Südkoreas Shorttrack-Showdown Die nationale Katastrophe kommt in Kurve 21

Anderswo ein Sturz - bei Olympia dein Drama - in Südkorea eine nationale Katastrophe: Hyojun Lim scheitert im Finale.

Anderswo ein Sturz - bei Olympia dein Drama - in Südkorea eine nationale Katastrophe: Hyojun Lim scheitert im Finale.

(Foto: dpa)

Sieben Shorttrack-Entscheidungen, sechs Medaillen für Südkorea. Der Gastgeber der Olympischen Spiele dominiert die kurvigen Eiswettbewerbe. Doch im letzten Rennen schockt Olympiasieger Hyojun Lim das ganze Land.

Shorttrack - das ist südkoreanischer Nationalstolz auf Eis. Die höfliche, wenn auch nur sporadische Unterstützung von Sportlern mit eigenartiger Profession - Gewehr auf dem Rücken oder auf einem V mit überhöhter Geschwindigkeit ins Tal segeln - weicht in der Gangneung Ice Arena dem maximalen Patriotismus. Jeder Landesvertreter wird mit größtmöglicher Leidenschaft gefeiert - für ein schönes Manöver, für eine Medaille, für den Olympiasieg. Aber es wird auch gelitten, wenn einer von ihnen ausrutscht, in die Bande knallt oder einfach nur überholt wird.

Shorttrack, dieses hektische Kurvenspektakel auf Kufen, entlockt den sehr freundlichen Südkoreanern das ganze Spektrum menschlicher Emotionen. Beim Shorttrack, da sind sie kollektiv fachkundig, anders als beim Eishockey, wo sie sich eher in der Wissenschaft des Zonenjubels üben. Das geht sogar so weit, dass ein paar völlig Bescheuerte der Kanadierin Kim Boutin über Twitter und Instagram Morddrohungen aussprachen, nachdem sie über 500 Meter Bronze gewonnen hatte - nach der Disqualifikation der Südkoreanerin Choi Min-jeong. Gleichzeitig haben 500.000 Südkoreaner eine Petition unterschrieben, mit der zwei Läuferinnen wegen Mobbings einer Kollegin aus dem eigenen Nationalteam verbannt werden sollen. Shorttrack, das ist Südkoreas heilige Eiskuh.

Attacke der Chinesen

Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung beim finalen Shorttrack-Wettkampf der Spiele. It's Showtime, ein letztes Mal. In der 5000-Meter-Staffel der Männer, vier Teams mit je vier wilden Eispiloten, wird das letzte Gold in der Arena vergeben. Wieder sind 12.000 Menschen gekommen. Die Halle ist brechend voll, ein "High-Demand-Event", die Stimmung gigantisch. Eine höchst fachkundige Party mit Billo-Techno, Cheerleadern, tanzenden Maskottchen und AC/DC's "Thunderstruck". 21.02 Uhr Ortszeit, die Finalisten werden vorgestellt. Zuerst der Gastgeber, wildes Geschrei. Dann Ungarn, höflicher Beifall. China - gellende Pfiffe. Kanada - wieder nüchterner Beifall. Aufstellung, Stille.

Shorttrack versetzt Südkorea in nationale Ekstase.

Shorttrack versetzt Südkorea in nationale Ekstase.

(Foto: dpa)

Warum diesen schnellen, hektischen Runden mit der Crash-Garantie in Südkorea so ungemein populär ist, darüber gibt es verschiedene Theorien. Die wahrscheinlichste: der Erfolg. So wie in Deutschland beim Fußball. Oder in Kanada beim Eishockey. Stars schaffen Nachwuchs. Ein simples Erklärungsmodell. 1982 wurde Shorttrack von einer japanischen Universitätsmannschaft importiert und löste einen flächendeckenden Hype mit Sportförderung auf höchster Ebene aus, an Universitäten, gar in Schulen. Ein sportbegeisterter Jugendlicher kommt in Südkorea nicht an Shorttrack vorbei. Und die Shorttrack-Welt nicht an Südkorea: Sechs Medaillen in acht Wettbewerben - dreimal Gold, einmal Silber, zweimal Bronze - haben sie beim Heimspiel gewonnen, Platz eins in der Disziplinenwertung. Zu den 64 südkoreanischen Medaillen bei allen Winterspielen steuerten die Kufencracks 49 bei - 76,56 Prozent.

21.03 Uhr, der Startschuss. Und sofort das  erste Gerangel in diesem Eis-Gewitter. In der zweiten Kurve, nach drei Fahrsekunden berühren sich Korea und Ungarn heftig. Beide Läufer bleiben aber gerade noch so stehen. Der koreanische Starter Yira Seo übernimmt die Spitze, ein Lautstärke-Wahnsinn bricht los.

45 Umläufe sind zu absolvieren, in diesem ständigen Mix aus beschleunigenden Schritten auf der Geraden und tief gebeugten Schwungradien in den vier Kurven des 111,12 Meter langen Ovals. In der achten Runden attackieren die Chinesen. Erfolgreich schlüpfen sie nach einem Wechsel auf der Innenbahn durch. Gewechselt wird übrigens fliegend, alle zwei Runden.

Nur noch um die Ehre

Nicht mal eine halbe Minute später ist das wütende Kollektiv auf den Tribünen wieder besänftigt. Korea liegt erneut vorn. Das Tempo ist hoch, hektisch ist aber (noch) nicht. Und trotzdem passiert 1500-Olympiasieger Lim Hyo-jun plötzlich ein ganz dummer Fehler. Kurz nach einem Wechsel rutscht er aus, kracht in die Bande, in Runde 21. Eine nationale Katastrophe. Ein lautes, wuchtiges Stöhnen. Die Medaille? Sie ist weg. Es geht nur noch um die Ehre. Gold holt Ungarn, ein historischer Moment. Es ist der erste Olympiasieg des Landes bei Winterspielen, erwärmen kann sich das Publikum dafür nur bedingt. Höflicher Applaus - und dann die schnelle Flucht aus der Halle.

Das Staffel-Debakel ist die finale Ernüchterung an einem Abend, an dem die südkoreanischen Fans bereits zwei nationale Erschütterungen zu verkraften gehabt hatten: Über 1000 Meter stürzten die beiden Favoritinnen Choi Min Jeong und Shim Suk Hee. Shim, die aus Gangneung kommt, wurde sogar noch wegen Behinderung ihrer Teamgefährtin disqualifiziert. Der Olympiasieg ging an Suzanne Schulting, die damit das erste Shorttrack-Gold für die Niederlande holte. Die Sportart ist seit Albertville 1992 offiziell dabei.

Die noch größere Ohrfeige (헤로인) gab's über 500 Meter: Der Chinese Dajing Wu setzte sich vor den Südkoreanern Hwang Dae Heon und Lim Hyo-jun durch. In 39,584 Sekunden stellte der neue Olympiasieger im Finale auch noch einen Weltrekord auf, nachdem er zuvor schon im Viertelfinale die Bestmarke auf 39,800 Sekunden gedrückt hatte.

Und dann auch noch das: Als die Masse mit Vehemenz zum Ausgang presst, gibt's plötzlich einen Stillstand: Kim Jung-uns bizarre "Army of beauties" will die Halle ebenfalls verlassen - und hat selbstredend Vortritt. Dem maximal abgeschotteten Kollektiv wird Vorrang eingeräumt, eine breite Gasse drückt das Publikum an die Etagenränder. Die Damen singen, winken und jubeln - ein (ganz sicher unabsichtlicher) letzter Stich ins südkoreanische Shorttrackherz.

Quelle: ntv.de

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