Mit gieriger Demut zum MLS-TitelThomas Müller pfeffert seinem Team "nackte Wahrheiten" um die Ohren

Spätestens seit den leeren Stadien während der Corona-Pandemie weiß man in Deutschland, wie viel Thomas Müller in einer Partie spricht und kommandiert - das merken nun auch die Kollegen in Kanada. Müller macht das nicht ohne Grund.
Vancouver oder München? Das ist Thomas Müller doch egal. Er will immer Trophäen gewinnen. Das steckt in seiner DNA. Für diesen Erfolg sendet der mittlerweile 36-Jährige unmissverständliche Botschaften. Sie müssen nicht allen gefallen. Müller dreht auf, weil er weiß, was wann verlangt wird, um in den entscheidenden Momenten besser zu sein. Das ist der Antrieb von dem wohl lautesten Sender auf einem Fußballplatz. Das ist der Motor von Radio Müller. Die Kalauer danach gehören nicht zum Hauptprogramm. Das ändert sich nicht.
Schon gar nicht in der entscheidenden Phase der MLS-Saison mit den nun anstehenden entscheidenden Playoff-Spielen, die am kommenden Samstag mit einem Heimspiel seiner Vancouver Whitecaps gegen Los Angeles FC beginnen. "Die Mannschaft bekommt von mir mehr nackte Wahrheit zwischen den Zeilen geliefert, als sie es bisher gewohnt waren und ihnen manchmal lieb ist", sagte der ehemalige Nationalspieler dem "Kicker": "Die Jungs sind hier supernett zueinander, auf dem Platz nach meinem Geschmack manchmal zu nett." Da müsse doch eine "Winning Culture" her.
Wer, wenn nicht der Weltmeister, zweimalige Champions-League-Sieger, 13-fache Deutsche Meister und sechsfache DFB-Pokal-Sieger, könnte die mit Autorität vermitteln? Wenn Müller sendet, lohnt es sich für die Mannschaft von Trainer Jesper Sörensen zuzuhören. Da kennt einer den Schlüssel zu den für Vancouver bislang verborgenen Schätzen.
Bayern-Quote längst pulverisiert
Müller hatte sich Vancouver im August, etwas über einen Monat nach dem Ende seiner Vertragslaufzeit in München, angeschlossen und war sofort eingeschlagen. Mit neun Toren und vier Assists in zehn Pflichtspielen war er sofort einer der Schlüsselspieler der Offensive. Seine Werte waren zurück auf dem Niveau alter Tage.
Noch in seinem letzten Jahr beim FC Bayern hatte er die harte Realität eines älteren Spielers kennengelernt. Seine Spielzeit verringerte sich signifikant. Oft kam er von der Bank. In immer noch 49 Pflichtspielen kam er so noch acht Tore und acht Assists und mit niedrig gesteckten Zielen nach Kanada.
"Ich hatte, was die Tore betrifft, nicht so hohe Erwartungen. Diese habe ich auf jeden Fall übertroffen", sagte er. "Natürlich freue ich mich über die Tore, aber hauptsächlich freue ich mich über die Mannschaftserfolge." Und wohl auch darüber, dass ihm die Umstellung auf die neue Liga so gut gelungen ist und er auch in Kanada den "Nervenkitzel" spürt. "Ich wusste ja nicht, wie ich mich in der MLS und bei den Whitecaps adaptieren kann. Folgerichtig kann ich sagen, dass ich hier sehr zufrieden bin und es mir viel Spaß macht", sagte er.
Müller fordert: "Gierige Demut"
Den Whitecaps fehlen noch drei Siege zum ersten MLS-Titel überhaupt. Ein langer Weg, auf dem bereits an diesem Wochenende mit dem ehemaligen Bundesliga-Spieler Heung-Min Son und LAFC ein riesiger Brocken auf den Klub wartet. Insgesamt stehen noch drei Siege in den Playoffs zwischen Müller und seinem ersten Klub-Titel außerhalb des FC Bayern.
"Für mich gilt: Ich versuche weniger, auf den Titel zu spechten, sondern in den nächsten drei Wochen mitzuhelfen, dass das Team die Leistung auf den Platz bringt, zu der es imstande ist", sagte er und verriet das Titel-Geheimnis: "Wir haben nicht so viele Spieler, die schon mal um einen Championship-Titel gespielt haben. Da ist eine extrem gierige Demut gefragt."
Helfen dürfte Müller dabei die langsam aufkommende Begeisterung an der kanadischen Pazifikküste. "Gegen Los Angeles wird das Stadion mit 55.000 Zuschauern ausverkauft sein. Seit einigen Tagen gibt's keine Karten mehr, das muss man im Eishockeyland Kanada erst mal schaffen", sagte er. "Auf jeden Fall merkt man das gestiegene Interesse und die Begeisterung bei den Menschen in Vancouver. Das war ja auch zum Teil die Idee bei meinem Wechsel hierher."
Ein Wechsel, den Müller nicht bereut. Einer, der ihm etwas mehr Anonymität zusichert als in Deutschland. "Es ist deutlicher entspannter", sagte er über seine Bewegungen in der Stadt. Es sei nicht so, dass er nicht erkannt werde, aber eben auch nicht ständig. Vielleicht auch deswegen wird seine Zeit in Vancouver nicht sofort wieder enden. "Ja - volle Attacke", sagte er auf eine mögliche zweite Saison angesprochen.
Vancouver oder München? Das ist Thomas Müller doch egal. Er will immer Fußball spielen. Und gewinnen. Das passiert ohnehin fast immer. Denn wo Thomas Müller ist, da ist oben und da ist es auch immer etwas lauter.