Toni Kroos und Luka Modrić, das einstige Traumduo im Mittelfeld, ist nicht mehr unumstritten. Viele Talente haben den großen Durchbruch noch nicht geschafft (Sergio Reguilón, Dani Ceballos), haben sich schwer verletzt (Marco Asensio) oder bereits ihre Koffer gepackt (Marcos Llorente, Theo Hernández).
Auf der anderen Seite haben die "Königlichen" auch in diesem Sommer wieder mächtig investiert. Neben 100-Millionen-Mann Hazard kamen Luka Jović für 60, Éder Militão für 50, Ferland Mendy für 48 und Rodrygo für 45 Millionen Euro in die spanische Hauptstadt. Die Erwartungshaltung ist sowieso immer unermesslich hoch. Mit einer derartigen Transferpolitik wird sie gewiss nicht sinken.
Nur wirkt Real in diesen Tagen viel chaotischer als die direkte Konkurrenz in Spanien - namentlich der FC Barcelona und Stadtrivale Atlético. Dort wird auch mit großen Summen gehandelt, aber es ist zumindest ein Konzept erkennbar. Bei Real hingegen scheint Zidane nicht mehr Herr der Lage, und es gibt derart viele Nebenkriegsschauplätze, dass es schwerfällt, überhaupt auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Geistesblitze - und sonst so?
Und all das schlägt sich auch sportlich nieder. In den meisten Testspielen in diesem Sommer war Real defensiv anfällig und in der Offensive abhängig von Geistesblitzen der Starspieler. Vorm Saisonstart ist noch nicht klar, ob Zidane lieber eine angriffslustigere Formation mit Isco auf der Zehnerposition oder eine konservativere Variante mit Casemiro auf der Sechserposition bevorzugt. Das ist eine Schlüsselfrage für ein funktionierendes Spielsystem.
Ebenso steht zumindest im 4-3-3 die Besetzung der Sturmreihe noch nicht fest. Hazard auf links sowie im Benzema im Zentrum scheinen gesetzt. Allerdings fällt der neue belgische Superstar in den kommenden Wochen aus. Wie die Königlichen am Freitag erklärten, ist er am linken Oberschenkel verletzt. Sein Ersatz? Noch nicht benannt. Aber auch auf der rechten Seite herrscht durch die Degradierung von Bale und die Verletzung von Asensio Unklarheit, wer spielt. Neuzugang Rodrygo ist momentan nicht fit. Im alternativen 3-5-1-1 hingegen stellt sich diese Frage nicht. In diesem System führt eigentlich an Hazard als Zehner und Benzema als Mittelstürmer kein Weg vorbei.
Zidane hat eine große Auswahl an hochbezahlten Spielern, aber das gesamte spielerische Konstrukt wirkt weiterhin unausgegoren. Deshalb testete der Cheftrainer auch in den letzten Freundschaftsspielen vorm Saisonstart die angesprochene 3-5-1-1-Formation - ein System mit einer Dreier- statt einer Viererkette als Abwehr. Dass nicht einmal eine solche fundamentale taktische Frage zum jetzigen Zeitpunkt geklärt ist, verdeutlicht nochmals, wie auch Zidane sich seiner Sache alles andere als sicher scheint. Am Ende reflektiert das Spiel auf dem Rasen auch nur das Chaos im gesamten Verein.
Quelle: ntv.de