Tränen und Drama beim Schwimmen Warum schwimmen Dopingsünder um Medaillen?
30.07.2024, 11:19 Uhr
Die Chinesin Zhang Yufei gewann Bronze über 100 Meter Schmetterling.
(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)
Nur um Haaresbreite verpasst Schwimmerin Angelina Köhler eine Bronze-Medaille im Becken von Paris. Als wäre das nicht ärgerlich genug, landet ausgerechnet eine der 23 chinesischen Schwimmerinnen auf dem dritten Platz, die 2021 positiv auf ein verbotenes Medikament getestet wurden.
Einen Tag später war Angelina Köhler schon deutlich gefasster. Die Tränen der Schwimmerin waren getrocknet, sie sprach in der ARD darüber, wie sie nun die nächsten Tage in Paris bei den Olympischen Spielen genießen werde. 72 Stunden nach ihrem letzten Wettbewerb müssen die Athletinnen und Athleten aus dem olympischen Dorf ausziehen. Deshalb musste sie umplanen: Gemeinsam mit Freunden hat sie sich in einer Ferienwohnung einquartiert, da würden sie dann schauen, was so passiert.
Dabei sah das wenige Stunden zuvor noch ganz anders aus, da flossen bei Köhler die Tränen. Im Wasserbecken hatte sie am Sonntagabend gerade 100 Meter Schmetterling hinter sich gebracht. 56,42 Sekunden lang hat sie sich ausgepowert und doch reichte es nicht. Ganz knapp, nur um 21 Hundertstelsekunden verpasste die Katar-Weltmeisterin bei ihrer ersten Olympia-Teilnahme eine Goldmedaille. Anschließend stand sie vor den TV-Mikrofonen und erklärte, dass das alles jetzt supertraurig sei, dass sie alles gegeben habe. "Der Vierte ist immer der erste Verlierer. Das ist ein bisschen Scheiße", erklärte sie.
Was bei der Gefühlslage mutmaßlich nicht geholfen hat, ist, wer vor ihr am Beckenrand angeschlagen hatte. Zur Olympiasiegerin krönte sich Torri Huske aus den USA. Silber ging an deren Landsfrau und Weltrekordhalterin Gretchen Walsh. Die Bronzemedaille sicherte sich jedoch die Chinesin Zhang Yufei. Eben das sorgte für den Beigeschmack. Zhang gehört zu eben jener Gruppe chinesischer Athletinnen und Athleten, die im Vorfeld der Spiele verdächtig wurden, ein verbotenes Medikament genommen zu haben.
"Ein fader Beigeschmack"
Der Fall zeigt die Probleme des Welt-Anti-Doping-Kampfs. Die Kurzversion: 2021 wurden 23 chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer positiv auf ein verbotenes Medikament getestet. Doch das Herzmedikament Trimetazidine, das die Ausdauer stärkt, sollen sie nicht absichtlich in ihren Körper aufgenommen haben, sondern durch kontaminiertes Essen in einem Hotel. Das berichteten zumindest die chinesischen Dopingstellen.
Die Weltdopingagentur WADA übernahm in der Folge diese Version und forschte dem Vorfall nicht großartig nach. Erst Recherchen der ARD und der "New York Times" weckten Zweifel daran und machten den Skandal im April dieses Jahres öffentlich. Das Problem: Chatprotokolle der chinesischen Athletinnen und Athleten passten demnach nicht zu der Version, die von der WADA abgenickt wurde. So soll es höchst unwahrscheinlich sein, dass alle 23 Schwimmerinnen und Schwimmer im selben Hotel wohnten. Das zeigten die Recherchen.
Nun sorgt dieser ganze Vorfall für Unmut. "Es ist ein Wermutstropfen, dass Bronze an eine Sportlerin geht, die positiv getestet, aber nicht sanktioniert wurde", sagte DSV-Leistungssportdirektor Christian Hansmann. "Sie ist vor Olympia regelmäßig getestet worden, deshalb gehe ich davon aus, dass es eine saubere Leistung war." Die Statistik des Weltverbandes World Aquatics weist bei Zhang vor Olympia 19 Tests auf - alle negativ. "Chinesische Athleten sind vor den Spielen am meisten getestet worden", berichtete Hansmann: "Es hat trotzdem einen faden Beigeschmack."
Der DSV-Athletenvertreter Kevin Götz äußerte sich ähnlich enttäuscht. "Jetzt ist genau die Situation eingetroffen, die zu befürchten war", ließ er mitteilen. "Eine chinesische Athletin, die im Vorfeld der Spiele in Tokio anscheinend positiv getestet wurde, gewinnt bei den Spielen in Paris Bronze." Die WADA müsse eine lückenlose Aufklärung der Verdachtsfälle angehen und solle die bisherigen Untersuchungsberichte veröffentlichen, forderte er.
Der Moment ist weg
Die WADA reagierte tatsächlich auf den Druck. Die Welt-Anti-Doping-Behörde sprach mit der ARD und ließ sich die Recherchen zeigen. Alles sei streng anonymisiert worden, wie ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt am späten Montagabend versicherte. Nur, das verblüffte Seppelt, habe die WADA erklärt, die Protokolle nicht weiter untersuchen zu wollen, ohne nicht mit dem chinesischen Whistleblower zu sprechen. "Mit dem wir wiederum in Kontakt sind", sagte er. Doch das ist kompliziert. Solche Enthüller "haben gerade in China unglaubliche Angst, dass der Staatsapparat sie verfolgt", sagte Seppelt. Der Whistleblower habe die Rücksprache mit der WADA abgelehnt, die Sache liegt deshalb gerade auf Eis.
All das verwundert nicht nur die Athletinnen und Athleten, sondern auch Doping-Experte Seppelt. Der ganze Fall China hänge wie ein schwerer Sack über den olympischen Schwimmwettbewerben. Die WADA suche nicht nach Beweisen, sondern möchte diese haben, bevor sie ermittelt, sagte er. Das wäre ungefähr so, als würde ein Polizeibeamter jemanden aus einer Bank stürmen sehen, aber sagen: "Bevor ich keine Beweise habe, dass er kein Bankräuber ist, frage ich erst gar nicht", sagte Seppelt. Es sei ein Armutszeugnis für die WADA.
Hinzu kommen neue Recherchen der "New York Times", wonach zwei chinesische Schwimmer, von denen einer bei den Olympischen Spielen in Paris am Start sein soll, im Jahr 2022 positiv getestet, aber von chinesischen Behörden freigesprochen worden. Eine Weiterverfolgung des Falls, etwa durch die WADA, habe es danach nicht mehr gegeben.
Und was das für die betroffenen Athletinnen und Athleten bedeutet, machte Köhler deutlich. "Es ist schwierig für mich", sagte sie. Sie stehe selbst für sauberen Sport, wird eigenen Angaben zufolge ständig kontrolliert. "Man muss auch sagen: Es ist noch nichts offiziell, die Untersuchungen stehen noch aus." Deshalb müsse man erst einmal abwarten, was da herauskommt. So oder so. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie doch noch die Bronzemedaille bekommen sollte: Der besondere Moment auf dem Podium ist weg.
Quelle: ntv.de