Wirtschaft

Erst Panne, dann in Finnland Christian Lindner gibt den "freundlichen Falken"

Sparpolitik macht Spaß: Christian Lindner und seine finnische Amtskollegin wollen eine Aufweichung der EU-Haushaltsregeln verhindern.

Sparpolitik macht Spaß: Christian Lindner und seine finnische Amtskollegin wollen eine Aufweichung der EU-Haushaltsregeln verhindern.

(Foto: IMAGO/Lehtikuva)

Um die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen, hat die EU-Kommission die Schuldenregeln ausgesetzt. Im nächsten Jahr sollen sie wieder gelten. Doch es ist offen, bis wann und wie die regelwidrige Verschuldung gesenkt werden soll.

Es läuft derzeit nicht so richtig rund für Christian Lindner. Bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus scheiterte seine FDP an der Fünf-Prozent-Hürde und fliegt deshalb aus dem Landesparlament. Da ist es nur konsequent, dass sich sein Abflug am kalten, nebligen Mittwochmorgen vom BER nach Helsinki verzögert. Als der Parteichef und Bundesfinanzminister die militärgraue Maschine der Flugbereitschaft betritt, gehen erst einmal die Lichter aus und es wird still - ein Aggregat streikt.

Doch die technischen Probleme sind bald behoben, und mit Verzögerung geht es los in die finnische Hauptstadt. Dort landete er zwei Stunden später, um über die EU-Schuldenregeln zu sprechen. Die EU-Kommission hatte Ende des vergangenen Jahres unter anderem vorgeschlagen, hoch verschuldeten Ländern mehr Flexibilität bei der Rückzahlung von regelwidrigen Schulden einzuräumen. Statt einheitlicher Vorgaben für alle Länder setzt die Behörde in ihrem Reformvorschlag auf individuelle Pfade für jedes Land, um Schulden und Defizite mittelfristig zu senken. Lindner sieht dabei Gesprächsbedarf. Denn wie das konkret ausgestaltet werden soll, ist offen.

In Helsinki sucht - und findet - Lindner Unterstützung, und zwar in Annika Saarikko. Die liberale Politikerin ist Finanzministerin des nordischen Landes. Ökonomisch sei Finnland zwar nicht das wichtigste Land der EU, sagt Lindner. Aber was Finanzierung und Schulden angehe, sei das Land eines der wichtigsten Stimmen in der Union. Das dürfte Lindner vor allem so sehen, weil Saariko in Sachen Schuldenregeln sich sehr viel härter äußert als es der deutsche Finanzminister tut. Verbündete kann er gut brauchen.

Konsens statt Konfrontation

Am Vortag hatte er den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte getroffen. Am morgigen Donnerstag geht es nach Wien. Früher hätte er dort beinharte Partner gefunden - doch die Koalitionen in den Niederlanden und Österreich haben sich verändert, so Lindner. Hier könnte man einwenden: in Deutschland auch. Lindner ist Finanzminister einer Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen.

Lange traten die "Frugal Four", die "sparsamen Vier", ein informelles Bündnis der Regierungen aus Österreich, den Niederlanden, Schweden und Dänemark vehement jedem Versuch entgegen, die Haushaltsregeln aufzuweichen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Es gebe keine Konfrontation in der EU um die Fiskalpolitik mehr, sagt Lindner.

Der deutsche Finanzminister spricht in diesem Zusammenhang von einer "dienenden Führungsrolle Deutschlands" als größter Volkswirtschaft der EU. Die Bundesregierung wolle keine Allianzen schmieden. Er sei ein "freundlicher Falke", dem es darum gehe, einen Konsens zu finden, dem alle Mitglieder der Eurozone zustimmen können. Übersetzt heißt das: Im Kern sollen die alten Schuldengrenzen und -regeln wieder gelten. Flexibel könne man dann bei dem Weg sein, die Schulden zu senken.

Reformvorschlag liegt auf dem Tisch

Die EU-Kommission hatte im November entsprechende Reformvorschläge gemacht: Hoch verschuldeten Ländern soll mehr Spielraum bei der Rückzahlung von regelwidrigen Schulden eingeräumt werden. Statt einheitlicher Vorgaben für alle Länder setzt die Behörde in ihrem Reformvorschlag auf individuelle Pfade für jedes Land, um Schulden und Defizite mittelfristig zu senken. Staaten mit hohen Schulden sollen vier Jahre lang Zeit bekommen, ihre Schulden glaubwürdig zu senken und das Defizitziel zu erreichen - Staaten mit niedrigeren Schulden wären flexibler. Normalerweise müssen Staaten 5 Prozent der Schulden, die über der 60-Prozent-Marke liegen, pro Jahr zurückzahlen - für hoch verschuldete Länder wie Italien oder Griechenland wäre das für die Wirtschaftsentwicklung verheerend.

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Vor kurzem hatte Lindner bereits angedeutet, dass er Diskussionsbedarf bei diesen Reformvorschläge sieht, zugleich aber Kompromissbereitschaft angedeutet. Zurzeit sind die Regeln ohnehin aufgrund der Belastungen durch die Corona-Pandemie bis 2024 ausgesetzt. Finnland ist in der EU einer der engsten Verbündeten Deutschlands gegen eine Aufweichung der europäischen Schuldenregeln. Nach der obligatorischen Pressekonferenz schütteln sich Saarikko und Lindner strahlend die Hände.

In Deutschland dürften den Finanzminister die bekannten Probleme wieder einholen. Das Wetter in Helsinki ist zwar genauso trübe und kalt wie in Berlin. Doch es gibt einen bezeichnenden Unterschied: Als Lindner im digitalsten Land Europas landet, sorgen Bauarbeiten der Bahn bei Frankfurt am Main für eine massive Störung des IT-Systems bei der Lufthansa. Zahlreiche Flüge fallen aus, viel mehr verspäten sich.

Quelle: ntv.de

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