Fußball

Schalke verpatzt Zweitligastart Terodde schlägt ein - schiebt trotzdem Frust

Terodde: Ein alter Bekannter im neuen Trikot.

Terodde: Ein alter Bekannter im neuen Trikot.

(Foto: REUTERS)

Der großen Euphorie folgt die große Enttäuschung. Knapp 20.000 Schalker Fans erleben mit, wie der Absteiger aus Gelsenkirchen trotz früher Führung zum Saisonauftakt am Ende dem HSV unterliegt. Erneut ist Frustbewältigung angesagt. Die Wende zum Besseren bleibt auch in der 2. Liga aus.

Natürlich war das eine maßlose Übertreibung, als sich Dirk Oberschulte-Beckmann kurz vor Spielbeginn an die Fans in der Schalke Arena wandte und sagte: "Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr." So laut war es wahrlich nicht, aber beim hauptamtlichen Stadionsprecher überwogen die Emotionen, weil er nach 16 Monaten endlich wieder blau-weiße Anhänger begrüßen konnte. 19.770 Zuschauer durften zum Auftakt der neuen Spielzeit gegen den Hamburger SV in die Arena, damit würde so manch anderes Zweitligastadion ein "Ausverkauft!" vermelden.

Schalke 04 - Hamburger SV 1:3 (1:0)

Schalke: Langer - Flick (56. Timo Becker), Thiaw, Kaminski - Ranftl, Palsson, Latza (32. Idrizi), Ouwejan - Drexler (73. Krasniqi) - Terodde, Bülter. - Trainer: Grammozis

Hamburg: Heuer Fernandes - Gyamerah, David, Schonlau, Leibold - Meffert - Kinsombi (71. Rohr), Reis (67. Heyer) - Wintzheimer (78. Kittel) - Glatzel (78. Mikkel Kaufmann), Jatta. - Trainer: Walter

Schiedsrichter: Timo Gerach (Landau)

Tore: 1:0 Terodde (7.), 1:1 Glatzel (53.), 1:2 Heyer (86.), 1:3 Jatta (90.)

Und da Gästefans coronabedingt konsequent ausgeschlossen worden waren, störte vor Spielbeginn niemand diese bewegenden Momente, als die Besucher lauthals das Vereinslied dröhnten. "Mit Fans", da war sich Trainer Dimitrios Grammotzis schon im Vorfeld der Begegnung sicher, "wäre Schalke gar nicht erst abgestiegen."

Ganz kurz hätte man tatsächlich vergessen können, dass unten auf dem grünen Rechteck nicht der Start in die neue Erstligasaison über die Bühne ging. 30 Jahre nach dem letzten Abstieg mussten die Schalker Knappen mal wieder in einem Zweitligaspiel ran. Beim Schlusspfiff ging es für Schalke so weiter, wie es in der Erstligasaison geendet hatte. Mit 1:3 (1:0) unterlagen sie gegen eine deutlich effektivere Gästemannschaft vom HSV, die in der zweiten Hälfte nicht nur die bessere war, sondern den Dreier auch mehr wollte als die Hausherren. Die Stimmung war naturgemäß nach den 90 intensiven Minuten eine völlig andere als vor Spielbeginn. "Wir haben alles gegeben", so der Torschütze Simon Terodde, der im ersten Spiel mit seinem neuen Arbeitgeber gleich gegen seinen Ex-Klub traf. "Aber am Ende stehst du halt blöd mit leeren Händen dar."

"Da entscheidet nicht der erste Spieltag"

Das Engagement war anfangs groß bei den neu formierten Gelsenkirchenern. Es schien, als hätte sich das Team die Worte von Sportvorstand Peter Knäbel zu Herzen genommen, der noch vor dem Spiel gefordert hatte, "eine Leistung zu zeigen, mit der sich die Fans identifizieren können." Nach fünf Minuten hatte Terodde eine erste Chance, nach sieben Minuten traf der 33-Jährige zum 1:0, nachdem Dominick Drexler den Ball im Mittelfeld erobert hatte und Marius Bülter seinen Sturmkollegen auf die Reise geschickt hatte.

Jatta macht für den HSV alles klar.

Jatta macht für den HSV alles klar.

(Foto: REUTERS)

Terodde, der in den vergangenen vier Zweitligajahren nie weniger als 24 Treffer erzielte, wurde seinem Ruf als Torjäger früh gerecht. Dafür haben sie ihn auf Schalke verpflichtet. Und als Torhüter Michael Langer einen von Florian Flick an David Kinsombi verschuldeten und von Robert Glatzel getretenen Foulelfmeter entschärfen konnte (30.), roch es nach einem erfolgreichen Saisonauftakt, zumal die Gastgeber den hauchdünnen Vorsprung in die Pause retteten.

Teil zwei der gestrigen Aufführung aber misslang aus Sicht der Hausherren dann aber völlig. Drei Treffer von Robert Glatzel, der seinen Elfmeter-Fehlschuss korrigierte (53.), Moritz Heyer (86.) und Bakery Jatta (90.) besiegelten das Schicksal der Blau-Weißen zwar erst in der Schlussphase, aber eben auch klar. Die umfangreichen Aufräumarbeiten haben zumindest für den Anfang keine Wirkung gezeigt. Die Niederlage gegen den HSV in der sogenannten besten zweiten Liga aller Zeiten war Beleg dafür, dass der Schalker Weg zurück in Liga eins lang, hart und steinig werden wird. "Wir sind sehr enttäuscht, dass wir das Spiel spät aus der Hand geben", sagte Neuzugang Drexler, der erst seit wenigen Tagen bei der Mannschaft ist, nach dem ersten Zweitligaspiel der Königsblauen seit 30 Jahren. "Dass wir ein Spiel verloren haben, ist scheiße, das muss man einfach so sagen. Trotzdem weiß ich, was man für einen langen Atem braucht, da entscheidet nicht der erste Spieltag."

Fans machen Mut

Das Kollektiv, in dem außer Malik Thiaw, Florian Flick und Torhüter Michael Langer kein der Spieler der Startelf stand, der in der vergangenen Saison beim S04 einen Vertrag hatte, braucht offensichtlich einen sehr langen Atem. Der Umbruch, den die Verantwortlichen des Vereins dem Kicker-Ensemble verordneten, war alles andere als minimalinvasiv. Bislang verpflichtete der Gelsenkirchener Zweitligist elf neue Spieler, fast eineinhalb Dutzend mussten den Verein verlassen. Da ist Zeit ein extrem wichtiger Faktor. Das wussten an diesem enttäuschenden Abend auch die Anhänger des Gelsenkirchener Traditionsvereins, die nach Spielende die Vorstellung kurz mit Pfiffen quittierten, danach aber trotzig reagierten und ihrer Mannschaft Mut machten. Fast so, als habe es jene schlimmen 18 Monate, die die blau-weiße Fußballwelt völlig auf den Kopf stellten, nicht gegeben, als aus einem Champions League-Teilnehmer ein Absteiger wurde und der Klub am Abgrund angekommen war: Schulden, lustlose Profis und Fans, die Hetzjagden an der Arena veranstalteten und ihre Spieler verprügeln wollten.

Die Fans sind zurück.

Die Fans sind zurück.

(Foto: imago images/RHR-Foto)

Die unbeugsamen Zuschauer wollten die noch vor Anpfiff zart keimende Aufbruchstimmung trotz der Auftaktniederlage konservieren. Die kommende Woche vor dem Gastspiel bei Holstein Kiel muss nun zeigen, wie Trainer Grammozis diesen Fehlstart wird moderieren können. Das Selbstvertrauen, das sich die Schalker in einer guten Vorbereitung geholt hatten, wurde am Freitagabend von einem bissigen Gast jedenfalls erst einmal pulverisiert. Noch unter der Woche hatte der Coach um jeden Preis das A-Wort vermieden, nach diesem ersten missratenen Auftritt sollte jedem klar sein, wie weit weg die Rückkehr ins Oberhaus tatsächlich ist. "Die zweite Liga ist intensiv, ist brutal, die Spiele stehen auf Messers Schneide", sagte Grammozis nach Spielende. "Hier wird kein Spiel ein Selbstläufer."

"So viele Torchancen hätten reichen müssen"

Aufrichten kann sich das blau-weiße Kicker-Ensemble immerhin daran, dass trotz der hanseatischen Euphoriebremse die Königsblauen auch viele gute Ansätze zeigten. Bis zur 65. Minute erarbeiteten sich die Schalker nämlich gleich mehrere gute Einschussgelegenheiten, die beiden besten davon vergaben Thomas Ouwejan (55.) und Terodde (61.), die Schalke nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich wieder hätten in Führung bringen können. Das machte Mut, und das sah auch Chef-Übungsleiter Grammozis nicht anders. "So viele Torchancen hätten reichen müssen, um mindestens einen Punkt aus diesem Spiel mitzunehmen."

War aber nicht so. Jetzt hofft er darauf, dass Spieler, die in Wartestellung stehen, die Qualität des Teams weiter aufwerten können. Der Belgier Dries Wouters zum Beispiel, der im defensiven Mittelfeld flexibel einsetzbar ist. Oder auch Salif Sané, der künftig den Abwehrchef geben soll. Beide ringen aber noch um Anschluss an Form und Kondition. Keeper Ralf Fährmann wird nach seiner Covid-Erkrankung hoffentlich ebenso rasch wieder zurückkehren wie Danny Latza, der gestern Abend nach nur 30 Minuten verletzt vom Platz musste. Auch hofft man am Schalker Markt noch auf weiteres Geld, um auf dem Transfermarkt noch einmal aktiv zu werden. Große Wechselkandidaten wie Ozan Kabak, Amine Harit, Omar Mascarell, Mathew Hoppe und Matija Nastasic stehen noch im Schaufenster des Revierklubs. Vor allem Kabak und Harit sollen die klammen Kassen der Knappen durch zweistellige Millionen-Ablösen füllen. Bleibt zu hoffen, dass all diese Hochkaräter am Ende nicht zu Ladenhütern werden. Das käme den Gelsenkirchenern teuer zu stehen.

Quelle: ntv.de

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