Fußball

WM-Countdown (35) Russland-Tipps abseits des Fußball-Trubels

Ein seltsamer Ort bei Sotschi: Stalin ließ seine Datscha grün anmalen, damit sie im Wald schwerer zu finden ist.

Ein seltsamer Ort bei Sotschi: Stalin ließ seine Datscha grün anmalen, damit sie im Wald schwerer zu finden ist.

(Foto: Katrin Scheib)

Wer als deutscher Fan zur Fußball-WM reist, der hat wahrscheinlich Moskau, Sotschi oder Kasan als Ziel. Doch was kann man dort tun, wenn die DFB-Elf gerade nicht spielt? Drei Tipps abseits der naheliegenden Sehenswürdigkeiten.

Der Rote Platz in Moskau, der Strand in Sotschi, die Kul-Scharif-Moschee in Kasan - geschenkt, alles. Steht in jedem Reiseführer auf den ersten paar Seiten. Wer zu einem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in eine dieser drei WM-Gastgeberstädte reist, der findet die offensichtlichen Sehenswürdigkeiten leicht. Stattdessen will ich heute drei eher abseitige Ausflüge empfehlen, einen für jeden deutschen Vorrunden-Spielort. Denn wer riskiert, nicht nur dahin zu gehen, wo auch alle anderen Touristen hinrennen, erlebt mehr und lernt Russland vielleicht ein bisschen besser kennen.

Unsere Kolumnistin

Katrin Scheib ist Journalistin, Schalke-Fan und kommt aus dem Rheinland. Als die deutsche Mannschaft 2014 in Brasilien Fußball-Weltmeister wurde, war sie gerade nach Moskau gezogen. Seitdem bloggt sie unter kscheib.de über ihren Alltag und informiert mit ihrem "Russball"-Newsletter jede Woche über den Fußball und die WM-Vorbereitungen in Russland. Und nun schreibt sie für n-tv.de den Countdown, bis das Turnier am 14. Juni beginnt.

Kasan: Eine Universität mit Geschichte

Lenin-Denkmäler gibt es in Russland immer noch überall, und sie sehen immer gleich aus: Ein Gesicht mit Beinaheglatze und Spitzbart, ein Körper im Anzug oder langen Mantel, dazu gerne eine visionäre Geste, die den Weg in eine bessere, kommunistische Zukunft weist. Nur in Kasan sieht Lenin anders aus: Volles, helles Haar, im Gesicht noch ein bisschen Babyspeck, lässig gekleidet, ein Buch in der Hand. In einer Boygroup wäre er derjenige, für den sich die Zwölf- und Dreizehnjährigen begeistern: minimales Testosteron, maximaler Junge-von-nebenan-Look. Nebenan ist in diesem Fall die Universität von Kasan, vor der das Denkmal steht. Jung-Lenin hat hier studiert oder zumindest mal damit angefangen - schon im ersten Semester flog er von der Uni, weil er sich an Protesten beteiligt hatte. Einen der Räume, in denen er damals lernte, kann man dafür bis heute besichtigen, in der ursprünglichen, recht spartanischen Verfassung.

In Kasan sieht Lenin anders aus.

In Kasan sieht Lenin anders aus.

(Foto: Wikicommons)

Das ganze Museum der Universität ist den Besuch wert, denn nicht nur Lenin, auch Tolstoi hat hier studiert - wenn er sich nicht gerade auf Bällen und anderen Feiern rumtrieb. So erfährt man hier, dass "Karzer" auf Russisch ebenfalls "Karzer" heißt - und Tolstoi darin so manche Stunde verbracht hat. Interessant sind auch die Informationen dazu, wie der Zweite Weltkrieg Kasans Uni beeinflusste: Viele renommierte Wissenschaftler, ja ganze Institute wurden aus westlicher liegenden Städten der Sowjetunion hierher verlegt, um sie vor den vorrückenden deutschen Truppen in Sicherheit zu bringen.

Moskau: Schwimmen in der Moskwa

Möchte man das? In diesen großen Fluss steigen, auf dem in der Stadt spezielle Müllaufsammelschiffe rumtuckern, um das rauszufischen, was die Moskauer so reinwerfen? Man möchte tatsächlich, mit einer schlichten Strategie: Fahr dort hin, wo die Moskwa verläuft, ehe sie ihren Weg durch Moskau nimmt! Das ist in diesem Fall ein Stück westlich aus der Stadt raus, die Gegend heißt Serebrjanni Bor, Silberwäldchen. Man fährt mit der violetten Metrolinie bis zur Haltestelle Poleschajewskaja und von da weiter mit dem Bus oder, ganz schlicht, per Taxi - das ist in Russland ja preiswert. "Pljasch tri", Strand drei ist ein guter Anhaltspunkt, der Fahrer weiß dann schon den Rest, außerdem werden garantiert genug Moskauer in dieselbe Richtung unterwegs sein.

Das Silberwäldchen.

Das Silberwäldchen.

(Foto: Katrin Scheib)

Denn hier fühlt sich die laute, volle Metropole an wie jeder beliebige Baggersee: eine Wiese mit Bäumen, ein Volleyballfeld, ein Kinderspielplatz, ein paar Klohäuschen. Ein Schotterweg führt zu einer Imbissbude mit allerlei Gegrilltem, und an all dem entlang zieht sich die Moskwa - träge, blau und kühl. Wo die Wiese endet ist kurz ein bisschen festgetretene Erde, und dann steht man bereits mit den Füßen im Wasser und kann losschwimmen, zwischen Seerosen hindurch Richtung Flussmitte. Ein Band sorgt dafür, dass sich Schwimmer und Ausflugsbötchen nicht in die Quere kommen. Großeltern feuern die Tauchversuche ihrer Enkel an, Paare verschwinden hinter der nächsten Flußbiegung. Es ist komplett unspektakulär und, im Vergleich zum brütend heißen Moskauer Stadtsommer, der perfekte Kontrast. Zuhause kann man dann beiläufig Sätze beginnen mit "Also, als ich damals in der Moskwa geschwommen bin …"

Sotschi: Ein Diktator in der Sommerfrische

Auch für diesen Ausflug braucht man ein Taxi, kein Bus fährt zu diesem Haus in den Bergen nahe der Stadt. Dass das ganze Anwesen eher versteckt liegt, gibt schon einen ersten Hinweis, wer hier den Sommer genoss: Stalin, der Sowjet-Diktator, führte auf dieser Datscha ein Leben zwischen Meerblick und Verfolgungswahn. Einerseits dieser Innenhof, in dem man auch bei der größten Hitze lauschig unter Palmen sitzen und trägen Katzen beim Sonnen zuschauen kann. Das Billiardzimmer mit seinen prächtigen Tapeten, das Schwimmbad mit seinen Pfauenmosaiken, das großzügig geschnittene Esszimmer, von dessen Terrasse man aufs Schwarze Meer blickt, während einem ein lauer Wind um die Nase weht. Einerseits.

Andererseits die Erinnerungen an Stalin, unter dem rund 18 Millionen Russen im Gulag litten und mehr als zwei Millionen dort umkamen, ausgehungert, schikaniert und durch Zwangsarbeit geschunden. Der Diktator lebte in der Angst, ihm könne jemand nach dem Leben trachten und ließ sein Sommeranwesen in Sotschi darum komplett grün anstreichen, damit es im Wald nicht so leicht zu finden ist. Das monströse Ledersofa, das noch heute im Arbeitszimmer steht, ist kugelsicher, damit Stalin sich bei einem Attentat dahinter verstecken konnte. Mit kritischer Distanz zum früheren Bewohner dieser Datscha haben es die heutigen Mitarbeiter (wie die russische Bevölkerung im Allgemeinen) nicht so - im Raum, wo man die Eintrittskarten kauft, hängt auch heute noch ein Stalin-Heldenkalender. Ein seltsamer Ort, hier oben über der Stadt. Aber ein sehenswerter.

Alle Folgen des WM-Countdowns finden Sie hier

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen